10/24: TRADTÖCHTER, MARIA NIKOLA, LEA THOMAS, MO KENNEY - GUTE GEFÜHLE - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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10/24: TRADTÖCHTER, MARIA NIKOLA, LEA THOMAS, MO KENNEY - GUTE GEFÜHLE

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2024
Ursl Suchanek und Vivien Zeller brauchen nicht viel, um für ein gutes Gefühl zu sorgen. Lediglich mit Geigen bewaffnet, hauchen sie als TradTöchter alten Volksliedern neues Leben ein und überführen die Jahrhunderte alten Weisen und Gedichte sanft in die Jetztzeit. "RockMusik" ist ihr bereits zweites Album - und ja: der Titel bezieht sich nicht auf das Genre, das sie bespielen, sondern winkt mit einem überdimensionierten Zaunpfahl, dass wir es hier mit zwei Frauen zu tun haben, die bei der Wahl ihrer Stücke (wenn sie sie nicht gerade selber schreiben) vor allem die weibliche Sicht eingedenken. Wie die "Selbstempfehlung der heiratsfähigen Mädchen", ein weiblicher Werbungstext von früher, der aber nicht als Anbiederung des weiblichen Geschlechts an den Mann verstanden werden sollte, sondern als selbstbewusstes Statement einer Frau, um die sich die Männer reißen könnten. Wenn die TradTöchter aufspielen, schlüpfen sie nicht in die Rolle des schmachtenden Burgfräuleins, das nichts anderes als schön sein und gefallen will. Ihre Lieder, ein Sammelsurium an kuriosen wie vergessenen Juwelen deutscher Liederkunst aus früheren Jahrhunderten, tragen sie mit einer groovigen Frechheit und einem deutlichen Schalk in der Stimme vor, während sie dabei eine unterschwellige Erotik in die Kompositionen mit einfließen lassen. Sowohl Fidelei als auch zweitstimmiger Gesang harmonieren perfekt miteinander und machen "RockMusik" zu einen besonderen Erlebnis, bei der gerade durch die reduzierte musikalische Kulisse Text und Gesang besonders strahlen können. Highlights sind die Eigenkompositon "Pudding zum Kompott", das mit Glockenspiel angereicherte "Jäger lieth" und das wehmütige "Ach wie ist es möglich".

Auch Maria Nikola liebt die Einfachheit. Ihre Wahl der musikalischen Waffe ist allerdings die Harfe, aus der sie wunderschöne, fließende Kompositionen ertönen lässt. Kein Wunder, dass das Eröffnungsstück ihres aktuellen Albums "Colors Of the Harp" den beredten Titel "Rivers" trägt. Den die Würzburgerin setzt auf Wohlklänge, die den Hörer in ein Fluss aus Täumen steigen lässt. Die Musikerin, die übrigens über eine wunderbare Stimme verfügt, wie man bei den Videos auf ihrer Homepage sehen kann (als Teil des Dúo El Mar), überlässt bei "Colors Of The Harp" die Bühne ganz ihrem Instrument, das sie liebevoll und doch bestimmt spielt. Neben ihren eigenen Kompositionen, zu denen auch das nahöstliche "Oriental" sowie das stimmungsvolle "Luna" gehört, hat sie sich vor allem den irischen und bretonischen Folksongs gewidmet, die sie mit einer traumhaften Leichtigkeit interpretiert. "Brian Boru's March", bereits von den legendären Chieftains in den späten 1960ern vertönt, handelt vom gleichnamigen irischen König, der im Mittelalter die O'Brien Dynastie begründete, ist auf dem Album ebenso vertreten wie das mittlerweile sehr bekannte bretonische Traditional "An Dro" (zu Deutsch etwa: die Drehung). Es handelt sich um einen Standardtanz aus der Region um Vannes. Das im beschwingten 2/4  Takt gehaltene Lied bekommt durch die sanften Klänge der Harfe ein geradezu elfengleiches Timbre (das gleiche geschieht auch bei dem anderen bretonischen Kreistanzstück "Hanter dro"). Maria Nikola beherrscht ihr Instrument und entlockt ihr Töne, die wie aus einer anderen Welt zu sein scheinen. "Colors Of the Harp"  entführt uns für einen kurzen Moment aus der oftmals so harschen Realität.

