9/17: LOWLAND HUM, GORDIE TENTREES, MARK GEARY, WES SWING - EIN KLEINES LABEL TISCHT GROSS AUF
Es ist eine immerwährende Frage: Wie kann ein Genre, das einen gewissen Sättigungsgrad erreicht hat, noch mal für Überraschungen sorgen? Wohl nur dann, wenn es den Protagonisten, sprich: den Musikern, gelingt, durch Wahrhaftigkeit bestehende Parameter mehr als nur zu erfüllen. Denn um gute Musik zu machen, braucht es nicht immer neue Ideen, aber klare Vorstellungen und das gewisse "Feeling". Das Greywood Records Label spürt solche kleinen Juwelen auf und bringt jede Menge davon passenderweise zum herbstelnden Oktober heraus.
Weniger ist mehr. Das haben irgendwann mal Simon & Garfunkel herausgefunden und brachten in aufgeregten Zeiten berührende Texte mit sparsamen Arrangements dar. Im neuen Jahrtausend erinnerten sich die Norweger von Kings Of Convenience daran und modelierten die Vorgabe um: "Quiet Is The New Loud" propagierten sie 2001 und bestachen mit feinfühligem Indie-Folk und anheimelnder Mehrstimmigkeit. Lowland Hum reiht sich in diese Genealogie ein. Das Ehepaar Daniel und Lauren Goans aus Virginia bringen eben diese harmoniesüchtelnden Melodien hervor, die einen sanft umarmen und am Ende mit einem Lächeln in die Welt ziehen lassen. Dass "Thin", ihr mittlerweile drittes Album in fünf Jahren Bandgeschichte, so abgerundet klingt, liegt sicherlich auch daran, dass die beiden Künstler perfekt aufeinander abgestimmt sind. Sie produzieren und komponieren alles selbst; Lauren kümmert sich überdies um die visuellen Aspekte bei Lowland Hum, entwirft Cover und Videos. Hier haben sich zwei gefunden, die eine gemeinsame künstlerische Vision besitzen und gleichzeitig eine intime Zweisamkeit in ihre Musik legen und damit den Hörer abholen. Dabei geht es weniger um die großen Gefühle, als um die kleinen Momente im Alltag, die das Ehepaar Goans beobachtet oder selbst erlebt hat, ob nun in ihrer Heimatstadt Charlottesville oder auf Konzertreise durch die Staaten. Am Ende steht mit "Thin" ein fragil-schönes Kleinod von Album, das nichts weniger will, als die Herzen der Hörer ohne viel Brimborium zum leuchten bringen. Es ist ihnen gelungen.
Und noch einmal "weniger ist mehr". Dieses Mal wortwörtlich genommen: "Less Is More" betitelt Gordie Tentrees sein sechstes Album - zeigt sich aber instrumentell gesehen mehr als verschwenderisch. Tatsächlich erinnert Tentress mit seiner überbordenden Mischung aus Folk und Blues und dem leicht schnodderigen Gesang an den früheren Bob Dylan - nicht zuletzt sind es auch die wortreichen Geschichten, die "Less Is More" zu einem Album machen, das nicht einfach nebenbei gehört werden kann. Tentrees verarbeitet reale Geschehnisse wie den Bombenanschlag auf den Boston Marathon 2013 ("Somebody's Child") oder erzählt in "Wheel Girl" die Geschichte von Jessica Frotten, die nach einem Unfall ihrem Leben als Paralympics-Athletin wieder neuen Sinn gab. Dazwischen legt er bei "Lost Guitar" sein Musikerherz offen, zeigt sich bei "Dead Beat Dad" wortgewandt humoristisch und wirft, einen kleinen Hobo-Gruß an Tom Waits sendend, in "Camelot Hotel" schlaglichtartig einen Blick auf das gleichnamige Etablissements, welches als Hort der "gefallenen Engel" und "Outlaws" ist, die sich die Nacht mit ihren zwielichtigen Geschäften und Treffen um die Ohren schlagen. Auf "Less Is More" zeigt Tentrees, wie sehr er Amricana liebt und wie geschickt und innovativ er es zu interpretieren weiß. Dabei hilft ihm sein sicheres Gespür für gute Geschichten, die, ob nun ernst oder heiter, mit entsprechendem Timbre vorgetragen werden. Ein kleines Stück unverfälschtes "american way of life".
