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FATAL CASUALTIES VS. DAILY PLANET: SCHWEDISCH SÜSS-SAUER

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Wieder einmal schweift unser Blick sehnsuchtsvoll gen Norden: Stets auf der Suche nach erbaulicher Zerstreuung, haben unsere Antennen zwei Gruppen aus Schweden (woher auch sonst?) vernommen, die in ihrer musikalischen Zielsetzung diametraler nicht sein könnten. Auf der einen Seite des Synthesizers stehen Fatal Casualties, die ihre paranoiden Mitternachts-Lieder auf ihrem aktuellen Werk "Psalm" mit surrealistischem Eifer ausbauen – ganz wie ihre Vordenker der elektronischen Avantgarde zu Beginn der 1980er Jahre. Von diesen schummrigen Klanggebilden sind Daily Planet weit entfernt: Ihr zweites Album, schlicht "Two" betitelt, erfreut den Verbraucher mit einem wohligen Synthiepop-Gebräu. So gut gereift, als ob es aus den Kellern eines Vince Clarke stammen würde. Fast schon klebrig süß kullert der bonbonfarbene Synthetiksound aus den Boxen – aber nur fast. Sicherlich zwei Extreme, die hier und heute verhandelt werden. Aber gerade wegen ihres radikalen Anachronismus erinnern Fatal Casualties und Daily Planet uns an die spannenden Möglichkeiten, die in den Moogs, Korgs und Oberheims wohnen...

Oftmals ist es für einen Musiker schwer, seine Kompositionen in die Welt zu entlassen. Schließlich können ab diesem Punkt keine Korrekturen mehr vorgenommen werden. Am Ende sind es beispielsweise die unausgewogenen Rhythmen oder der doch nicht ganz perfekt sitzende Gesang, die dem Künstler sein vollbrachtes Werk verleiden. Lieber also etwas warten, bis man sich ganz sicher ist.

Im Falle von Stefan Ljungdahl
und Ivan Hirvonen brauchte es allerdings über 25 Jahre, bis sie ihr verschrobenes Elektro-Projekt Fatal Casualties endlich der Hörerschaft präsentierten. Als die beiden Sandkastenfreunde ihre Liebe zu Synthesizern und Keyboards entdeckten, vollzogen Depeche Mode gerade ihren Wandel von einer braven Boygroup hin zu einem erwachsenen Industrial-Pop-Act. Und im Brüsseler Untergrund läuteten Front 242 das Zeitalter der Electronic Body Music ein. In diesem Spannungsfeld begannen Stefan und Ivan, Musik zu machen. Veröffentlicht haben sie ihre Lieder nie. Zwei Jahrzehnte lang lagen Fatal Casualties praktisch auf Eis, ehe das Duo sich noch einmal an die Rechner setzte – und dieses Mal klappte es: 2012 kam mit "Paria" das erste offizielle Release heraus.

Den beiden Männern aus einem Vorort von Stockholm ist es zu verdanken, dass 2014 nun das neue 1985 ist. Ihr Album "Psalm" schmeckt stark nach synthetischer Avantgarde, verweigert sich sämtlichen produktionstechnischen Gepflogenheiten - und macht erst gar keine Anstalten, die Tanzflächen zu erobern.

Dafür schaffen Fatal Casualties mit ihren herrlich antiquierten Sounds eine beklemmende Atmosphäre, die auch vom Plattencover aufgegriffen wird: Es zeigt gefaltete Hände im Scheinwerferlicht, womöglich auf einer Bibel ruhend. Die christliche Symbolik bekommt hier eine undurchsichtige, fast schon mafiös anmutende Konnotation.

