6/25: SWANS, YASS, FRANKIE AND THE WITCH FINGERS, NEW CANDYS, PALE BLUE DOT - SCHWARZE LÖCHER, WEISSE RIESEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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6/25: SWANS, YASS, FRANKIE AND THE WITCH FINGERS, NEW CANDYS, PALE BLUE DOT - SCHWARZE LÖCHER, WEISSE RIESEN

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2025
Man muss schon ein Konzert von Swans beigewohnt haben, um das Konzept zu verstehen, das Frontmann Michael Gira seit der Gründung der Band in den Wirren des No Wave aufgebaut hat. Denn es ist nicht der Song, sondern der Lärm und seine Wiederholung, die im Vordergrund steht. Das ist bei dem aktuellen, mittlerweile 17. Studioalbum mit dem fast schon meditativen Titel "Birthing" nicht anders. Auch wenn das Werk sicherlich viele Zugeständnisse macht (zum Bespiel beim Finale von "I Am A Tower", das sich wie eine Dauerschleife von Bowies "Heroes" anhört), bleibt es nach wie vor ein echter "Gira"  - mit all seinen Ecken und Kanten. Vor allem die Länge seiner Songs sind ein großes "F*** off" gegen die momentanen Hörgewohnheiten. Denn wo im Pop ein solider Schinken spätestens nach 2:45 Minuten sein jähes Ende gefunden hat, geht auf "Birthing" nichts unter sechs Minuten. Tatsächlich sind bis auf ein Stück ("Red Yellow", ein grandioses Stück hypnotischer Rockmusik) alle anderen Lieder nicht kürzer als zehn Minuten. Aber diese Zeit braucht es, um die unheilvollen, teilweise drastischen Texte auszubreiten. Doch der destruktive Klang ist einer gewissen Altersmilde gewichen. Klar: Swans sind weiterhin der Antichrist der Popmusik und gehen einen ganz eigenen experimentellen Weg. Doch wo einst krachende  Sounds in Dauerschleife und mit Lautstärkereglern bis zum Anschlag die Hörerschaft in den Herzklabaster treibt, fokussiert sich "Birthing" auf erschütternde, aber nie bretternde Songs. Nur einmal bricht es aus ihm heraus. "The Merge" beginnt nach einem "I love you mommy" aus  Kindermund mit donnernder Doublebass und fiesen Störgeräuschen, ehe eine umherschleichende Bassfigur und schleppende Rhythmen ein anderes Bild zeichnen. Doch das Klangchaos kehrt zurück, während die Kinderstimme (in Deutsch) bis zehn zählt. "Birthing" wird unter dem Strich jeden Swans Fan glücklich machen, obwohl - oder vielleicht weil - die Zeit des scheinbar unkontrollierten Krachs (denn bei Swans wurde nie etwas dem Zufall überlassen) in eine ruhigere Introspektion gegangen ist.

