MARQUIS "AURORA" VS. TELEX "THIS IS TELEX": WILLKOMMEN ZURÜCK
Mit Drei Akkorden zu Weltruhm gelangen - nun, so einfach war es sicherlich nicht. Dennoch hat mit dem Beginn des Punk ein radikaler Einschnitt in der Pop- und Rockmusik in den tiefen 1970ern begonnen. Sie beflügelte, wie einst der Rock'n'Roll, unzählige Jugendliche, ihr (berufliches) Glück in der Musik zu finden. Die Chance, sich ausreichend Gehör zu verschaffen, standen in dieser Zeit, in der ein wahrer Stilpluralismus herrschte, sehr gut.
So hat es sich denn 1978 im schönen Rennes in der Bretagne zugetragen, dass Philippe Pascal und Frank Darcel mit Marquis De Sade eine französische Post-Punk-Band gründete. Natürlich war die Konkurrenz groß, vor allem von der benachbarten Insel England. Dennoch gelang ihnen 1979 mit "Dantzig Twist" und dem zwei Jahre später erschienenen Folgewerk "Rue de Siam" zwei großartige Werke, die, so erklärt es uns die freie Enzyklopädie Wikipedia, vom Billboard Magazine als sehr einflussreich eingestuft worden sind.
Diese Lorbeeren bekamen Marquis De Sade aber zu einem Zeitpunkt, als sie schon gar nicht mehr Musik machten. Und es sollten noch einige Jahre vergehen, ehe sich die Band wieder reformiert. Die Planungen für einen Neustart von Marquis De Sade liefen in den mittleren 2010ern an. Viele Konzerte und einige Sessions später nahm man das neue Album "Aurora" in Angriff. Dann der Schock: Pascal stirbt 2019 überraschend im Alter von 63 Jahren, die übrigen Mitglieder sahen sich nun vor einer schwierigen Entscheidung gegenüber: aufhören oder weitermachen?
Sie fanden einen sehr guten Kompromiss. Marquis De Sade existiert nicht mehr. Dafür heißen sie jetzt Marquis, haben sich einen neuen Sänger geholt und das Album fertiggestellt. "Aurora" ist Ende und Neuanfang zugleich. Was dem Hardrocker AC/DCs "Hells Bells" ist, wird dem Post-Punker "Aurora" sein.
Vielleicht wirken die Songs aufgrund dieser Vorgeschichte so dringlich und auch lebensbejahend. Als ob die restlichen Mitglieder dem Verstorbenen nicht nur ein Denkmal setzen wollen, sondern ihm zurufen: "Salut Philippe, wir machen für Dich weiter." Vom geradlinigen "More Fun Before War" bis hin zum alternativen Saxofon-Pop bei "Brand New World" bis hin zum Bowie-esken "Ocean" fräst sich Marquis durch die Genres und Sprachen. Neben Englisch und ihrer Muttersprache singen sie bei "Für immer jung zu bleiben" den Refrain in einem zwar völlig falschen, aber dennoch putzigen Deutsch.
Marquis haben ein eindrucksvolles Werk geschaffen, das die Entwicklung der letzten 40 Jahre alternativer Gitarrenmusik in ein Album gepackt hat, ohne zerfranst oder orientierungslos zu klingen. Was aber eben nur geht, wenn man lange dabei ist und das Handwerk beherrscht.
In einem weitaus enger abgesteckten Rahmen haben sich die ebenfalls 1978 gegründeten Telex mit ihrem rudimentären Elektro-Disco-Pop bewegt. Als reines Spaßprojekt von Marc Moulin, Dan Lacksman und Michel Moers angelegt, coverten sie zunächst internationale Hits, ehe sie mit ihren Eigenkompositionen den Weg für einen belgischen Alleingang in der elektronsichen Klangerzeugung ebneten, an der zum Schluss der New Beat stehen würde.
Dass sie sich aber Telex genannt haben und damit auf einen schon damals in die Jahre gekommenen Fernmeldeschreiber verweisen, zeigt ihre visonär-humoreske Sicht auf die Technik, während um sie herum dem Beginn des digitalen Zeitalter kritiklos gehuldigt wurde - eigentlich bis heute. Das Trio hinterfragte mit seinen Coverversionen bereits die "schöne neue Welt". Stücke wie "La Bamba" verdeutlichen die Diskrepanz zwischen der puren Lebensfreude des Originals und der fast schon statischen Klangarchitektur von Telex.
Ohne Zweifel: Telex sind so etwas wie die Brutalisten unter den Elektronikern, die Le Corbusiers an den Musikmaschinen, die Zyniker im Kraftwerk-Pelz. Vielleicht war es aber gerade dieser unter einer tönernen Chromschicht verborgenen Anarchismus, der ihnen 1980 sogar die Teilnahme am "Grand Prix D'eurovision De La Chanson" ermöglichte. Ihr Stück "Euro-Vision" wurde Vorvorletzter. Moers hat aber backstage orakelt, dass Johnny Logan das Rennen machen würde. Und so war es denn auch gekommen.
Zwei Jahren nach ihrem letzten Album "How Do You Dance" (2006) ereilte der Gruppe das gleiche Schicksal wie Marquis De Sade: Marc Moulin stirbt an Kehlkopfkrebs. Telex löste sich daraufhin auf. Ihre Songs jedoch passen heutzutage mehr denn je in die musikalische Landschaft, denn sie sind "retrofuture", obwohl es diesen Begriff damals noch gar nicht gab. Ein Stück wie "Drama, Drama" könnte auch aus der Feder von Yan Wagner stammen, und "L'amour Toujours" mit seinen Bubble-Sequenzen vereint den prototypischen Techno-Disco-Pop eines Giorgio Moroder mit den dunklen Dance-Eskapaden von Miss Kittin & The Hacker.
Auf der feinen Zusammenstellung "This Is Telex" wurden die bereits genannten und noch weitere Stücke, darunter bespielsweise "Moskow Diskow" und "Twiste à Saint-Tropez" nicht nur liebevoll von übrigen Bandmitgliedern remastered, sondern von zwei unveröffentlichten Coverversionen umrahmt: "The Beat Goes On:Off", im Original "The Beat Goes On" von Sonny & Cher, sowie dem Beatles-Klassiker "Dear Prudence", die einmal mehr verdeutlichen, wie gut sich die Band auf augenzwinkernde Neuinterpreatationen verstand.
Während die einen also ihre Geschichte weiter fortschreiben, betreiben die anderen liebevolle Pflege. Dass aber sowohl Marquis (de Sade) als auch Telex immer noch gehört werden, hätten sich beide Gruppen während ihrer Gründung in jenem Jahr 1978 wohl auch nicht träumen lassen.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 26.04.21 | KONTAKT | WEITER: CLICKS VS. CIRQUE D'ESS>
Webseite:
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COVER © LADTK/BROKEN SILENCE (MARQUIS), MUTE/PIAS (TELEX)
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