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BLACKIEBLUEBIRD: "A SYMPHONY OF SHADOWS" VS. SIEBEN "BRAND NEW DARK AGE": WEGSCHAUEN, HINSCHAUEN

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Um das zu beschreiben, was BlackieBlueBird aus Kopenhagen musikalisch fabrizieren, kann man den Titel ihres Vorgängers heranziehen. Dieser wurde nämlich "Grace & Gravity" getauft und bildet damit die wichtigsten Eckpunkte des Klangkosmos von Sängerin Heidi Lindahl und Musiker Nils Lassen. Da sind zum einen die eleganten, mäandernden Sounds, bestehend aus wehmütigen Mandolinen, sanft angeschlagenen Drums und in Hall gepackte Gitarren, die Sehnsuchtsorte generieren, von denen man als Rezpient gar nicht wusste, dass sie in einem existieren.

Und dann ist da natürlich Heidi Lindahl, die mit ihrem glockenhellen Vibrato gleichzeitig romantisch und umarmend wirkt, aber auch verletzlich und melancholisch. Bei ihr werden Songs zu traumwandlerischen Spaziergängen durch Wiesen mit surrealen Farben. Die stilistische Nähe zu Hope Sandoval (Mazzy Star) ist gegeben, wobei Heidi nicht so verwaschen und somnambul singt, sondern eher sehnsüchtig und klar wie eine Meerjungfrau auf einem Felsen. Auch zur von der Redaktion sehr geschätzten Schwedin Alice Boman ("Dream On" gehört zu den schönsten Alben des Jahres 2020) können Parallelen gezogen werden.

"A Symphony Of Shadows", das vierte Album, macht einfach da weiter, wo das Zweiergespann bei "Grace & Gravity" aufgehört hat. Schon zu Beginn kredenzen uns BlackieBlueBird mit "Flying Too Close To The Ground" einen herzerwärmenden Ohrenschmeichler, inklusive eines Refrains, der einem den Boden unter den Füßen wegzieht. In ähnlicher Weise bezirzt auch "Sorry Lives Here No More", bei dem Lassen seine ganzes Können als Arrangeur und Musiker unter Beweis stellt. Und wenn Heidi "What Time Is It?" im gleichnamigen Song fragt, antwortet die Musik mit ihren tippelnden Sounds: "Es ist Mitternacht. Ergib Dich ihrer Schönheit!".

Auf ihrer aktuellen Scheibe haben sie sich, so die Presseinfo, von den positiven Reaktionen ihres Vorgängers anstacheln lassen und einen üppigeren Sound produziert, bei dem auch Gastmusiker eine größere Rolle spielen. Drummer Tomas Ortved sei an dieser Stelle ebenso genannt wie Lazlo Singer, der unter anderem beim Opener die schummrige Atmosphäre um irisierende Streicherelemente bereichert, und Pianist Tashi Mutzaki. Sie alle haben dazu beigetragen, dass "Symphony" im Albumtitel durchaus für bare Münze genommen werden kann. Tristesse de luxe im Breitwandformat. Eskapistisch schön.

Wem aber nicht nach Realitätsflucht ist, kann bei Siebens neuem Werk "Brand New Dark Age" der Realität in ungeschönter Weise beiwohnen. Der Brite, der eigentlich Matt Howden heißt und dessen furioses Geigenspiel und experimenteller Umgang mit seinem Instrument ihn im Laufe der letzten 25 Jahre zu einer authentischen Erscheinung im Musikzirkus avancieren ließ, wurde vor allem von der Gothic Szene liebevoll aufgenommen. Trotz seiner dekadenumspannenden Karriere, bei dem er sich zum Liebling der Presse mauserte, ist ihm der große Erfolg, auch in Deutschland, bislang verwehrt geblieben.

Da nützten auch eine Kollaboration mit den Münchner Pagan-Folker von Faun sowie regelmäßige Auftritte beim Wave Gotik Treffen und auch eine Beteiligung am Soundtrack von "Saw II" nur wenig. Matt Howden alias Sieben ist in seinem künstlerischen Ausdruck zu anspruchsvoll, um auf ein breites Interesse zu stoßen. Das hat allerdings auch seine Vorteile: Der Mann, der unter anderem auch als Musikproduzent und Hochschulleherer seine Brötchen verdient, besitzt eine vollständige künstlerische Autarkie. Keiner redet ihm in seine Songs rein.

Das lässt die Nummern auf "Brand New Dark Age" so ungestüm und dringlich wie selten ein Album des Meisters zuvor klingen. So beginnt das neueste Werk mit "Fuzzageddon", einem grimmig umherwandernden Klangbrocken mit tonnenschweren Basslinien und jeder Menge verzerrter Sounds, über den Howden wie von latenter Besessenheit seine Texte schmettert und ein bisschen an die Exaltiertheit eines Johnny Rotten erinnert, als dieser sich mit PiL ein neues künstlerisches Standbein schuf.

Alles auf diesem Album klingt nach Zersetzung, nach Zerstörung und Dekonstruktion. Da kann selbst der discoide Beat auf "Feel The Fever" nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der gesamte Globus und mit ihm alle menschlichen Erdenbewohner langsam aber sicher dem Exitus nähert. Doch anstatt sich dem zu widersetzen, gibt sich die Menschheit der allgegenwärtigen Zerstreuung hin, der sie zu digitalen Sklaven macht. "Programme Of Entertainment", textlich vielleicht eines der besten Stücke auf "Brand New Dark Age", dealt mit dieser Unterhaltungssucht, während das lyrische Ich unter säurehaltigen Klängen fragt, wie es in diese Hölle gekommen ist. Auch "Artifical Intelligent" greift das vielleicht wichtigste Thema der Gegenwart und Zukunft auf, begleitet von stoischen Drums und breitflächigen Sägesounds.

Hinter den anspruchsvollen Kleinoden, die sich auch auf "Brand New Dark Age" wiederfinden, verbirgt sich stets die Tatsache, dass der Mann aus Sheffield auch sehr viel Punkattitüde besitzt - und ein untrügliches Gespür für die gesellschaftlichen Veränderungen. Sein Album "Vision 2020", das just am Vorabend der Pandemie veröffentlicht worden ist, war in seiner cassandrischen Voraussicht geradezu unheimlich. Nun zeigt sich Matt Howden aber nicht nur wütend, sondern auch äußerst besorgt, was man "What Do I Know?", der das Album beschließt, deutlich anhört. Die Hoffnung stirbt bekanntermaßen zuletzt, bei Howden muss sie aber bereits künstlich beatmet werden. Es ist der einzige Track, auf dem seine geliebte Kevlar Geige nahezu unbearbeitet und voller Schmerz erklingt. Umso eindringlicher sein Appell an die Menschheit, die Weichen zu stellen, um nicht vollends in ein neues dunkles Zeitalter zu rasen.

So unterschiedlich auch die Musik von BlackieBlueBird und Sieben sein mögen: sie faszinieren. Einmal aufgrund ihrer samtig-zarten Textur, die einen vergessen machen, was die Welt gerade aus ihren Angeln hebt, ein anderes Mal aufgrund ihrer Dringlichkeit und der präzisen Beobachtung eben jenes Planeten, auf dem die dort lebenden Menschen einer dystopischen Weltordnung immer näher kommen. Es ist letzten Endes eine Frage der eigenen psychischen Verfassung, welches Album gerade besser passt - großartig sind sie beide.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 16.07.24 | KONTAKT | WEITER: NIGHT IN ATHENS VS. KALTE NACHT>

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Cover ©  T & E Records (BlackieBlueBird), Redrum (Sieben)

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