Auf den ersten Blick passt diese Referenz so gar nicht zusammen: Was, bitteschön, haben Kraftwerk mit Noise-Rock zu tun? Zugegeben: Die Mensch-Maschinen haben auch den HipHop maßgeblich beeinflusst, was wie eine Ironie der Musikgeschichte anmutet. Vier Weißbrote prägen die Musikkultur der People Of Colour entscheidend mit. Bei dem deutschen Duo Yass steht vor allem die Monotonie und die mantragleiche Redundanz der Elektronikpioniere im Vordergrund. Jedoch sind die Vorzeichen ganz andere: statt pluckernder Beats brachiale Drums, statt sanfte Synthesizertöne dröhnende Gitarrenwände, statt distanzierter Nichtgesang alerte, verhallte Shouts wie im Fieberwahn. "NoBots" darf man in diesem Zusammenhang als kleinen Gruß an die Düsseldorfer interpretieren. Wobei die Klangkulisse nicht futuristisch, sondern apokalyptisch ist. Dass Yass ihr drittes Album "Feel Safe" getauft haben, ist gnadenloser Sarkasmus. Denn "safe" fühlt man sich auf diesem Album keineswegs. Jeder der acht Songs hat das Potenzial, den Hades nicht nur ein Stück weit zu öffnen, sondern mit einer gewaltigen Kraftanstrengung aufzureißen, sodass es kein Entkommen mehr gibt. Ein Song wie "Got Hurt" beispielsweise sucht seinesgleichen. Im Grunde genommen transferiert dieser Song perfekt die Parameter von Electronic Body Music in die Sprache der Rockmusik um - quasi Nitzer Ebb im Noise-Rock-Gewand. Doch alle Vergleiche, die gezogen werden, kratzen nur an der Oberfläche. Letztlich muss jeder selbst diese Band für sich entdecken. Aber Vorsicht: Der wilde wiewohl hypnotische Sound, die sich auftürmenden Stromgitarrenklänge und die klaustrophobische Atmosphäre der Songs macht dieses Album zu einer Grenzerfahrung. Vergleichbares wie Yass ist einem  bislang noch nicht untergekommen. Deswegen: Hut ab für dieses Kleinod innovativer Rockmusik.

Es muss aber nicht immer das Rad neu erfunden werden, wie Frankie And The Witch Fingers seit einigen Jahren zeigen. Mit ihrem neuesten Werk "Trash Classic" geht die 2013 in Bloomington, Indiana gegründete Band ihren Weg unbeirrt weiter, der sich zunächst noch an den Beatles in ihrer psychedelischen Spätphase orientierte und mittlerweile durch einen wilden und ungestümen (Post-)Punk abgelöst worden ist. Es dominieren weiterhin knackig-krachige Gitarrenriffs, angetrieben von einer ungefilterten Wut. Doch auch dieses Mal bleibt das Musikerkombinat um Frontmann Dylan Sizemore nicht auf der Stelle stehen, sondern nimmt neue Aspekte und Sichtweisen in ihre musikalische Vision auf. Jon Modaff, der erstmals 2021 am Schlagzeug Platz genommen hat, ehe er wieder bei den "Hexenfingern" ausstieg, ist mittlerweile festes Mitglied - jedoch nicht für die Trommelei zuständig, sondern nun an den Synthesizern positioniert. Zusammen mit Josh Menashe, der neben anderen Instrumenten auch die Elektronik bedient, geben sie den Stücken auf "Trash Classic" einen Touch Devo-Style. Ohnehin klingen Frankie & The Witch Fingers wie eine Band, die irgendwann um 1978 in England entstanden sein muss. Ihr zackiger Sound, wie er geradezu exemplarisch bei "Economy" ist, erinnert nicht von ungefähr an Bands wie Magazine. Vor allem aber stimmt die Energie beim Fünfergespann: Dylan singt, geifert, speit, ist richtig angepisst.  Josh bearbeitet die Saiten, als ob es kein Morgen gäbe, Nicole Smith sorgt mit ihrem Bassspiel für das feste Fundament der Stücke, Jon quetscht krude Sounds aus den Kisten heraus und Nick Aguilar macht sich über seine Trommeln her wie das Tier bei den Muppets. Wie gesagt: "Trash Classic" erfindet das Rad nicht neu. Doch mit Stücken wie "Total Reset" oder "Dead Silence" beweisen die Amerikaner, dass sie vor allem eines können: Musik auf den Punkt komponieren. Kein Leerlauf und keine selbstvergessene Dudelei, sondern konzise, auf Kante genähte Stücke machen das aktuelle Album zu einem ihrer bislang besten.

