ALIEN SEX FIEND: "WIR IMPROVISIEREN UNSER LEBEN, WIE WIR ES AUCH IN DER MUSIK MACHEN, UND NEHMEN ALLES, WIE ES KOMMT"
Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Denn viel Positives ist Nikolas und Cristine Wade alias Nik Fiend und Mrs Fiend in den letzten Jahren nicht zugestoßen. Allen vor an der Tod ihres Musikerfreundes Doc Milton hat die Arbeiten am neuen Album "Possessed" überschattet. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen ist das Album ein intensiver Ritt durch die verrückte Welt von Alien Sex Fiend geworden, in dem es eben auch immer eine Spur schräg zugeht - wie das Leben selbst.
Nik und Mrs Fiend: In meinen Augen das spannendste subkulturelle Ehepaar. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet und lebt ihr zusammen. Trennt ihr Eure Kunst und Euer Privatleben noch, oder ist es alles miteinander verbunden?
Nik Fiend: (lacht) Wow, das ist mal eine großartige Einleitung, danke! Unser "fiendish live" und unser Privatleben ist ein einziges wundervolles Chaos. Wir wissen von einer Minute auf die nächste nicht, was wir machen werden. Wir improvisieren unser Leben, wie wir es auch in der Musik machen, und nehmen alles, wie es kommt...
Mrs Fiend: Tatsächlich sind wir mehr als 40 Jahre zusammen - es war Liebe auf den ersten Blick - und als Alien Sex Fiend sind wir seit fast 36 Jahren unterwegs. Wir gehen also schon länger gemeinsame Wege als Du denkst. Wir können es selbst nicht glauben, dass wir es so lange ausgehalten haben (lacht). Wir haben immer alles gemeinsam gut gefunden.
Nik Fiend: Genau! Wir denken ziemlich ähnlich über viele Dinge - Musik, Filme, Comics, Kunst, das Leben an sich, die Menschen...wir haben uns immer verstanden und tun es immer noch. Es macht uns Freude, so oft wie möglich zusammen zu sein. Das war schon immer so.
Mrs Fiend: Natürlich gibt es Momente, wo wir nicht "Nik Fiend" und "Mrs Fiend" sind, beispielsweise wenn wir Zeit mit unseren Familien verbringen. Aber meistens stehen unsere Aktivitäten in Verbindung mit Alien Sex Fiend. Manchmal gemeinsam, wie bei diesem Interview, manchmal aber auch getrennt. Dann befasst sich Nik beispielsweise mit dem Artwork unserer Platten, während ich beispielsweise an einem Drum Beat bastle.
Nik Fiend: ASF ist einfach die Erweiterung dessen, was wir sind. Und ASF ist unser Leben...
Wie ist es, wenn Ihr gemeinsam Stücke schreibt. Streitet Ihr auch Mal über eine Zeile oder so ähnlichem?
Nik Fiend: Wir haben natürlich unabhängige Denkweisen über Musik und Texte. Mrs Fiend besitzt eine eigenen Meinungen und hat auch keine Probleme damit, sie auszusprechen. Darauf verlasse ich mich! Sie sagt nicht zu allem, was ich vorschlage und mache "Oh, das ist wundervoll, Schatz".
Mrs. Fiend: Und vice versa! Wir kommen aus unterschiedlichen Richtungen auf eine Sache zu, aber die Differenzen sind nicht all zu extrem. Es mag einige Sachen geben, die ich vielleicht nur mag und Nik liebt sie, aber in den seltensten Fällen begeistere ich mich für etwas, das Nik absolut hassen würden.
Nik Fiend: Wir hören uns gegenseitig unsere Ideen an, haben aber manchmal unterschiedliche Meinungen dazu. Da wir uns für ASF gemeinsam einbringen wollen, arbeiten wir aber die Sachen so heraus, dass sie unsere beiden Seiten wiederspiegeln. Es ist wie eine musikalische Synthese. Aber ich würde so etwas nicht Streitpunkte nennen. Wir wollen bei allem, was wir machen, einfach das bestmögliche herausholen.
Musikjournalisten versuchen ja immer, Sounds zu kategorisieren. Da stoßen sie bei Alien Sex Fiend an ihre Grenzen. Wir würdet ihr einem verzweifelten Schreiberling Eure Musik erklären?
