WAVE-GOTIK-TREFFEN 2015: "IMPRESSIONEN" UND "BEGEGNUNGEN"
Waschechte Vampire müssen bei Konrad Diebler leider draußen bleiben.
Der Leipziger Fotograf knipst seine willigen Opfer nämlich bevorzugt bei gluthellem Tageslicht und nimmt dabei kein Blatt vor die Linse. Trostlos zerbröselnde Staub-Häuflein finden hier keinen Platz: Statt dessen versammelt der Kamera-Künstler illustre Festival-Flaneure; detailreiche Aufnahmen zeigen mannigfaltige Facetten einer Vornehmen Schwarzen Welt.
Noblesse Oblige!
So auch auf dem diesjährigen Wave Gotik Treffen, wo Diebler für seine doppelte Kalender-Premiere 2015 auf pfingstliche Motivsuche ging. Dabei tummeln sich für seine "Impressionen" oder "Begegnungen" Mensch, Natur und Technik insbesondere im harmonischen Picknick-Ambiente des Clara Zetkin Parks; düsterromantisch schattenspendables Sammelbecken der letzten Viktorianer.
Einige dieser schillernden Geschöpfe scheuen die Camera Obscura nicht und stellen sich in fantasievoller Oberbekleidung vor der staunenden Menge zur Schau.
Scharlachrote Stoffe ergießen sich über den leuchtend grünen Teppich, der den Park zur standesgemäßen Begrüßung der Schwarzkittel-Prominenz in majestätisches Milieu verwandelt. Der wahre Adel kommt von Herzen. Und bewahrt selbst bei tropischsten Temperaturen die Contenance. Schließlich gehören Spitzenfächer und Sonnenschirm zum Standard-Repertoire jeder gotischen Schneewittchen-Schönheit. So wäre nicht nur die shoppingverliebte Teen-Queen Marie Antoinette beim Anblick dieser kostbaren Kostüm-Kreationen jenseits jedweder Konfektions-Klamotte in pastellige Verzückung geraten. Hier ziert die porzellanhäutige Perücken-Enthusiastin übrigens als neckisches Schmuckmotiv den fürstlich fragilen Federputz.
Kleider machen Leute.
Der letzte Schrei in dieser Saison: Fantasievolle Kopfbedeckungen. Nicht nur in den feingliederigeren Weiten der Damenwelt beliebtes Beiwerk, sondern auch bei den Herren der Schöpfung, die sich in Puncto Stil und Extravaganz keinesfalls vor ihren holden Herz-Königinnen verstecken müssen.
Neckisch, natürlich, nahbar.
Das plastisch verstärkte Cover und das zeigefreudig plakative Überformat täuschen über die Tatsache hinweg, dass Konrad Diebler zwar vornehmlich durchkomponierte Charaktere unter die Lupe nimmt – aber unter der schillernden Oberfläche immer auch die entwaffnend authentische Persönlichkeit des (Selbst-) Darstellers sichtbar werden lässt.
Eine wahre Erholung für die Sinne, nachdem in den letzten Jahren verstärkt auch aus pseudoalternativeren Gazetten der tägliche Murmeltier-Gruß erklungen ist. Und zwar nicht, weil man die possierliche Nager-Ikone Phil aus dem gleichnamigen Bill Murray-Streifen auf das Cover gehoben hätte. Sondern, weil auch in schwarzgewandeten Sphären längst der zur antiindividuellen Size-Zero-Nummer geschrumpfte Mensch ohne Eigenschaften seinen umjubelten Einzug gehalten hat.
Wer unter die glattgebügelten Oberflächen dieser fleischgewordenen Abziehbilder zu dringen sucht, tut es in diesen allzu seichten Gewässern ganz sicher ohne jede ernstzunehmende Gefahr.
Die gähnend langweilige, auf makellosen Hochglanz polierte Photoshop-Perfektion, die uns dank medialem Trommelfeuer mittlerweile am laufenden Band um die Ohren geschlagen wird, hat inzwischen groteske Dimensionen erreicht. Wahrhaft löblich, dass Konrad Diebler bei seinen Wave Gotik-Kalendern auf eine derart verflachende Nachbereitung verzichtet hat.
Aus Plastik sind diese gotischen Geschöpfe jeder erdenklichen Couleur und Facon wirklich nicht.
Welch eine seelische Wohltat, gerade hier, in diesen subkulturellen Sphären des trügerischen Scheins, endlich mal wieder "echten" Menschen begegnen zu dürfen.
Jedes der hier portraitierten Gesichter darf in dokumentarisch natürlichem Sonnenlicht seinen ganz eigenen Charakter behalten – und, nicht zuletzt auch dank äußerst charmanter "Schönheitsfehler", seine unverwechselbar subtile Geschichte erzählen. Dabei muss nicht jedes Motiv und jede dargebrachte Rolle jedem Betrachter gleichermaßen gut oder schlecht gefallen.
Diversity rules: Genau nach diesem löblichen, heutztage leider viel zu rar gewordenen Prinzip hat der Fotograf seine Monatsblätter zusammengestellt.
Besondere Freude wird ein solcher Kalender ganz sicher jenen kreativen Köpfen bereiten, die auch im kommenden Festival-Sommer stylingtechnisch wieder in vollster Pracht erstrahlen möchten.
Wer die trüben Wintermonate also tüftelnderweise in der heimischen Nähstuben-Isolation verbringt und seine obligatorische Pfingst-Kollektion erdenkt, wird sich beim Anblick dieser farbenfrohen Aufnahmen zwischen hoffnungsvoll sich auftürmenden Stoffballen, fein gewirkten Spitzen, filigranen Borten oder fantastischen Bändern das eine oder andere leise Lächeln nicht verkneifen können.
Insbesondere hartgesottene WGT-Fans der ersten Stunde, denen vier Tage Leipziger Alltags-Flucht kaum je genug gewesen sind, kommen mit "Impressionen" und "Begegnungen" voll und ganz auf ihre Kosten.
365 Tage pures Festival-Feeling zum Mitnehmen; das ist keinesfalls der zu erwartend vorhersehbare Jahrmarkt der Eitelkeiten, sondern eine ungetrübt atmosphärische Sinnesreise für den subtilen Heimgebrauch, die den schwarzromantisch historisierenden Ausnahmezustand anhaltend zelebriert – und auf diese Art und Weise ganz sicher auch dem grautrüben Winter-Weltschmerz ein wohliges Schnippchen schlagen wird.
|| TEXT: ANTJE BISSINGER | DATUM: 08.12.2014 | KONTAKT | WEITER: MICHA PAWLITZKI "IM UNTERGRUND" 2015 >
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