"MOVING AWAY FROM THE PULSEBEAT - POST-PUNK BRITAIN 1977-1981" - ODE AN DIE VIELFALT - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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"MOVING AWAY FROM THE PULSEBEAT - POST-PUNK BRITAIN 1977-1981" - ODE AN DIE VIELFALT

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Man ist ja immer gerne geneigt, die Vergangenheit in einem viel weicheren Licht zu betrachten - vor allem jene, die man nicht erlebt hat. So kann der Autor dieser Zeilen immer nur vage Bilder imaginieren von der Aufbruchsstimmung, die sich in den späten 1970ern bei den damaligen Jugendlichen ausgebreitet hat. Mit dem Punk-Rock kam der musikalische Vorschlaghammer, der die spießigen (fast schon Alt-)Hippies, breitbeinig gniedelnden Opulentrocker und sich wie Schmeißfliegen vermehrenden Disco-Truppen kaputt schlug. Der Radikalinski der Popmusik kam zur rechten Zeit, aber sein Untergang war eigentlich immanent, konnte diese Musik auf Dauer nicht überleben, weil es in ihrer DNA gar nicht angelegt war.

Cherry Red hat sich deshalb für seinen neuesten Sampler "Moving Away From The Pulsebeat" auf die Suche nach dem Post Punk in England gemacht und dabei gleich 1977 angefangen - also eigentlich auf dem Höhepunkt dieser Bewegung. Doch das Jahr ist mit Bedacht gewählt, denn die britische Musikzeitschrift Sounds hatte in einer seiner Ausgaben in dieser Zeit den Begriff Post Punk erstmalig genutzt, um die Musik von Siouxsie & The Banshees (die auf dieser Zusammenstellung mit ihrem Song "Voices" zu hören ist) zu beschreiben.

Doch bleibt der Terminus bis heute schwammig. Meistens umfasst er Musikstile, die sich zwar weiterhin dem Massengeschmack entziehen, sich aber auch vom eindimensionalen Punk-Korsett befreien wollten. Oder anders gesagt: Post Punk schüttelte selbst die Musikstile, die schon bei "eins" auf dem Baum waren, erbarmungslos runter und nahm sie unter die Fittiche. Aber gerade dieser Variantenreichtum ist es gewesen, der die Zeit nach den drei Akkorden so einzigartig machte und die auf "Moving Away From The Pulsebeat" vertreten sind: elektronischer Pop, melancholischer Rock, arty-farty Songwriter, ein bissschen Jazz, etwas Krautrock, Ska, dazwsichen ein kurioser Robert Wyatt oder die außerirdische Lene Lovich...selten war eine alternative Szene so divers.

Der Samplertitel referiert übrigens auf den gleichnamigen Titel der Buzzcocks (und ist folgerichtig auch in dieser Sammlung enthalten). Das Stück belegt, dass selbst eine Punkband der ersten Stunde ihre Fühler nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten ausstreckte. Das markante, archaisch anmutende Schlagzeugspiel findet sich im Laufe der Jahre (und auch auf diesem Sampler) immer wieder Nachahmer.

So bildet eine überpräsente Rhythmussektion den Nukleus von Bow Wow Wows "C30 C60 C90, Ande!" (die spanische Version von "C30 C60 C90, Go!") wie auch von "Go, Go, Go! (This Is It)" von Rip Rig And Panic (mit der jungen Neneh Cherry am Mikro). Beide Songs machen die künstlerische Freiheit, die offensichtlich damals geherrscht haben muss, sicht- und auch hörbar.

Die Zusammenstellung versucht dabei, die Entwicklung dieser ganzen Atmosphäre nach der Anarchie-Explosion stimmungsvoll einzufangen. The Cure, Joy Division, The Fall oder XTC waren erwartbar auf dieser musikalischen Reise in die Vergangenheit. Bands wie Tubeway Army, Ultravox! (noch mit John Foxx), The The, Lene Lovich löblich, um eine gewisse Tiefe bei dieser ausladenden CD-Box zu erschaffen. Großartig wird dieser liebevoll kuratierte Querschnitt durch fünf musikalisch spannende Jahre (jede Scheibe deckt eines ab) erst durch die Bands, die es vielleicht gerade auf eine Handvoll Singles gebracht haben und zu den Kuriositäten dieser Ära gehören. Art Attacks' "Rat City", Girls At Our Bests "It's Fashion" und Restricted Codes "First Night On" sind nur drei Exemplare kurzlebiger Formationen, die heutzutage in Vergessenheit geraten wären - wenn Cherry Red nicht wieder gründliche Recherche betrieben hätte.

Die Erinnerung mag uns manchmal einen Streich spielen, doch die Musik lügt nicht: Trotz der sicherlich schwierigen politischen Lage seinerzeit (die durrchaus Parallelen zur heutigen Weltlage besitzt) muss die musikalische Vielfalt damals nahezu grenzenlos gewesen sein. Gut, dass "Moving Away From The Pulsebeat" uns daran erinnert, wie geil doch früher wenigstens in diesem Punkt war.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 09.04.24 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 4/24>

Webseite:
www.cherryred.co.uk

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COVER © CHERRY RED RECORDS

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