HOTEL CALIFORNIA "FAMILY" VS. LEDFOOT & RONNI LE TEKRØ "LIMITED EDITION LAVA LAMP": GUTE FREUNDE KANN NIEMAND TRENNEN
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Die Pandemie hat unser Leben tief be- und eingeschnitten. Die Befürchtung, dass durch den zwangsweise auferlegten Lockdown Beziehungen und Ehen schneller in die Brüche und die Scheidungsrate in die Höhe schnellen würde, hat sich anscheinend nicht bewahrheitet. Dennoch dürften einige Partnerschaften durch unterschiedliche Ansichten, wie man sich gegenüber Corona zu verhalten hat, zerrüttet sein. Auf der anderen Seite führte diese Zeit auch alte Weggefährten wieder zusammen.
So hat der Musiker Daniel Green aus Schleswig-Holstein wieder seinen alten "best buddy" Carl Albrecht kontaktiert, mit dem er bereits mehr als 15 Jahre vorher als Hotel California Musik gemacht hat. Fast scheint es so, als habe das Schicksal ihnen diese lange Funkstille absichtlich auferlegt, denn mit der Wiedervereinigung entstand "Family", ein tiefgreifendes Album, dem man den großen Anspruch dahinter gar nicht anmerkt, da den Stücken eine unerträgliche Leichtigkeit des Seins innewohnt.
In einem Interview vor zwei Jahren erzählte uns Green, dass er eine Gartenparty für alle im Ort veranstalten will, wenn die Pandemie vorüber ist. "Gemeinschaft ist das, was mir am meisten fehlt", gestand er damals. Diese Sehnsucht spiegelt sich auch in den Stücken wieder, die sich thematisch ganz dem Albumtitel widmen. Familie wird dabei weiter gefasst als nur die direkten Verwandten. Es geht um eine familiäre Beziehung zur gesamten Umwelt.
Dieser hippieeske Gedanke wird im abschließenden Song "This World Wants Peace" explizit ausgearbeitet. "Tear down your mask today, give these men a smile" lauten die einleitenden Worte, in denen Corona noch mal anklingt, aber schon lang nicht mehr zu den zwingenden Problemen des Planeten gehört. Denn überall auf der Erde herrscht ohrenbetäubendes Säbelrasseln, dem Hotel Califronia mit introvertierter Singer/Songwriter-Beschwichtigung zumindest künstlerisch etwas entgegensetzen will.
Die allgemeine Unsicherheit führt bei "Family" zu einer Rückbesinnung auf die fast schon vergessenen humanistischen Werte. "Be Friends Again" dürfte aus der Wiedervereinigung zwischen Green und Albrecht heraus entstanden sein, "Magical Grandma" ehrt liebevoll die verstorbenen Vorfahren, deren Wissen und Liebe auch über ihren Tod hinaus weiterleben, während "Living Life More Fearlessly" ein selbstbestimmtes carpe diem ist und das Leben trotz aller Widrigkeiten zelebriert.
"Family" überrascht, weil es sich nicht zu einem rührseligen Lamento ob der unsteten Zeiten hinreißen lässt, sondern Hoffnung, Zuversicht und Geborgenheit ausstrahlt. Die meist spartanisch arrangierten Songs geben dem Gesungenen viel Raum und regen zum Nachdenken an. Vor allem stellt sich die Frage, wie sehr wir es zulassen, durch mediale Überflutung uns in eine angsterfüllte Katatonie zu begeben, oder ob es nicht doch ratsamer wäre, wenigstens für ein paar Momente am Tag sich auf die kleinen, aber wundervollen Momente des Lebens einzulasen. "Family" bezieht unmissverständlich Position dazu.
Das aktuelle Weltgeschehen ist für Ledfoot und Ronni Le Tekrø keine Option für ihre Musik. Denn zum um Blues und Rock erweiterten Americana der beiden Gitarristen gesellen sich kleine Geschichten über Verlierer ("You Should Know How Hard It Is"), Gangster ("Little Rosie") und was das Leben auf einer Schussfahrt in Richtung Katastrophe sonst noch an Unglaublichkeiten zu bieten hat.