Mrs Fiend: (lacht) äh....
Nik Fiend: Es ist "Alien Sex Fiend"-Musik. In der ersten Rezension über unsere Demo-Kassette hieß es, wir seien "das widerlichste Ding im Namen der Musik". Das war ein guter Startpunkt.
Mrs Fiend: Wir wurden als "Electro Hippie Space Zombies" und als "Goth Punk" bezeichnet...
Nik Fiend: Und als "Acid Punk". Ulf Kubanke, ein deutscher Journalist, beschrieb uns so: "Die Begegnung einer Lavalampe mit einem Fleischwolf". Ein anderer hat gesagt, wir klingen wie Velvet Underground auf Mandrax. Hört sich gut an! Wo kann ich das kaufen? (lacht)
Mrs Fiend: Innerhalb eines Albums können zwei Songs sein, die meilenweit von einander entfernt sind - von extremen und ganz unterschiedlichen Genres. Wir vermischen verschiedene Stile, um einen neuen Hybrid zu kreieren. Deswegen ist es schwer, uns in eine Schublade zu stecken. Aber genau darum geht es uns!
Nik Fiend: Wir wurden über die Jahre hinweg ganz unterschiedlich bezeichnet. Letzen Endes machen wir einfach so weiter. Mir ist bewusst, dass wir "ganz weit draußen" sind. Aber mein Bestreben war es immer, in einer verrückten Underground-Band zu sein. Job erledigt!
"Possessed" wirkt für mich sogar noch eine Spur experimenteller und auch radikaler als die Vorgänger-Alben. Etwas, das heutzutage angesichts erstarkter konservativer und rechtspopulistischer Kräfte nötig ist?
Nik Fiend: Ich würde sagen, dass ASF schon immer experimentell war. Es ist die Grundlage unseres Bestrebens. Wenn das neue Album dies weiterführt, dann ist das großartig, weil wir uns von der ursprünglichen Idee, wie ASF zu klingen hat, nicht weit entfernt haben. Damals ging alles mit "Ignore The Machine" los - und 35 Jahre später versucht diese Maschine immer mehr Kontrolle über uns zu ergreifen. Ich denke, dass ich immer noch versuche, Menschen wachzurütteln oder sie zumindest wissen lasse, dass es einen gibt, der so denkt wie sie. Ihr seid nicht alleine!
Mrs Fiend: Deswegen lautet unser Motto auch: "music to comfort the disturbed and disturb the comfortable".
Nik Fiend: Der Mainstream nimmt alles für sich ein - alles wird auf seinem Weg gleichgeschaltet. Es gibt immer weniger Raum für unabhängige Gedanken. Das ist es, glaube ich, was mich antreibt. Das besondere an der Zeit, als wir begonnen haben, Musik zu machen, war, dass verschiedene Menschen verschiedene Dinge in verschiedenen Musikstilen erarbeiteten. Heutztage gibt es viel mehr Cliquen und Anleitungen für jedes Genre. Ich liebe es, diese Regeln über Bord zu werfen. Unsere Musik ist ein Teil davon.
Seit Eurer Gründung haben sich in der Tat viele neue Genre ausgeformt. Einige haben in der Subkultur angefangen und sind heute von der Musikindustrie assimiliert worden. Euer Sound wirkt nachwievor unangepasst und provozierend. Würdet ihr so weit gehen und sagen, dass es momentan sogar leichter ist, zu provozieren, weil ja alles gleichgeschaltet ist?
Nik Fiend: "Unangepasst und provozierend" - das hört sich gut an! Eher hat die Musik uns immer provoziert, so dass wir Songs fertigstellen wollten. Es ist etwas, das ich machen MUSS. Unsere Musik ist eigenbrötlerisch - wir sind gar nicht auf Popularität aus. Ein wirklicher Künstler muss auch malen - ganz gleich, ob sich eine Galerie dafür interessiert oder nicht. Es ist Kunst um der Kunst willen.
Mrs Fiend: Wir haben die Leute anfangs sehr provoziert. Wenn wir das immer noch schaffen, ist das großartig. Was Du als "gleichgeschaltete" Musik bezeichnest, nennen wir auch "formelhafte" Musik. Oder wie Nik dazu sagen würde: "Malen nach Zahlen"-Musik.