Düsternis durchzieht auch das erste Stück "Misantropisk", das mit bedächtigen Basslinien in Richtung Hörer mäandert, um ihn langsam in seinen Bann zu ziehen. "Dod Man" hingegen erinnert mit seinem treibenden, monotonen Sequenzen an die Anfangszeiten von Covenant. Gut, das Raffinement der Norweger besitzen Fatal Casualties zwar nicht - schaffen es aber dennoch, mit ihren begrenzten Mitteln eine dichte Atmosphäre aufzubauen. Das liegt vor allem an Sänger Ivan – denn er kann gar nicht singen. Aber gerade dieses Unwissen befreit ihn von sämtlichen Konventionen. Mal schreit er schmerzverzerrt wie ein Mann, dem sämtliche innere Organe bei klarem Verstand herausgerissen werden, mal heult und wimmert er, als ob er dem Wahnsinn nahe wäre. Und an anderer Stelle wirkt sein Vortrag wie ein schamanisches Beschwörungsritual. Manchmal, wie bei "Skrik Tyst", bekommen die Stücke gar einen hörspielartigen Charakter.

"Psalm“ ist ein eklektisches Album, das versucht, zwei Jahrzehnte musikalische Entwicklung des Duos auf knapp eine Stunde zu verdichten. Nur so sind die vielen Stilbrüche und der etwas uneinheitliche Sound zu verstehen. Es benötigt Zeit und Geduld seitens des Hörers, um die eigenwillige, vertrackte Welt von "Psalm" zu entschlüsseln. Mindestens drei oder vier Mal muss das Werk die Gehörgänge passieren, um die Vision zu verstehen, die Hirvonen und Ljungdahl hatten - und für die sie selbst viel Zeit verstreichen lassen mussten.

Nichts überstürzen – so lautet wohl auch das Credo von Daily Planet. Das skandinavische Duo hat es in 20 Jahren Bandgeschichte gerade mal auf ein Album gebracht. 18 Jahre lag dieses Synthie-Pop-Projekt auf Eis: Das Leben geht eben manchmal komische Wege – obwohl es im Fall von Sänger Jarmo Omilla und Tastenmann Johan Baeckström zunächst durchaus vielversprechend begann.

Ihr Debüt "The Tide" erschien 1996 – zu einer Zeit also, als Musik aus dem Synthesizer vor allem in Form von Hochgeschwindigkeitstechno oder böse verzerrtem Dark Electro durch die Lande waberte. Daily Planet wollte von all dem nichts wissen: Ihr Erstling war ein Stück heile Musikwelt. "Milky Way" und "Radioactive Love" füllten die hiesigen Tanzflächen recht ordentlich: Die Süßstoff-Melodien ließen sich mehr als perfekt in ein DJ-Set mit 80er-Hits einbauen! Daily Planet, das war Pop in seiner reinsten und unschuldigsten Form – ein Umstand, der damals wohlwollend anerkannt wurde.

Dann urplötzlich das Ende! Daily Planet existierte nicht mehr - und keiner wusste, warum. Erst in den Nuller-Jahren trat zumindest Jarmo wieder auf den Plan, dieses Mal mit dem Projekt Mr. Jones Machine. Seinem Stil blieb er treu; leider nahm hierzulande trotzdem kaum jemand Notiz von diesem Act. Schuld daran war vielleicht auch das zweite Album "Återvändsgränd", das von Omilla komplett in schwedischer Sprache eingesungen wurde. In seinem Heimatland zumindest blieb der Musiker eine respektable Größe in der Synthie-Pop-Szene, die im Laufe der Jahre immer weiter anwachsen sollte.

Mittlerweile besitzt diese Sparte einen unglaublich hohen Stellenwert im nordeuropäischen Raum: Viele Bands, darunter Vision Talk
oder Thermostatic, bilden die Speerspitze einer neuen Bewegung, die sich komplett der Klangtüftelei aus dem elektronischen Instrumentarium verschrieben hat. Sie interpretieren den Pop-Begriff mit hypermelodischen Kompositionen - ohne das für Schweden typische, melancholische Moment aus den Augen zu verlieren.

