JUNO REACTOR "THE MUTANT THEATRE" VS. B.ASHRA "TICKET TO THE MOON": BEWUSSTSYNTHSERWEITERUNGEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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JUNO REACTOR "THE MUTANT THEATRE" VS. B.ASHRA "TICKET TO THE MOON": BEWUSSTSYNTHSERWEITERUNGEN

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Dank fortschreitender Technologisierung schaffen es leistungsstarke Synthesizer und ausgeklügelte Musikprogramme für den Rechner heutzutage problemlos, ein ganzes Orchester täuschend echt zu imitieren. Doch ist ein elektronisches Musikinstrument nicht erst dann spannend, wenn es eben nicht versucht, andere Instrumente nachzuahmen, sondern seine modifizierten Sinustöne in den Äther zu schicken?

Schließlich besitzen diese Klänge bis heute eine ganz eigene Konnotation, die irgendwo zwischen Bewusstseinserweiterung und Weltraumvertonung liegt. Für ersteres sorgt bereits seit mehereren Jahrzehnten das Projekt Juno Reactor. Dessen zentrale Schaltzelle ist der Brite Ben Watkins, der in wechselnden Kooperationen seine Vision von aufregender Musik der Welt darbieten möchte. Bekannt wurden seine brodelnden Bassläufe und cienastischen Sounds vor allem durch den zweiten und dritten Teil der Science-Fiction-Oper "Matrix". Zu diesem Zeitpunkt hat er seine klanglichen Vorstellungen, die stets eine Verschmelzung aus Elektronik und Soundtrack vorsieht, breits perfektioniert. Einigen Clubgängern aus den frühen 90ern dürfte noch der Psy-Trance-Club-Hit "High Energy Protons", das auch seine frühere Neigung zu Electro-Punkern wie DAF durchschimmern lässt, in den Ohren liegen.

Einiges davon findet sich als deutliche Referenz auf dem aktuellen Longplayer "The Mutant Theatre" wieder. Selbst bei absoluter Unwissenheit über das Projekt selbst, dürfte der erste Song "The Return Of The Pistolero" in einem oder anderen die Frage aufkommen lassen, ob es da nicht schon einmal einen Song gab. Gab es! Anno 2000 gingen in "Pistolero" Mariachi- und Flamenco-Klänge eine explosive Liaison mit den blubbernden Sequenzläufen und spacigen Elektronikflirrereien ein. Den Gitarrenpart spielte seinerzeit übrigens Billy-Idol-Gitarist Steve Stevens ein.

Auch "Our World" erinnert mit seinen markant perkussiven Parts an "Conquistador" aus dem Meilenstein-Album "Labyrinth" von 2004 (jenes, das auch "Matrix"-Soundeinlagen wie "Mona Lisa Overdrive" enthält). Doch dieser retrospektive Blick zu Begin von "The Mutant Theatre" bedeutet nicht, dass Watkins und seine soundaffine Entourage nur noch das Erschaffene konservatorisch vor sich hertragen. Vielmehr sind das nur kurze Rückblicke auf das bisher Geleistete, um darauf mit sanften Neuerungen den Klangkosmos von Juno Reactor ein weiteres Mal auszudehnen.

Denn bereits "Let's Turn On" schmeichelt mit einer extrem starken Hinwendung auf gefällige Pop-Melodien, und auch "Alien" wirkt bei allen ausufernden Arrangements auch sehr zugänglich (was vielleicht auch an den klassischen Weltraumklängen liegt, die hier angewendet werden).  Ansonsten verlassen sich Watkins und Konsorten auf ihr untrügliches Gespür, Stücke in cineastischer Breite aufzubauen ("The Sky Is Blue, The Sky Is Black"), Ethno-Elemente in massive Rhythmuskorsette zu schnüren ("Dakota") oder auch sehr reduziert den psychedelischen Effekt ihrer Klänge auszuspielen ("Voyager 304").