Diesen Superlativ darf man auch den Italienern von New Candys zuschustern: Ihr drittes Album "The Uncanny Extravaganza" führt die Tradition der Band aus Venedig, in genreaufhebenden Wegen zu denken, weiter. Es sei hier nur gemutmaßt, aber ihr Bandname könnte ein Hinweis auf das großartige Album "Psychocandy" von The Jesus And Mary Chain sein, die 1985 das Genre Shoegazing vorwegdachte. Schließlich besitzt der Sound der Band um Sänger Fernando Nuti einen großen Bezug zum sich ausformenden Indie-Rock von vor 40 Jahren. Schielten die ersten Werke noch unverhohlen in Richtung Psychedelica, hielt spätestens beim Vorgänger "Vyvyd", welches vor vier Jahren auf den Markt kam, der Synthesizer Einzug in die Songs ein. Doch wirkten diese elektronisch unterfütterten Rocknummern vergleichsweise schüchtern. So wird "The Uncanny Extravaganza" von "Regicide" eröffnet, einem Track, das mit einer kompromisslos dröhnenden Gitarre, breiigen Bässen, marschierenden Computerdrums und alerter Elektronik eine weitere Öffnung des Klangkosmos von New Candys bewirkt. Auch "Cagehead" stammt aus der Abteilung Attacke und ist mindestens ebenso massiv wenngleich etwas gedrosselt im Tempo. Allerdings wird der Klang aus der Retorte nur sparsam in die Stücke eingepflegt. Das Quartett ist und bleibt eine Rockcombo, die sich eine gewisse Bratzigkeit bewahrt hat. Manchmal schaffen sie aber auch so etwas wie eine Indie-Variante diverser Kuschel-Rock-Schmachtfetzen: "Aquawish" kommt ohne falschen Pathos daher, verwaschene Saiteninstrumente und pluckernde Rhythmen lassen eine tiefe Sehnsucht vermuten. Und "Gills On My Lungs" kann fast schon als Popsong durchgewunken werden, so glockenklar klingen die Synthesizer und breitbeinig die Saiteninstrumente. "The Uncanny Extravaganza" markiert einen wichtigen Meilenstein in der Karriere von New Candys.

Der "Pale Blue Dot" ist eigentlich eine Aufnahme der Erde durch die Voyager 1 Sonde, als diese sich bereits 6 Milliarden von unserer Sonne entfernt hat, sodass unser Planet nur als "blassblauer Punkt" erkennbar ist. Das 1990 veröffentlichte Foto wurde in Zusammenhang mit den philosophischen Überlegungen vom amerikanischen Astrologen Carl Sagan Sinnbild für die Stellung des Menschen innerhalb des Kosmos. Bei der italienischen Band Pale Blue Dot steht diese Idee im Zentrum ihres ersten fulminanten Albums "(H)eart(h)", das die Fragilität unserer Existenz thematisiert. "Heart" (Herz), "Earth" (Erde) und "Hearth" (Feuerstelle) sind Teile des Lebens. Für diesen Erstling haben sich Pale Blue Dot ganze drei Jahre Zeit gelassen, um ihren eigenen Sound zu kreieren, der sich zwischen Psychedelia, Shoegaze und New Wave eine Nische gesucht und gefunden hat. Auf einem üppig ausgepolsterten Klangbett singt Tommaso Lampronti mit viel Hall über die Aspekte des Lebens. Dabei kann es wie bei "Green Fairy Tale" auch um den Konsum von Absinth handeln oder eine Hommage an den Vater des Sängers in "Rollercoaster" sein. "Destruction Or Resurrection" dagegen (der vielleicht post-punkigste Track von allen) stellt die Frage, wie wir mit unseren Planeten in Zukunft umgehen wollen. Das Stück hätte vielleicht noch eine größere Wirkung am Ende von "(H)eart(h)" entfaltet, denn es schließt mit den großartigen Worten des bereits oben erwähnten Sagan ab: "Look again at that dot. That's here. That's home. That's us." Aber das ist nur ein klitzekleiner Kritikpunkt an einem Album, das in seiner Entität so mächtig und majestätisch schön wirkt, wie es das Weltall selbst ist.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 18.04.25 | KONTAKT | WEITER: SIIE VS. SEASURFER>

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