REAKTON "WELTALL:ERDE:MENSCH": MENSCH-MASCHINE 2.0
Als ob es Ralf Hütter und Florian Schneider nie gegeben hätte, taucht plötzlich das Projekt Reakton auf - und bringt mit seiner Vorab-Single "Onlineshop" ein schockgefrorenes Stück elektronischer Klangerzeugung hervor. Dabei greifen die Mitglieder schamlos auf kraftwerk'sche Klang- und Rhythmusstrukturen zurück - tun dies aber mit solch einer Selbstverständlichkeit und Überzeugung, dass dem Hörer einfach nichts anderes übrig bleibt, als sich schmunzelnd den sterilen Tongemälden von "Weltall:Erde:Mensch" hinzugeben - und den durchaus kritischen Anmerkungen zu unserem vom Internet bestimmten Lebenswandel zu lauschen. Ironie des Sachverhalts: Der Longplayer ist derzeit nur über das weltweite Netz verfügbar...
Die Informationen sind rar gesät: Wer genau hinter Reakton steckt, weiß keiner so richtig. Als Verantwortliche für Text und Musik tauchen immer wieder zwei Nachnamen auf: Wässer und Theel. Mehr dringt nicht ans Tageslicht - auch die Bandseite ist spartanisch, ja geradezu leer, was die Phantasie natürlich befeuert. Aber eines ist sicher: Reakton haben einen exakten Plan davon, wie sie klingen wollen. Man könnte fast meinen, die Musiker hören tagtäglich den gesamten Kraftwerk-Katalog - von "Mensch-Maschine" aufwärts. Keines der zwölf Stücke auf "Weltall:Erde:Mensch" macht auch nur den leisesten Versuch, nicht wie die Düsseldorfer Elektronik-Pioniere zu klingen. Als Hörer gerät man da in eine Sinnkrise: Soll man Reakton für ihr bewusstes Epigonentum nun hassen - oder lieben?
Letzteres ist tatsächlich angebracht, und das gleich aus mehreren Gründen: Zum einen ziehen Reakton ihr Image präzise und auf sehr hohem Qualitätslevel durch – und das alles ohne ein richtiges Label im Rücken. Schon das ästhetisch perfekte, computeranimierte Video zu "Onlineshop" lässt keinen Zweifel aufkommen, dass wir es hier mit absoluten Profis und einem klar definierten, audiovisuellen Rahmen zu tun haben.
So ist das in zukunftsweisendem Neon-Blau und Schwarz gehaltene, extrem technische und reduzierte Plattencover eine konsequente Fortsetzung des Reakton-Sounds. Und zum anderen denkt die Formation das Kraftwerk-Erbe konsequent weiter - und verfrachtet es mit einfachen, aber wirkungsvollen Mitteln ins 21. Jahrhundert: Die Computerwelt ist bereits real, die Mensch-Maschine keine reine Utopie mehr.
Unser Leben auf der Daten-Autobahn hat einen unbarmherzigen Rhythmus angenommen, den Reakton uns auf ihrem Debüt immer wieder vor Augen und Ohren halten. So strotzt "Boerse" nur so vor androidem Sarkasmus. "Steigen, fallen" wiederholt die computerisierte Stimme zum angenehm zurückhaltenden Beat - und bringt damit den gesamten Inhalt des Aktienmarktes auf den Punkt. "Addition, Division, Manipulation" schießt es am Ende noch giftig aus der Ecke. "Onlineshop" gerät ebenfalls zu einem mahnenden Kleinod, verpackt in vordergründige Neutralität. "Ich suche nichts, doch kaufe viel", lautet das ebenso eindringliche wie monotone Fazit. Blinde Konsumwut bis zur privaten Insolvenz: Das Internet trägt sicherlich nicht die alleinige Schuld daran, besitzt aber ein unbestrittenes Verführungspotenzial. Reakton machen darauf aufmerksam.
Die schöne neue Welt genießen die Musiker mit Vorsicht, ohne aber gleich alle Innovationen zu verteufeln. "Druck" beispielsweise besingt die bahnbrechende und wahrlich futuristische Technik des 3D-Druckers, der in der Lage ist, Gegenstände aller Art zu reproduzieren (was einige bereits als Initialzündung für eine dritte Industrielle Revolution deuten). Auch "Motor" preist die Errungenschaften der neuen, schadstofffreien Fortbewegung mittels Elektromotorem an.
In diesen Punkten grenzen sich Reakton von Kraftwerk ab: Während die Techno-Pop-Erfinder die Zukunft neutral und emotionslos beschrieben haben, zieht das vielversprechende neue Ensemble eine erste Bilanz: Jetzt ist die Zukunft, und was bringt sie uns? Vielleicht mit Reakton einen legitimen Kraftwerk-Nachfolger? Für solch eine Aussage ist es allerdings noch zu früh, denn bei aller Freude, die "Weltall:Erde:Mensch" verbreitet, mangelt es hie und da an Variationsmöglichkeiten und der Raffinesse, wie sie die großen Elektronik-Vordenker besaßen. So verlässt sich "Data" auf das Erfolgsrezept der Single - und wartet mit einer Aufzählung von Downloadprogrammen wie YouSendIt oder Rapidshare auf. Das gleiche in Grün also wie bei “Onlineshop“, das ebenfalls im Mittelteil diverse Zahlungsmöglichkeiten wie PayPal oder Clickandbuy runter betet.
Davon abgesehen, verdient dieser Erstling aber die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der Kraftwerk-Fangemeinde – und jenen, die gerne wissen wollen, was die Technik von morgen für uns bereithält. Die Soundtüftler jedenfalls sind von sich selbst überzeugt: "We Love The Sound We Play". Recht so!
|| TEXT: DANIEL DRESSLER // DATUM: 12.09.2014 ||| DEINE MEINUNG? MAIL SCHREIBEN! || WEITER: PARADE GROUND "STRANGE WORLD"
BILDQUELLE © REAKTON.
Bandpage: www.reakton.de
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