Der Realität ebenfalls ein Stück entrückt ist Lea Thomas, der mit "Cosmos Forever" ein wunderbares Kleinod experimentellen Folks gelungen ist. Dass das Album in seiner gesamten Ästhetik wie aus der Zeit und auch aus der Welt gefallen ist, liegt sicherlich auch daran, dass Thomas dieses Album zusammen mit ihrer Entourage aus hochbegabten Musikern irgendwo im Nirgendwo aufgenommen haben - "in einem Haus am Ende einer Bergstraße", wie es auf der Bandcamp-Seite heißt. Die Einsamkeit dieser entlegenen Gegend hat sich auf die Stücke sicherlich ausgewirkt. Denn "Forver Cosmos" zelebriert eine neue Langsamkeit. So wird das "We Must Be In Love" nicht zu einer endorphingeschwängerten Jubelarie, sondern zu einer intimen, von Zeitlupenrhythmen durchfluteten Traumsequenz. Die Liebe wirkt hier wie ein transzendentaler Zustand, der das lyrische Ich über alle Dinge schweben lässt. In ebenfalls höhergeordnete Sphären entführt uns "A River Runs Through", das mit einer kleinen Arpeggio-Figur auf der Gitarre und der samtweichen liebevollen Stimme Thomas' sanft unsere Augen schließt und uns einlädt, einfach einer Musik zu lauschen von einer Künstlerin, die ganz bei sich zu sein und ihre Mitte gefunden zu haben scheint. Das hat sie aber nicht erst seit gestern: Ein Blick auf ihre früheren Veröffentlichungen zeigt, dass Lea Thomas, die auf Maui aufwuchs, schon mit früheren Veröffentlichungen ihr außergewöhnliches Talent unter Beweis gestellt hat. Selbst wenn sie wie beim Erstling "Want For Nothing", das 2017 erschien, sogar noch sehr poppig und eingängig klang, besaß ihre Musik damals schon eine gewisse innere Ruhe, die sich auf "Cosmos Forever" nicht mehr versteckt, sondern sich in seiner ganzen Pracht zur Schau stellt.

Abschließend verweilen wir noch ein wenig in der wunderbaren Welt des Folks, die mit Mo Kenney eine Vertreterin der ganz besonderen Art in ihren Reihen hat. Die ernst dreinblickende Sängerin mit dem burschikosen Haarschnitt zeigt sich unter der glatten Oberfläche ihres poppigen Gitarrensounds (das in "Signs Of Life" auch mal mit pluckernden Beats liebäugelt) sehr nachdenklich und besticht durch eine weltschmerzliche Grundstimmung. Das macht bereits "Bad Times" deutlich, in der die Musikerin jene schlechte Zeiten sich zurückwünscht  - zumindest manchmal. Weil sie dadurch die schöpferische Kraft bekommt? Oder weil sie in den stürmischen Zeiten des Lebens sich selbst am meisten spürt? "From Nowhere" jedenfalls dealt nicht selten mit einer unergründlichen Traurigkeit, die sie in glitzerndes Bonbonpapier einwickelt. Wie "Evening Dream", das im Titel etwas Wärme und Geborgenheit verspricht, im Text aber genau das Gegenteil propagiert. "Goodbye baby, we weren't ready", lauten die schmerzlichen Worte über eine zum Scheitern verurteilten Beziehung. Die körnigen Pianolinien im bluesigen "Self Doubt" sowie der grummelnde Bass in "That's Not Me" unterstreichen den depressiven Tenor der Songs, in denen das lyrische Ich sich als geschlagene Seele ausgibt, die nach und nach neues Selbstbewusstsein aufbaut und versucht, aus den Ruinen ihrer Liebschaften gestärkt herauszutreten und sich ihren inneren Dämonen zu stellen. Erst das finale "Love You Better" zieht die erleichternde Conclusio: Wir alle haben unsere Bündel zu tragen, wir alle sind nicht vollkommen. Sich dem bewusst zu werden und daran zu arbeiten, kann uns nicht unbedingt zu einem besseren Menschen machen, aber zu einem authentischeren.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 27.09.24 | KONTAKT | WEITER: LMX VS. NOROMAKINA>

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Covers © TradTöchter, Maria Nikola, Triple Dolphin Records (Lea Thomas), Forward Music Group/H'art (Mo Kenney)

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                      © ||  UNTER.TON |  MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014

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