KILLING KIND "BEING HUMAN" VS. MAGIC WANDS "CASCADES" VS. GREY GALLOWS "DUNKELHEIT": VOLLE TRISTESSE VORAUS - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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KILLING KIND "BEING HUMAN" VS. MAGIC WANDS "CASCADES" VS. GREY GALLOWS "DUNKELHEIT": VOLLE TRISTESSE VORAUS

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Skandinavien ist und bleibt ein gutes Pflaster, wenn es um gehaltvollen, melancholischen und gleichzeitig einprägsamen Sound geht. Mit Killing Kind aus dem schwedischen Uppsala schickt sich eine Band an, dieses Erbe weiterzutragen und gleichzeitig neu zu definieren. "Being Human", das zweite Album, wirkt dabei noch eine Spur experimenteller, aber auch kompromissloser. Damit reagiert die Band um Sänger Björn Norberg auf die unsicheren Zeiten, die einen fiebrigen Sound zur Folge haben muss.

Dabei ist "Being Human" von einer großen Depression durchzogen, in der ein Blick auf die aktuellen gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Gepflogenheiten geworfen wird. Am Ende schlägt eine große Hoffnungslosigkeit zu Buche, die sich fast schon klischeehaft im Opener "Humanity" widerspiegelt: Dröhnende Gitarren, die tiefergestimmt die schwindende Menschlichkeit beweint. Dazu ließe sich perfekt schwofen. Doch istdieses Stück nur eine Facette im vielfarbigen Kosmos dieses Albums.

Denn bereits "Desperately Holding On" bricht das Post-Punk-Korsett ein wenig auf, ehe "The Wall" als Ballade mit einer leicht käsigen Streichersektion dem Longplayer eine ungewöhnliche Wendung verleiht. Nur um mit dem darauffolgenden "Dance" entfernt "Personal Jesus" von Depeche Mode im Beat zu zitieren und schlussendlich bei "Warriors And Carpenters" einen geradezu spacigen 70erRocksound zu kredenzen, den man in dieser Form nicht erwartet hätte.

Erst bei "Choking" schlagen vertraute Post-Punk-Klänge ans, doch da ist "Being Human" bereits zu zwei Dritteln durch. "Never So Cold" ist die letzte Verbeugung vor dem traditionellen Trübsinnssound, ehe mit "Distant World" einmal mehr Killing Kinds Bestreben, mit anspruchsvollen Songs und ungewöhnlichen Arrangements einer stilistischen Vorverurteilung entgegenzutreten. Killing Kind gelingt ein unkonventionelles und gleichzeitig spannendes Album auf der Schnittstelle zwischen vertrauten Klängen und avantgardistischen Bestrebungen.

Wer ein bisschen Ahnung von Popkultur und deren geografisch neuralgischen Punkten hat, wird bei dem Namen Nashville sofort an Countrymusik denken. Damit haben Magic Wands gar nichts am (Stetson-)Hut. Hört man in die ersten Takte ihres aktuellen Albums "Cascades", könnte man das Projekt von Chris und Dexy Valentine ohne weiteres in europäische Gefilde verorten.

Schließlich ist ihr Sound ein astreinverträumter Cold-Wave, dicht gewebt und flächig arrangiert. Dexy haucht ihre Texte mit einer leichten Entrücktheit, während die in Hall gepackten Gitarren über erdige Basslinien und üppige Synthiearabesken mäandern. Bereits ihr 2023 erschienenen "Switch" und das darauffolgende Remix-Album "Switched" ließen erahnen, dass das Zweiergespann hoch gesteckte Ziele verfolgt.

Mit "Cascades" haben sie ihre eigenen Erwartungen nicht nur erreicht, sondern spielerisch übertroffen - und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn noch stärker haben die beiden darauf geachtet, dass ihr Longplayer über einprägsame Stücke verfügt. In nahezu makelloser Perfektion ist ihnen das bei "Albatross" gelungen, welches eine sofort verfängliche Refrainmelodie bereithält.