In dieser Phase nun treten Daily Planet erneut auf den Plan. Omilla und Baeckström fanden im vergangenen Jahr wieder zueinander – und der alte Zauber ist wieder da. Das zweite, schlicht "Two" betitelte Album macht genau da weiter, wo die Musiker mit "The Tide" einst begonnen hatten: Der in Großaufnahme abgelichtete Drehknopf auf dem Cover, der auf die Zahl Zwei gestellt ist, lässt selbst den Unwissenden ahnen, dass es sich bei diesem Klangwerk wohl eher nicht um ein akustisch eingespieltes Album handeln dürfte.

Wenn von Popmusik die Rede ist, muss auch das Wesen eines Pop-Albums zur Sprache kommen. Noch immer wird die Anordnung der einzelnen Stücke auf einer Platte von vielen Produzenten stark unterschätzt. Nicht so bei Daily Planet: Mit "Forgiven" eröffnet ein angenehm im Mid-Tempo angesiedeltes Stück den tönernen Reigen von "Two". Allem voran, bleibt der leicht ätherische Refrain sofort im Gehör - und führt perfekt in den Klangkosmos von Daily Planet ein. Über die gesamte Platte wird der Spannungsbogen gehalten, findet mit "World In Grey" im Mittelteil einen weiteren Höhepunkt - und endet im wehmütigen Schwanengesang von "Orbit", dem letztem Blick zurück aus der Raumkapsel auf unseren Blauen Planeten. Dass dieser Song auch die gute alte Tradition des Ausblendens nutzt, ist in diesem Fall nur konsequent: Der Protagonist verlässt langsam unsere heimischen Gefilde – und lässt den Zuhörer mit einem dicken Kloß im Hals und einer Träne im Knopfloch zurück.

Gewiss, Daily Planet tragen dick auf. Das liegt auch an der Stimme von Jarmo, die hell und samtweich das Ohr umschmeichelt: Sein Organ ist die gelungene Mischung aus Erasure
-Stimme Andy Bell und Morten Harket von A-Ha. Kein Wunder also, dass die Songs auch klanglich in diese Richtung gehen: Der emotionale Elektro-Pop verweist natürlich an die Ideale eines frühen Vince Clarke. Auch er schaffte es als Vordenker von Yazoo, Anfang der 1980er Jahre der synthetischen Klangerzeugung Wärme und Gefühl einzuhauchen. Der Clou war damals, die rauchige Soul-Stimme von Alison Moyet perfekt in Szene zu setzen (immer noch unerreicht: "Winter Kills"). Omilla gelingt dieses Kunststück ebenfalls - wenngleich seine Stimmfarbe eher schwermütig und introvertiert daherkommt.

Damit stehen Daily Planet aber eben in bester skandinavischer Tradition – und bewegen sich stilsicher im erlesenen Zirkel jener Musiker, die ihren eingängigen Songs gerne und überzeugend auch stets etwas Weltschmerz einimpfen. Dementsprechend verhandeln die Stücke Themen wie Einsamkeit oder Verlassen-werden - gängige Standards, die hier jedoch bestens funktionieren, weil sich Daily Planet nie zu schade sind, sich mit ihrem ganzem Körper ins Gefühl zu schmeißen. Wenn schon, denn schon! Fazit: herrlich "
cheesy".

Ob nun experimentelle Soundscapes oder bittersüße Melodiebögen: In Schweden gelingt es nahezu nonchalent, substantielle Musik von langer Haltbarkeit zu entwerfen – ganz im Gegensatz zu den Press-Span-Regalen einer gewissen Möbelkette selbig
er Nationalität. Elektronische Musik liegt den Nordlichtern dann doch eher im Blut...

|| TEXT: DANIEL DRESSLER // DATUM: 25.09.2014 ||| DEINE MEINUNG? MAIL SCHREIBEN! || WEITER: REAKTON "WELTALL:ERDE:MENSCH" >



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Bandpages
www.fatalcasualties.com
www.facebook.com/dailyplanetband


BILDQUELLE © SEJA RECORDS (FATAL CASUALTIES), PROGRESS PRODUCTIONS (DAILY PLANET)

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