Nik Fiend: Ich denke jedoch nicht, dass es leichter ist, heutzutage zu provozieren. Jeder hat bereits alles gesehen und gehört. Ich glaube, die Menschen sind von der ganzen Werbung betäubt. Und du kannst Musik überall hören. Die ganze Zeit. Nonstop.
Mrs Fiend: Deswegen ist es auch schwer, überhaupt noch gehört zu werden unter all dieser "formelhaften" Musik, die, wie gesagt, überall ist.
Viele Künstler verlieren mit der Zeit ihre Inspiration. Glücklicherweise trifft das auf Euch nicht zu. Was hält Eure "künstlerische Flamme" am Leben?
Nik Fiend: Danke für das Kompliment. Es ist einfach das Leben an sich! Die ganze Scheiße, die auf der Welt andauernd passiert. Und während wir persönlich ebenfalls jede Menge Probleme zu bewältigen hatten, war ein Ziel vor Augen: am Album und dem begleitenden Artwork zu arbeiten. Das hat uns immer wieder angetrieben. Musik und Kunst sind für mich wie eine Therapie, eine Art Befreiung.
Mrs Fiend: Ich mag es, neue Sounds meinem alten Keyboard zu entlocken. Nach dem Motto: "Oh! Ich wusste gar nicht, dass ich das machen kann."
Nik Fiend: (lacht) Das wahre Leben erwischt jeden. Egal, ob Du in einer Band spielst, in einem Büro arbeitest oder in der Fabrik...ich jedenfalls bin glücklich, dass sich die Leute immer noch für unseren Scheiß interessieren.
Wo würdet ihr den größten Unterschied bei der Arbeit an "Possessed" im Vergleich zu Euren früheren Werken ausmachen?
Mrs Fiend: Jedes Album ist unterschiedlich; sie alle spiegeln eine gewisse Zeit in unserem Leben wieder. Im Grunde erzählen uns die Alben, wie sie zu sein haben. Ein Song entsteht bei uns ganz organisch.
Nik Fiend: Die verschiedenen Ereignisse, die in meinem Leben passieren, beeinflussen direkt oder indirekt meine Arbeit - sowohl die Musik, als auch die Kunst. Die Musik spiegelt alles wieder, egal ob ich mir dessen bewusst bin oder auch nicht.
Mrs Fiend: Der wohl größte Unterschied ist das Line-Up, das es so nicht wieder geben wird. Denn es ist das erste Album, bei dem Doc Milton und Mat Pod gemeinsam mit uns musizieren. Uns verbindet eine lange Geschichte aus unterschiedlichen Phasen der Band. Doc spielte mit uns live in den späten 80ern und frühen 90ern, während wir mit Mat erstmals 1995 zusammen gearbeitet haben.
Nik Fiend: Dieses spezielle Line-Up hat bei unseren Live-Auftritten seit 2012 so gut funktioniert, sodass ich uns als "Band" so aufnehmen wollte, um das Gefühl und den Sound zu konservieren. Das haben wir geschafft.
Mrs Fiend: Leider ist Doc 2016 verstorben, aber er hat glücklicherweise so viele Gitarrenspuren aufgenommen, dass wir unglaublich viel Material besitzen, mit dem wir arbeiten konnten.
Nik Fiend: Er war regelrecht getrieben, hat verschiedene Gitarren ins Studio mitgebracht und war fest entschlossen, sie alle einzuspielen - was er auch getan hat. Und zwar in voller Lautstärke.
Mrs Fiend: Es war wirklich seltsam, dass er so viel aufgenommen hat. Angesichts der Tatsache, was passiert ist, fängt man schon an, sich Gedanken zu machen...vielleicht hatte er eine Vorahnung.
Nik Fiend: Jedenfalls lag es an uns, seine Aufnahmen zu sortieren, um das Album fertigzustellen. Allerdings waren wir fassungslos, Doc an einem so kreativen Höhepunkt zu verlieren. Mat Pod war ebenfalls sehr in die Sache involviert und hat auch noch einige weitere Gitarrenparts eingespielt wie sie beispielsweise gegen Ende von "It's In My Blood" zu hören sind.
