WAVE-GOTIK-TREFFEN 2020: SCHWARZ VOR AUGEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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WAVE-GOTIK-TREFFEN 2020: SCHWARZ VOR AUGEN

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Unser Leben ist durch die Corona-Krise in neue Bahnen gelenkt worden. Der zwischenmenschliche Kontakt wurde auf das Notwendigste eingedampft, es gelten höchste Sicherheitsvorkehrung zum gesundheitlichen Schutz der Menschen. Das bedeutet auch, dass größere Menschenansammlungen nicht mehr möglich sind. Denn trägt nur einer dieses Virus in sich, kann er binnen kürzester Zeit unzählig viele andere Menschen anstecken, was einen unkontrollierbaren Flächenbrand zur Folge hätte.

So weit, so klar. Umso unverständlicher dagegen wirkt das Verhalten der Veranstalter des Leipziger Wave-Gotik-Treffens. Auf ihrer Homepage halten sie an der Veranstaltung dieses Festivals fest: "Fakt ist, daß wir weiterhin an unterschiedlichen Möglichkeiten einer Umsetzung arbeiten und das WGT zu Pfingsten durchführen wollen, in welcher Form auch immer." Es grenzt entweder an unkaputtbarem Optimismus oder schierer Ignoranz ob der globalen Situation, die die Macher zu dieser Einschätzung der Lage kommen lassen. Schließlich zieht das WGT rund 20.000 Menschen aus allen Ecken und Enden der Welt heran, ist damit de facto doch eine Großveranstaltung. Oder? Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung jedenfalls hat dem Bachfest sowie dem Rammstein-Konzert in seiner Stadt bereits eine Absage erteilt, und auch das WGT werde nach seinen Aussagen nicht stattfinden können.

Genau an diesem Punkt fahren die Organisatoren eine höchst schwammige Theorie auf. Nicht nur, dass sie Jungs Aussage als eine persönliche Einschätzung und somit nicht rechtskräftig beurteilen, sie bezweifeln auch, dass das Wave-Gotik-Treffen nicht einer Großveranstaltung entspeche: "Das WGT kann nur bedingt als Großveranstaltung betrachtet werden, insbesondere aber nicht in dem bereits von einigen Bundesländern definierten Sinne. Beim WGT handelt es sich bekanntermaßen um eine dezentrale Veranstaltung. Die zahlreichen Spielstätten, faktisch alle mit einer Dauerkonzession versehen, sind über die gesamte Stadt verteilt und bieten unterschiedliche Kapazitäten. Nimmt man dies als Basis, eröffnen sich vielfältige Optionen, das WGT in einer alternativen Form, den Widrigkeiten zum Trotz, umzusetzen." In die Praxis transportiert würde das bedeuten, dass man ohne größere Hallen wie jene auf dem Agra-Messegelände planen müsste - oder zumindest eine Besucherbeschränkung für das Areal an der Bornaische Straße in Erwägung ziehen sollte. Dabei ist gerade dieser Ort, der zudem auch Platz für die zeltende Festivalgemeinde bietet, und deren Unterbringung ebenfalls völlig ungesichert ist, unerlässlich für den viertägigen schwarzen Rummel.


Doch müssen die Überlegungen noch viel weiter vorgreifen: Wie können Gäste, Bands, Künstler und Händler, die ebenfalls aus aller Herren Länder stammen, bei den momentan geschlossenen Grenzen nach Deutschland einreisen? Und welche Konzepte besitzen die Organisatoren des WGT im Bezug auf das Einhalten der Hygiene- und Abstandsregeln, wenn der Abend fortgeschritten und einige Festivalgänger alkoholbedingt es nicht mehr so genau mit den Vorschriften nehmen - ganz zu schweigen von der Auslastung der öffentlichen Verkehrsmittel? Das WGT beginnt und endet nicht an der Einlasstür der jeweiligen Veranstaltungsorte, sondern umfasst die ganze Stadt.

Am Ende bleiben einfach zu viele Fragezeichen, die eine sichere Umsetzung dieses weltweit bekannten Gothic-Festes garantieren würden. Scheinbar besitzen die Veranstalter aber nicht den geringsten Zweifel an der Duchrführung dieses Großereignisses. Auf ihrer Facebook-Seite haben die Macher noch bis Mitte März, als es schon abzusehen war, dass die Corona-Pandemie unser Leben schwer beeinträchtigen wird, ihre weiteren Bandzusagen verkündet - und ernteten zumindest verwunderte Kommentare ob ihrer Zuversicht. Am 15. April veröffentlichten sie einen Post, in dem sie auf eine rechtzeitige Hotelbuchung für das 2021er-WGT hinwiesen - für viele eine Information zur Unzeit, die mit heftiger Kritik quittiert wurde.

Das Verhalten der Veranstalter ist jedoch zu einem gewissen Punkt nachvollziehbar. Man wartet anscheinend auf eine offizielle, sprich: schriftliche, Absage des Wave-Gotik-Treffens seitens der Stadt Leipzig, die aber laut den Verantwortlichen weder in schriftlicher noch mündlicher Form auf sie zugegangen ist. Wie so oft, geht es auch hier ums liebe Geld, das bei einer Absage der Veranstaltung in den Sand gesetzt wird. Momentan wirkt es aber so, als würden sich beide Seiten nicht aufeinander zubewegen und auf den ersten Schritt des Gegenüber abwarten. Eine unerträgliche Situation, vor allem für die Gäste, die offenkundig im Unklaren gelassen werden.


Die bereits zu früheren Zeit bemängelte Kommunikation zwischen Veranstalter und Gästen zeigt sich in dieser Situation besonders drastisch: auf Fragen der Internetgemeinde wird anscheinend nicht geantwortet, die Organisatoren ziehen sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück und werfen mit ein paar dürren Worten um sich, die eher um das Problem herumschleichen wie um einen heißen Brei, anstatt die Faktenlage klar zu benennen. Das ist wenig professionell und schürt bei manch einem sogar der Verdacht einer Insolvenzverschleppung. Älteren Semester dürften die unschönen Ereignisse des Millenniums-WGT wieder ins Gedächtnis kommen, als das Festival kurz vor dem Aus stand wegen fehlender Liquidität. Auch wenn diese Annahmen äußerst spekulativ sind, beschädigt das indifferente Auftreten den Ruf dieses weltweit anerkannten Gothic-Festivals nachhaltig. Eine deutlichere Informationspolitik ist daher nicht nur wünschenswert, sondern dringend erforderlich, wollen die Veranstalter nicht noch mehr Kredit verspielen.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 29.04.2020 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 5/20>

Webpage:
www.wave-gotik-treffen.de

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