Dazwischen darf sich das lyrische Ich in absoluter Orientierungslosigkeit und nicht erwiderter Liebe suhlen ("Sailor") oder sieht das Ende einer Beziehung kommen, das er aber nicht wahrhaben will ("This Hurtful Game"). Das größte Mysterium auf dieser Platte, in der es nur so von unhappy Menschen wimmelt, mag aber die Lava-Lampe sein, die nicht nur als Albumtitel herhalten darf, sondern aus deren Sicht auch der Titelsong geschrieben wurde, während in den Strophen eine satirische Überspitzung eines Verkaufsgespräch (vielleicht auf einem Home-Shopping-Sender im Fernsehen) stattfindet.
Der siebenminütige Song, im besten Bombast-70s-Rock gehalten, wirkt wie eine Verbeugung vor den großen Surrealisten des Rocks, Pink Floyd, und zwar aus ihrer Frühphase mit dem großen Verrückten Syd Barrett. In ihren ausladenden Gitarrensoli, bei denen Le Tekrø und Ledfoot ihr ganzes Können und Wissen gepackt haben, kommen einem Stücke wie "Astronomy Domine" in den Sinn. Beim Versuch allerdings, diesen Song in den Gesamtkontext des Albums zu bringen, beißt man sich recht schnell die Zähne aus. Sehen wir die Lavalampe eben als das, was sie ist: ein schrulliges Dekoteil, ein Stehrumchen, das aber dennoch die Aufmerksamkeit auf sich zieht, auch wenn sie mit dem restlichen Inventar nicht so ganz harmonieren will.
Eher zeigen die beiden Musiker hier wie auch beim nachfolgenden "Sister", einer Coverversion eines Songs aus dem Spielberg-Streifen "Die Farbe Lila" von 1985, ihre persönlichen Leidenschaften. Das Stück, von Quincy Jones geschrieben und von einer Frau gesungen, erhält durch den männlichen Gesang einen neuen Spin und kann im weitesten Sinne dann doch als ein politisches Statement des Duos betrachtet werden. Denn im Film wurden Rassen- und Frauendiskriminierung gleichermaßen behandelt, Ledfoot und Le Tekrø stellen sich mit der Coverversion klar auf die Seite der Unterdrückten.
Nach ihrer ersten gemeinsamen, selbstbetitelten Platte vor drei Jahren hat sich hier eine besondere Chemie zwischen den beiden Vollblutmusikern entwickelt. Klang der Vorgänger noch wie ein erstes vorsichtiges Eruieren der Möglichkeiten, gehen sie nun auf "Limited Edition Lava Lamp" in medias res und jonglieren leichtfüßig mit den verschiedenen Rockstilen, was sich beispielsweise im monströsen Blues-Rock von "The Ego In The Coffin" ausdrückt. Ledfoot und Le Tekrø haben die Handbremse gelöst und düsen durch die wundersame Welt der Stromgitarren, ohne dabei den Blick für den Kern der Songs zu verlieren.
Die Synergien sind es, die "Limited Edition Lava Lamp", aber auch "Family" von Hotel California so herausragend machen. Die kollegiale Freundschaft überträgt sich hörbar in ihrer Musik. Hier greifen Ideen und Spielfreude, aber auch gegenseitiger Respekt wie gut eingestellte Zahnräder ineinander. Man hört den Platten an, dass sie die Werke von jeweils zwei sich sehr schätzenden Musikern sind.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 24.03.23 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 6/23>
Webseite:
www.danielgreen.de
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COVER © TIMEZONE (HOTEL CALIFORNIA), TBC RECORDS/BROKEN SILENCE (LEDFOOT & RONNI LE TEKRØ)
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Rechtlicher Hinweis: UNTER.TON setzt auf eine klare Schwarz-Weiß-Ästhetik. Deshalb wurden farbige Original-Bilder unserem Layout für diesen Artikel angepasst. Sämtliche Bildausschnitte, Rahmen und Montagen stammen aus eigener Hand und folgen dem grafischem Gesamtkonzept unseres Magazins.
© || UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014. ||
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