Aber auch die treibenden Songs wie "Moonshadow" (das mit 2:28 Minuten eigentlich viel zu kurz ausgefallen ist) oder "Hide" zeigen deutlich, wie stark Magic Wands von der europäischen Post-Punk-Historie und dem 4AD-Label beeinflusst sind. Bis zum letzten Stück, dem Dreiviertel-Kleinod "Riverbed" hält das Duo die romantische Fahne hoch. Geprägt von dunkler Poesie und Gothic-Literatur werden Beziehungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart geknüpft und beobachtet, wie das Hier und Jetzt von früheren Entscheidungen beeinflusst wird.

Deswegen finden sich auch folgerichtig in "Cascades" musikalische Anleihen an ihrer ersten Scheibe "Aloha Moon" von 2012. Vergangenheit beeinflusst Gegenwart. Das lässst sich kaum besser darstellen als in Form von werksimmanenten Querverweisen. Doch auch ohne das Wissen um das Gesamte Oeuvre von Magic Wands weht durch die Kompositionen ein Hauch von Nostalgie, gepaart mit einer großen menge Schwermut. Machtin Summe ein Album, das wie geschaffen ist für die herbstliche Jahreszeit, in der die Tage grauer und kürzer werden.

Kürzere Tage bedeuten längere Nächte. Und die könnten durch die Klänge von Grey Gallows fünften Album "Dunkelheit" ein Stückchen intensiver wahrgenommen werden. Der beliebig wirkende Titel bezieht sich auf den gleichnamigen Titelsong. Hier versucht das griechische Projekt sich in deutscher Sprache, natürlich deutlich akzentbehaftet, aber durch das beschwörerische Timbre von Konstantin durchaus authentisch und frei von ungewollter Komik. Verantwortlich dafür dürfte auch die Hilfe von Suzy Herrmann, Ehefrau von Andreas Herrmann, dem Inhaber des Labels Cold Transmission, bei dem Grey Gallows unter Vertrag sind, gewesen sein.

Das Album zeigt zudem nicht nur auf sprachlicher Ebene Experimentierfreude, sondern eine klangliche Neuorientierung - natürlich in einem überschaubaren Maße. Nach wie vor sind Grey Gallows Meister sinistrer Klanglandschaften, die sich aber melodieverliebt gerieren und bei aller Niedergeschlagenheit die Eingängigkeit nicht aus dem Blick verlieren, legen das Augenmerkt aber nun auf eine deutlich elektronischere Klangästhetik.

Um diesen authentischen vollelektronischen Sound zu generieren, haben Grey Gallows mit jeder Menge analoger Technik gearbeitet, was man Songs wie "Sad Wings Of Destiny" anhört: Sie klingen gleichzeitig nostalgisch und vertraut modern, sind aber stets von den soundtechnischen Visionen von Grey Gallows durchzogen.

In einem Punkt bleibt sich das griechische Duo aber treu: Ihre Texte sind ein introspektiver Parforceritt, bei dem man sich dem Tod näher fühlt als dem Leben. dabei greift "No Answers" das Bild der Weltflucht wieder auf, das im Titelsong erstmals erschaffen wird. Dazwischen sucht das lyrische Ich Orientierung in einer vermeintlich freien Welt ("Justice Tree") oder scheitert an zwischenmenschlichen Beziehungen ("Empty As You", "Crystal Wall"), weil das Gegenüber mindestens genauso unfähig zur Liebe ist wie es selbst.

"Dunkelheit" ist wie ein tönerner Rückzug ins innere Exil, die komplette Versagung der irdischen Existenz und das Beobachten des Verfalls - sowohl bei anderen als auch bei sich selbst. Sicherlich mag es freudvollere Alben als dieses geben. Aber es bleibt, wie auch die Werke von Killing Kind und Magic Wands, ein stimmungsvoller Soundtrack für die tristen Novembertage.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 13.11.2025 | KONTAKT | WEITER: IM GESPRÄCH: GOLDEN APES>

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Cover © Aenaos Records (Killing Kind), Metropolis Records (Magic Wands), Cold Transmission Records (Grey Gallows)

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