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B.ASHRA VS. PSYCHOTIKUM: EXPEDITIONEN INS TONREICH

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Es war einmal vor einer gefühlten Ewigkeit, als es bei den Fernsehanstalten den "Sendeschluss" gab. Einhergehend flimmerte nächtens, manchmal begleitet von einem hohen Sinuston, das so genannte Testbild über die Mattscheibe, um auch dem letzten Nachtschwärmer begreifbar zu machen, dass es sich jetzt lohnt, abzuschalten. Doch diesem fast schon meditativ zu nennendem Moment wurde in den späten 1980ern der Kampf angesagt, als die privaten Sender ihre Zuschauer 24 Stunden lang mit Bilder fluteten.

Anfang der 90er Jahre hatten ausgerechnet Mitarbeiter des konservativen Bayerischen Rundfunks die Idee, anstelle des Testbildes All-Aufnahmen der Weltraumorganisationen NASA und ESA zu zeigen, die sie mit sphärischen Klängen unterlegt haben. "Space Nights" nannte sich dieses Format und geriet, vor allem in der damals prosperierenden Techno-Szene schnell zum Chill-Out-Klassiker, sodass sogar eine erfolgreiche Samplerreihe gleichen Namens mit den Songs der Sendungen erschien. Hätte B.Ashra zu dieser Zeit sein Werk "Atomic World" bereits vollendet, er wäre sicherlich zu einem gefeierten Star avanciert und Dauergast auf diesen Zusammenstellungen gewesen. Gerade das Titelstück mit seinen breiten Flächen, zu dem sich nach und nach Schlagwerk, Basslinien und dezente Acid-Girlanden dazugesellen, hätten perfekt mit den Blick auf unseren Blauen Planeten aus mehreren Hundert Kilometern Entfernung harmoniert.

Tatsächlich erschien das Album aber rund zehn Jahre später: 2002, auf Insolation Chilling. Seine Wiedergeburt erlebt es nun durch Ashras eigenes Label Separated Beats – allerdings nur als digitale Veröffentlichung. Der Entschluss, die Platte in dieser Form herauszugeben, macht aber durchaus Sinn. Denn mit 79 Minuten maximaler Spielzeit einer Compact Disc war der Musiker gezwungen, die Schere an "Atomic World" anzusetzen. Das Re-Release präsentiert den kosmischen, zwölf Stück starken Klangtrip nun in voller Länge und frei von technischen Korsetts.

Noch einmal von B.Ashra komplett überarbeitet, eignet sich "Atomic World" nicht nur zur perfekten klanglichen Untermalung für eine Spazierfahrt im Orbit, sondern liefert auch einen vifen Anschauungsunterricht in der Historie tiefenentspannter Elektronik. Da mag sich manch einer bei "Cryptic Coil" an Kraftwerks "Kometenmelodie" erinnert fühlen, und der teilnahmslos nebenher laufende Beat beim selbsterklärenden, schnörkellos arrangierten "Psychic Dreams" fungiert als Quintessenz dessen, was dem Begriff "Trance" zugrunde liegt.

In der Tat klingt das Album noch stark nach dem Technogebaren der 90er, verweist aber bereits hier auf die sich manifestierende "Café del Mar"-Kultur hin, als elektronische Musik schlussendlich in seiner kommerzialisierten Form nur noch eine eindimensionale, aber sehr stylische Klangtapete für den creme- bis terrakottafarbenen Bungalow am Strand von Ibiza für die Schönen und Reichen geworden ist. Bei B.Ashra scheint aber immer noch das subversive, das andersartige dieser Kunstform durch.

Das abschließende "The End" gibt ansatzweise sogar dem Dark Ambient mit seinen wabernden Drones Raum. Hier endet der spacige Trip in den dunklen Weiten des Weltalls und verweist zugleich auf die Vorliebe für breitflächtige Klangteppiche, die das Gefühl von unendlicher Tiefe provozieren. Dieses Faible lebt er zusammen mit einem weiteren Klangfrickler, Sigyn M, aus. Als Psychotikum entwerfen sie wahre Klanggemälde Rubens'schen Ausmaßes. So auch bei "Black Spring Rain", der neuesten Produktion.

Es ist ein fünfteiliges Soundmonstrum, das sich einzig und allen auf die Kraft mystisch anmutender Tonfolgen stützt und durch verwaschene Sprachfetzen und andere Samples auf eine albtraumhafte, surreale Ebene verbleibt.

Kafkaeske Beklemmung löst diese Musik aus, wiegt aber einen gleichzeitig auch auf seltsame Art und Weise in Sicherheit. Das über 50 Minuten lange Opus Magnum projiziert unweigerlich kleine Filmchen auf die imaginäre Netzhaut: Dunkle Verließe, eisige Höhlen, von bizarren Salzsäulen bewucherte Grotten - ein wenig erinnert es an eine musikalische Untermalung für ein Computer-Rollenspiel, bei dem der Protagonist durch nasskalte Katakomben wandert, ungewiss ob an der nächsten Ecke nicht irgendein mutiertes Monster lauert.

Ohne Rhythmussektion auskommend, mäandern die Soundwolken wie Nebelschwaden aus den Lautsprecherboxen. Einzelne kristalline Töne blitzen auf und erhellen die dunkle Grundstimmung nur kurzzeitig. Das ist Dark Ambient, wie er klassischer nicht sein könnte. Und es ist schon erstaunlich, wie schnell eine knappe Stunde vorbeigehen kann, wenn man diesem überdimensionalem Klangexponat Gehör schenkt.

Als Nachschlag gibt es mit "The Devil Inside" noch einmal zwölf Minuten schaurig-schöne Industrial-Eskapaden. Der Titel ist Programm: Man wird das Gefühl nicht los, einem musikalischen Exorzismus beizuwohnen. Aus den schwefelgelben Flächen tauchen nebulös unverständliche Sprachfetzen auf, um kurz darauf wieder in das Nirvana der Töne abzudriften. Das Böse erscheint hier als schwer greifbares, geisterhaftes Wesen, das die Sinne besetzt und klaustrophobische Wahnvorstellungen hervorruft.

Licht und Schatten, unendliche Weiten und düstere Enge: B.Ashra beherrscht die Kunst der cineastischen Klangausarbeitung perfekt – ob nun als Solist oder im Künstlerverbund Psychotikum. Dank seiner pointierten Maschinenmusik werden laufende Bilder fast schon überflüssig. Seine Expeditionen ins Tonreich gehören aktuell zu den anspruchsvollsten und schönsten.

|| TEXT: DANIEL DRESSLER| DATUM: 15.08.2016 |  KONTAKT |  WEITER: DECENCE "ALIVE!" >


Websites
www.b-ashra.de

www.facebook.com/psychotikum


COVER © KLANGWIRKSTOFF/SILENZIO (B. Ashra); © SEPARATED BEATS/KLANGWIRKSTOFF (Psychotikum).

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