STEREOSKOP "SILK" VS. AVA VOX "IMMORTALISED": ZWISCHEN TÜLL UND TRÄNEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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STEREOSKOP "SILK" VS. AVA VOX "IMMORTALISED": ZWISCHEN TÜLL UND TRÄNEN

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Stöbert man so ein bisschen im Netz, um Informationen zu Stereoskop zu erhalten, kann man ins Staunen geraten. Hackt man den Namen bei einer allseits bekannten Videoplattform in die Tastatur, erscheinen einem nicht nur eine Menge Songs, sondern auch eine scheinbar komplett andere Band. Denn das spanische Duo, bestehend aus Musiker Alex Brujas und Sängerin Susana Egea haben sich im Laufe ihres Bestehens (Stereoskop sind schon seit mehr als 20 Jahren dabei) jede Menge stilsitische Häutungen vorgenommen.

Anfänglich auf knarzige Elektronik konzentriert, die zwischen poppiger Eingängigkeit und dunkler Leidenschaft changiert (kleiner Netz-Anspieltipp: "Into My Beat"), hat sich das Duo auf "Silk" einer musikalischen Frischzellenkur unterzogen. Jetzt dominieren träumerisch-verhallte Gitarrenläufe, was die einst so kraftstrotzenden Synthesizer etwas zurückdrängt. Ganz verschwunden sind sie natürlich nicht. Sie haben sich nur eine neue Nische innerhalb des Stereoskop-Kosmos gesucht. Da bekommen "Out Of Control" oder "I Saw The Light" einen deutlichen Synth-Wave-Anstrich mit Reminiszenzen an den legendären John Carpenter.

Insgesamt wirkt "Silk" wesentlich organischer und wärmer. Susanas sonore, leicht brüchige Stimme lässt dabei Parallelen zu Marianne Faithfull erkennen, wobei sie natürlich nicht diesen abgefuckten Drogenchic besitzt - muss ja nun auch nicht sein. Besonders im sehr rhythmischen "Hazel Eyes" erkennt man ihre Fähigkeit zur stimmlichen Wandlung. Zwar fühlt sie sich in tieferen Lagen wohler, schafft aber auch Höhen spielend.

Um noch einen weiteren Vergleich zu bemühen: Stereoskop gelingt das gleiche Kunststück wie den viel zu unterschätzten The Girl & The Robot, das ebenfalls aus Soundfrickler und Sängerin besteht: eine dynamische Wechselwirkung zwischen ausdrucksstarker Stimme und poinitiert komponierter Musik. Während aber bei den einen die Spannung zwischen kühler Elektronik und warmem Gesang ausgereizt wird, erweitert Stereoskop das Gefüge um E-Gitarren-Passagen, die den Stücken dadurch mehr Tiefe verleihen.

"Silk" ist daher ein treffender Titel für das Album, legt es sich doch tatsächlich wie Seide um die Gehörgänge und lässt wie in "Sun Is Bright" tatsächlich einen Moment alles rundherum um einen vergessen. Man muss zwar mit dem Gebrauch von Superlativen vorsichtig umgehen, aber Stereoskop haben das vielleicht beste Album ihrer Karriere geschaffen. Derart in sich rund und geschlossen haben sie selten geklungen.

Bei Elaine Hannon verhält es sich ähnlich. Die Sängerin aus Dublin bewegt sich mit ihrem wuchtigen Organ stets im unteren Bereich der Tonskala. In Kombination mit mollschwangerem Düster-Rock schafft sie als Ava Vox tiefbewegte Lieder voller Gravitas und Depression. Auf ihrem ersten, fulminanten Album "Immortalised" bewegt sich die Musikerin und ihr Gefolge auf bekannten Pfaden. In erster Linie hört man bei ihr eine ganz deutliche Nähe zu Siouxsie & The Banshees heraus, was auch an der reichhaltigen Fülle ihrer Songs liegt.

Denn mit gerade mal acht Stücken und einer Spieldauer von knapp einer halben Stunde wird ihr ganzes Können auf die Quintessenz eingedampft, aber gleichzeitig ein interessanter Spannungsbogen erzeugt. Zu Anfang steht das bereits vorabveröffentlichte "Crash", dessen Clubeinsatz gewiss sein wird. Dank Hannons fast schon beschwörendem Timbre und einer markanten Gitarrenlinie im Refrain, das nur aus dem Wort "Crash" besteht, ist eine schwere Rotation in den Dunkeldiskotheken dieses Landes eigentlich fast schon Pflicht. Die nachfolgenden "Silent Tear" und das wunderbare "Alone Again" ruft ganz leise "New Wave" und ergötzt sich in attitüdenbeschlagenem Rock, der auch in die Beine gehen darf.

Dagegen hängt bei "One Sweet Goodbye"der Himmel buchstäblich voller Geigen. Diese bringen aber nicht gerade Segen, sondern legen sich wie ein riesiger Trauerflor über die Szenerie. Die bittersüße Herzschmerzballade ist voller Pathos und nur so vollgepfropft mit Melancholie, dass es fast schon grenzwertig ist. Doch laufen bei Ava Vox die Emotionen nie ins Leere.

Der sichere Umgang mit all diesen musikalischen und emotionalen Facetten kommt nicht von Ungefähr: Elaine Hannon ist bereits seit den Mittachtzigern unterwegs und hat mit der leidlich bekannten Post-Punk-Formation The Seventh Veil ihre ersten musikalischen Gehversuche unternommen. Es mussten aber rund 30 Jahre ins Land ziehen, ehe sie als Ava Vox endlich richtig zu strahlen beginnt. Dabei verleugnet sie ihre Herkunft nicht, was auch die Coverversionen auf "Immortalised" beweisen: Neben Soft Cells "Tainted Love" und David Bowies "Life On Mars", muss vor allem "Lovesong" von The Cure in ihrer Interpretation gewürdigt werden. Sie gibt dem Stück, das im Original immer noch ein bisschen Positivität ausstrahlt, den endgültigen Trauerdolchstoß. Tröpfelnde Pianolinien, rhythmisch dezent begleitet, und eine zerbrechlich wirkende Elaine lassen einen die Szenerie umdeuten. Hat bei Robert Smith die Liebe noch Bestand, scheint sie bei Elaine Hannon bereits schon Geschichte zu sein - nur die Erinnerungen sind noch wach.

"Immortalised" zeigt das ganze musikalische Wissen und die Freude an der traurigen Musik von einer Frau, die in ihren exaltierten Outfits einer Lene Lovich locker das Wasser reichen kann. Oder besser gesagt: den Rotwein. Denn zu diesem ausdrucksstarken Werk gehört ein schwerer Bordeaux mit vollem Körper und reichhaltigen Tanninen einfach dazu. Schließlich ist Ava Vox wie guter Wein - sie wird mit den Jahren immer besser.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 29.03.22 | KONTAKT | WEITER: ANIQO "BIRTH">

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COVER © REPTILE MUSIC /CARGO, AVA VOX

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