Dieser Song enthält sogar einige Wörter, die ihr in Deutsch eingesprochen habt. Was verbindet Euch mit Deutschland?
Mrs Fiend: Das war ich, die da in Deutsch gesprochen hat. Nik hatte die Idee gehabt, dass einige Wörter aus dem Text auf Deutsch wiederholt werden sollten, wie ein Roboter als Backgroundsänger. Also habe ich "Es ist in meinem Blut", "Es ist in meinem Kopf" und "Es ist in meiner Seele" gesagt. Wir haben schon lange darüber nachgedacht, etwas auf Deutsch zu machen.
Nik Fiend: Die deutschen Fans haben uns immer wärmstens empfangen. Wir haben viele Freunde hier und halten nach ihnen Ausschau bei den Shows und Festivals, auf denen wir spielen. Mit diesem Song wollten wir alle deutschen Fans mit einbeziehen.
Mrs Fiend: Und ihnen für ihre Unterstützung danken.
Bemerkenswert ist Eure starke Verschmelzung zwischen Kunst und Musik. Der Deutsche spricht ja vom wagnerianischen "Gesamtkunstwerk", das versucht, alle Elemente aus den verschiedenen Bereichen der Künste zu vereinen. Hattet ihr dese Vision schon von Anfang an?
Nik Fiend: Als wir mit ASF angefangen haben, ging es darum, die Kunst zu unserer Musik zu entwerfen. Wir hingen alle zusammen, haben verrückte Bilder entworfen und durchgeknallte Geschichten aufgeschrieben oder eingetippt (damals noch auf Schreibmaschine). Einige davon landeten im "Fiendzine" (das eigene Magazin von Alien Sex Fiend), das bis heute existiert. Selbst bei umserem allerersten Gig haben wir Fernseher, Stroboskope und Netze genutzt, um die Bühne zu dekorieren. Es ist gut von Dir beobachtet - ja, es ist ein Gesamtkunstwerk - die Musik, das Artwork, die Bühnenshow, das Fiendzine, selbst das Design unserer T-Shirts: All diese Dinge sind miteinander verschlungen, sie sind alle Teil von ASF.
Euer aktuelles Artwork erinnert mich ein bisschen an Edvard Munchs "Der Schrei". Inspirerte Euch dieses Bild?
Nik Fiend. Ich denke, du spielst auf die Person an, die auf der Rückseite der CD-Hülle zu sehen ist. Edvard Munchs "Schrei" war eher leise. Das hier ist ein sehr lauter. Sein Mund ist sehr weit aufgerissen. Aber es ist natürlich eine Ehre, in einem Atemzug mit einem Künstler genannt zu werden, der ein solch ikonisches Bild entworfen hat. Das Bild entspricht meinen Gefühlen, die ich in den letzten Jahren hatte - leider. Wir hatten wirklich eine nicht enden wollende Aneinanderreihung von schlimmen Ereignissen. Und das hat das Artwork sehr beeinflusst.
Am Ende noch ein kleienr Blick in die Zukunft. Welche Ziele verfolgt ihr noch mit ASF? Habt ihr noch Ideen, die ihr realisieren möchtet? Vielleicht mal vor Ihrer Majestät zu spielen...?
Nik Fiend: (lacht) Man würde mich in den Tower von London werfen und köpfen, wenn ich irgendwie auch nur in die Nähe der Queen käme.
Mrs Fiend: Natürlich konzentrieren wir uns erst einmal auf die Veröffentlichung unseres neuen Albums, danach werden wir uns Gedanken zu den Live-Shows machen. Wir haben einige Ideen für einen Ersatz unseres Gitarristen, aber es wird noch einige Zeit vergehen, bis wir irgendwelche Aussagen dazu machen können.
Nik Fiend: Ich war jedenfalls wie besessen, das Album und Artwork fertig zu bekommen. Das war auch der Grund, warum wir das Album "Possessed" getauft hatten: es passte einfach perfekt. Und es ist erstaunlich, dass am Ende alles zusammengekommen ist. Nun können wir weiter in Richtung Zukunft schreiten.
|| INTERVIEW: DANIEL DRESSLER | DATUM: 16.11.2018 | KONTAKT | WEITER: ALIEN SEX FIEND "POSSESSED">
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Fotos © Per Ake Warn
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