Springen wir von dort über den großen Teich und landen in Irland. Dort ist ein gewisser Mark Geary ansässig, laut Presseinfo einer "der schönsten und unscheinbaren Songschreiber". Um diese These zu untermauern, braucht es nur den ersten Song "Frostbite". Sofort fühlt man sich an die leichte Melancholie solcher Songwriter wie Jeff Buckley, Lucky Jim und vor allem Glen Hansard erinnert und lauscht einem Mann, der unaufgeregt über die schweren Stunden im Leben singt. "The Fool" handelt vom verlassen und verletzt werden, von seelischen Schmerzen, die manchmal mehr wiegen als körperliche. Dagegen setzt er wie eben in "Frostbite" oder auch "Dandelion" wunderbare Refrains, die durch ihre Melodieführung etwas Erhabenes und auch Tröstliches erhalten. Manchmal lässt er wie in "Rosebud" die Akustikgitarre für sich stehen, während sein mehrspuriger Gesang ein flirrendes Moment erzeugt. In diesem Zusammenhang sollte die Arbeit von Karl Odlum (der übrigens mit Hansard bei The Frames zusammengespielt hat) gewürdigt werden. Er hat "The Fool" nicht nur produziert, sondern auch mit einigen wunderbaren musikalischen Zusätzen veredelt, die für erstaunliche Momente sorgen. Allen voran der Titelsong arbeitet mit unvorhergesehenen Synthesizereinsprengsel und erinnert im finalen Instrumental entfernt sogar an den Krautrock von Neu! Auch das abschließende "Holding Fire" wartet mit sakral anmutenden Keyboardklängen auf. Mark Geary ist fürwahr eine kleine Wundertüte und tatsächlich viel zu unscheinbar. Und das darf nicht sein.
Das gleiche gilt auch für Wes Swing aus Virginia. Eigentlich muss man kein Prophet sein, um "And The Heart" als das vielleicht bezauberndste Album dieses Herbsts einzustufen. Schon das Eröffnungsstück "Missing Winter" lässt einen besoffen vor Glück zurück. Über eine intime Strophe, die Swing mit seinem fragilen Organ vorträgt, baut sich eine Streicherlinie immer stärker auf, wird von Synthesizern unterfüttert, um schlussendlich die kalte Sequenz alleine dastehen zu lassen. Swing ist klassisch ausgebildeter Cellist, was man seinen Stücken deutlich anhört. Hier arbeitet sich das kompositorische Moment und der Drang nach überbordenden Arrangements durch die starre Strophe-Refrain-Strophe-Struktur handelsüblicher Songs. Surrealistisch anmutenden Folk- und Elektronikpassagen gehen in Symbiose mit Swings fast androgyn wirkendem Gesang und umwölken "And The Heart" mit einem somnambulen Nebelschleier. Alles wirkt wie in Watte gepackt, bleibt dabei aber auch extrem ausprobierfreudig. Zwischen teilweise verschroben rockigen Segmenten im Titelsong, hektischer Schlagzeugbearbeitung in "Sing To Me", einem Sequenzer-Amoklauf am Ende von "The Next Life" und krachenden Blechbläsern in "Rest Easy" findet Swing aber auch immer wieder zurück zu den intimsten Stimmungen. So wirkt er bei "At The Window" mit dem reduzierten Gitarrenspiel und warmem Orgelspiel gerade so, als sei er ganz bei sich. Wes Swing ist ein Experimental-Folker par excellence. Seine Nummern machen es dem Hörer nicht immer einfach, wollen erschlossen werden. Doch wenn dies passiert ist, läßt "And The Heart" einen nicht mehr so schnell los.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 16.10.17 | KONTAKT | WEITER: KIKU & BLIXA BARGELD & BLACK CRACKER VS. CASPER>
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Webseiten:
www.lowlandhum.com
www.tentrees.ca
www.markgeary.com
www.wesswing.com
Cover © Greywood Records/Timezone
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