MICK HARVEY & AMANDA ACEVEDO "PHANTASMAGORIA IN BLUE" VS. HARRY STAFFORD & MARCO BUTCHER "WE ARE THE PERILOUS MEN": WENN DIE NACHT AM TIEFSTEN
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Man würde lügen, hätte man beim Hören von "Phantsmagoria In Blue" nicht gleich die großen melancholischen Duette der Popgeschichte vor dem geistigen Auge. Mark Lanegan und Isobell Campbell kommen da einem ins Gedächtnis, aber auch die großartigen Mörder-Balladen, die Nick Cave mit verschiedenen Sängerinnen aufnahm (von denen "Where The Wild Roses Grow" zusammen mit Kylie Minogue zu einem großartigen Treffen zwischen Pop-Sternchen und Weltschmerz-Dandy avancierte) und nicht zuletzt Nancy Sinatra und Lee Hazlewood.
Letztgenannte sind auch ganz nah am Geschehen von "Phantasmagoria in Blue". Denn mit "Indian Summer" haben Harvey und Acevedo eine ihrer klassischen Balladen gecovert. Ohnehin strotzt die Platte nur so von Neuinterpretationen. Eine Sinatra/Hazlewood Nummer ins Repertoire aufzunehmen und sie in klassischer Form vorzutragen, war zu erwarten, denn der in die Jahre gekommene Bariton Harveys harmoniert natürlich perfekt mit Acevedos kühl distanziertem und gleichzeitig verführerischen Timbre.
Die interessanten Momente auf diesem Album finden sich jedoch dann, wenn das Duo nocturnale sich an Stücke wagt, die gar nicht für zwei Stimmen gedacht waren. Wie "Love Is A Battlefield" von Pat Benatar. Hier wurde die Upbeat-Nummer zu einer schwelgerischen Streicher-Ballade mit verhallter Pianobegleitung untermalt. So wird aus der emanzipatorischen Nummer eine intime Abschiedsballade zweier sich immer noch liebender Menschen. Wobei der große Aufreger in einer kleinen Umdichtung des Refrains liegt. Anstatt "We are young..." singt Harvey "You are young...", was angesichts der großen Altersunterschieds der beiden Musiker die erotische Phantasie ordentlich befeuert.
Insgesamt haben sich Mick Harvey und Amanda Acevedo auf eine Platte geeinigt, die in erster Linie "from dusk till dawn" seine eigene Magie entfaltet. Wenn die Menschen so langsam zur Ruhe kommen, schlägt die Stunde von "Phantasmagoria in Blue", das sich in der Dunkelheit voll zu entfalten versteht. In keinem Moment wird bei den 14 Songs das Tempo angezogen. Es bleibt ruhig, bedächtig und kontemplativ. Lediglich "You Got Me Singing", im Original von Leonard Cohen, ist im Tempo dezent schneller und wechselt vom Country-Stil zum Indie Folk.
Von diesen Feinheiten mal abgesehen, bleiben die beiden in ihren Neuinterpretationen überwiegend nah am ursprünglichen Material. Interessant wäre es natürlich, ob nach "Phantsmagoria in Blue" Mick und Amanda wieder zusammenkommen und ein Album voller Eigenkompositionen realisieren können. Man wird nämlich beim Hören der Platte das Gefühl nicht los, dass dies nur ein erstes Beschnuppern zweier Musiker war, dem noch weitere gehatvolle Kooperationen folgen sollen.
Bei Harry Stafford und Marco Butcher ist diese Erkenntnis bereits längst eingetreten. Nach dem extrem coolen Debüt "Bone Architecture", das die beiden währen der Corona Pandemie eingespielt haben, tauchen sie auf "We Are The Perilous Men" erneut in musikalische Abgründe ein und zeigen sich gemäß ihres Albumtitels als "gefährliche Männer", deren musikalische Sozialisation ähnlich verlaufen sein muss.
Stafford, der bei den Inca Babies Post-Punk der amtlichen Sorte auf die Menschen losließ, zeigt sich als gereifter Musiker, der aber weder altersmilde wirkt, noch sich auf seinen Lorbeeren ausruht. Stattdessen sucht er zusammen mit Marco Butcher, der zweifelsohne ein Seelenverwandter Staffords ist (anders lässt sich diese Kongenialität der beiden nicht beschreiben), nach Möglichkeiten, ihren zotteligen Sound, der irgendwo zwischen Blues, Jazz und Rock rumlungert, weiter nach vorne zu treiben.
Zuvor haben die beiden sich unter anderem am Liedgut des ewigen Vagabunden des Rock, Tom Waits, versucht. Mit Erfolg, nebenbei gesagt. Die zu Weihnachten 2022 veröffentlichte EP ist gleichzeitig eine unüberhörbare Liebeserklärung der beiden Musiker. Dementsprechend schwingt auch sehr viel Hobo-Vibe in "We Are The Perilous Men". Doch die beiden Männer sind in erster Linie Fans des mitternächtlichen Mäanderns durch jene Bars und Kneipen, die das Wort Sperrstunde aus ihrem Vokabular gestrichen haben. Doch nicht nur Waits, sondern unüberhörbar auch Nick Cave hat Stafford und Butcher beeinflusst.
Aus diesen beiden Quellen nun speist sich der Sound von "We Are The Perilous Men", der aber dennoch seine eigenen Haken schlägt. "On The Edge Of Music" bringt daher einen völlig verdreckten Swing aufs Tablet; dagegen enthält "Get Outside" eine schummrige Trip-Hop-Note. Ohnehin ist die Experimentierlust der beiden bei den schummrigen Klängen ungebrochen, was das Album eben nicht zu einem austauschbaren Werk macht, das man anderswo schon in besser gehört hat, sondern zu einer spannnenden Reise in die Abgründe unserer Seele.
Wie schnell sich dabei die Stimmung ändern kann, wird beim nachfolgenden "Rules Of The House" deutlich. Eine hektisch Beatsektion gesellt sich zu schrammeligen Gitarren und knalligen Basslinien. Waren Stafford und Butcher zuvor zwar irgendwie kaputt aber doch liebenswert, gehen sie nun einen kompromisslosen Weg, der unweigerlich zu einem kantigen Stück Rockgeschichte avanciert.
Die beiden Buddies klingen auf ihrem neuesten Album noch griffiger und vermitteln den Eindruck, als ob sie nächtelang durch Bars ziehen, um für ein paar Drinks ihre herrlich kaputten Songs vortragen zu dürfen. "The Perilous Men" riecht nach übervollen Aschenbechern und verschüttteten Alkoholika. Kurz gesagt: Nach Leben und seinen Grenzbereichen.
Nachts sind alle Katzen grau, weiß der Volksmund. Bei Mick Harvey und Amanda Acevedo sowie Harry Stafford und Marco Butcher ist das natürlich nicht der Fall. Wenn die Nacht am tiefsten ist, beginnen sie, von innen heraus zu strahlen.
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© || UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014. ||
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