Nach all den schweißtreibenden Nummern gönnt sich Watkins  bei "The Tannhauser Gate" eine abschließende Meditation. Auf einer sprichwörtlich eintönigen Grundlage bauen sich flirrende Geräusche und sanft angestoßene Arpeggi-Girlanden zu einer träumerischen Gesamtheit auf, die es in dieser klanglichen Klarheit bei Juno Reactor zuvor noch nicht gegeben hat. Einmal mehr ein deutlicher Beleg dafür, dass es Mastermind Ben Watkins auch nach mehr als 25 Jahren Musikzirkus versteht, seine typische Handschrift beizubehalten und gleichzeitig nach Innovationen Ausschau zu halten, um nicht am Ende eine dröge Wiederholung der Wiederholung der Wiederholung zu werden.

Um die Entspannungsphase weiter foranzutreiben, empfiehlt es sich übrigens, unmittelbar nach "The Tannhauser Gate" in das wunderbare "Dreamfish", dem 25-minütigen Eröffnungsstück von B.Ashras fünften Album "Ticket To The Moon" überzugehen. Denn das Berliner Projekt um Bert Olke richtet mit diesem fast zweieinhalbstündigen Klangexperiment seinen Blick gen Himmel und entdeckt dabei die schlichte und doch atemberaubende Schönheit unseres treuen Erdtrabanten, der jüngst dank seiner Verfinsterung wieder allerorts für mystisches Staunen gesorgt hat.

Dass der Mond Einfluss auf unseren Planeten ausübt, dürfte wohl unbestritten sein. Ohne ihn wäre vermutlich ein Leben auf der Erde in dieser Form gar nicht möglich. Warum ihm also nicht auch ein musikalisches Denkmal setzen? B. Ashra tut dies einmal mehr in Form der kosmischen Oktave, die bereits in früheren UNTER.TON-Artikeln in aller Breite erklärt worden ist. Kurz gesagt: Die Schwingung des Mondes bildet das Fundament für "Ticket To The Moon". Einige Stücke sind komplett auf die verschiedenen Mondphasen abgestimmt, andere wiederum versuchen, durch ihre sanft pulsierenden Klänge und Rhythmen die eigentlich nicht zu fassende Magie dieses Himmelsgestirns zu erahnen.

Das Album, eine Live-Set vom 2008er Odyssee-Festival im Berliner "Tacheles", wandelt musikalisch zwischen absoluter Kontemplation, innerer Einkehr und sanft beschwingter Elektronik. Dabei zäumt B. Ashra das Pferd von hinten auf, beginnt erst einmal mit meditaitven Klängen, um sich langsam einer Mondanbetung anzunähern, die sich im ekstatischen Tanz auflöst. So animiert "Drop Out", allen flächigen Sounds zum Trotz, mit seinen transparenten Rhythmen bereits zum sanften Hin- und Herwiegen des Körpers. Und "Spunk" verlässt sich komplett auf einen durchgezogenen House-Beat, der von interstellaren Geräuschen und einigen Sprachfetzen-Samples durchbrochen wird.

Spätestens bei "Edward", das mit minimalen Hard-House- und Acid-Elementen die prosperierende Berliner Rave-Szene in den Mittneunzigern wieder in Erinnerung ruft, wird jeder Alt-Technotiker nicht umhinkommen, ein feines Lächeln über seine Mundwinkeln huschen zu fühlen. Denn dieses Stück wie auch das nachfolgende "Orbital" lässt die heute fast sorglos erscheinenden Zeiten der "Members Of Mayday"-Generation noch einmal kurz aufblühen, ehe mit "Mystic Steel" der mitternächtliche Reigen rund um den fahlen Himmelskörper ein sanftes Ende findet und eine erneute Meditation stattfindet, die sich in "Plutosphere" sogar bis an den Rand unsereres Sonnensystems wagt.

Und so eint B. Ashra und Juno Reactor - trotz des grundsätzlich anderen Ansatzes - die Suche nach dem Moment in der elektronischen Musik, das das Genre so "uplifting" macht, wie es der Engländer pointiert beschreibt. Man taucht in die Songstrukturen ein und blickt auf einmal über den Tellerrand seiner Existenz, streckt den Kopf weit ins Universum aus und erlangt eventuell neue Erkentnisse. So ein Synthesizer ist und bleibt eben eine bewusstseinserweiternde Maschine.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 16.08.2018 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 8/17 >

Webseite:
www.junoreactor.com
www.b-ashra.de

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COVER © Metropolis Records/Soulfood (Juno Reactor), Klangwirkstoff (B.Ashra)

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