MESSER "DIE UNERHÖRTEN - A RARITIES COMPILATION" VS. BUNTSPECHT "KONSTRUKT 5": BLÜHENDE TEXTLANDSCHAFTEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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MESSER "DIE UNERHÖRTEN - A RARITIES COMPILATION" VS. BUNTSPECHT "KONSTRUKT 5": BLÜHENDE TEXTLANDSCHAFTEN

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Es ist heutzutage durchaus eine anzuerkennende Leistung, 15 Jahre als Band in einem schnelllebigen Musikbusiness zu bestehen. Bei Messer kommt noch erschwerend hinzu, dass ihr krachiger Post-Punk mit Einflüssen aus Avantgarde und Krautrock astreine Nischenmusik ist, die nicht von den großen Massen konsumiert wird. Trotzdem haben sich die Münsteraner im Laufe ihrer Karriere eine solide Fangemeinde erspielt, die den eigenwilligen Sound des Quartetts geradezu herbeisehnen.

Das Experiment als solches stand bei Messer dabei immer ganz oben auf der Agenda. Sie im Post-Punk-Sektor zu verorten, geschieht eigentlich nur aus der Verlegenheit heraus. Schließlich geht Messer weit über das hinaus, was das Genre an Vorgaben und Parametern bereithält. Wie regelmäßig der Blick über den Tellerrand getätigt wurde, davon gibt "Die Unerhörten - A Rarities Compilation" ein beredtes Beispiel ab. Messer haben die besonders schwer zugänglichen Songs, diverse Demos und B-Seiten zusammengetragen. Hier präsentieren sich Messer als eine Band, die viel zu intelligent ist, um sich selbst zu kopieren. "Stillstand ist der Tod, geht voran, bleibt alles anders", sang bereits Herbert Grönemeyer. Messer leben dies vor.

So tummeln sich auf diesem Kompendium einige großartige Songs, in denen man weitere Facetten der Band zu Gesicht bekommt. Bereits "Was ist das" überrascht mit einem funkigen Groove, der dem Über-Hit "Heavy Cross" von Gossip entliehen wurde. Doch die fuzzigen Gitarren und der verzerrte, mit Hall versetzte Gesang positioniert das Stück ganz klar in den bandtypischen musikalischen Kosmos, in dem die künstlerische Freiheit die einzige Maxime ist, an die es sich zu halten gilt.

Denn völlig konträr zu "Was ist das" verhält sich der "Kachelbad" Prolog aus der gleichnamigen EP. Hier bauen sich klaustrophobische Synthie-Flächen, willkürliche Drum Fills und ein versprengtes Saxofon langsam auf, während Otremba in einem manischen Sprechgesang eine albtraumhafte Szenerie intensiv beschreibt. Das klingt alles nach Hochkultur, nach großem Regietheater - und eigentlich meilenweit weg vom Post Punk, dem sie immer wieder zugeschustert werden. Schließlich ist der reine Electro-Clash-Sound von "Gegen Ende" der nächste überraschende Hakenschlag.

Zudem erfahren wir auf "Die Unerhörten", dass Messer auch Coverversionen können. "Leben der Lebende" von Die Erde neu einzuspielen ist nachvollziehbar, "Bonnie And Clyde" von Serge Gainsbourg dagegen eher weniger. Doch auch hier bringen sie einen ganz eigenen Twist in den Song. Letzten Endes macht diese Coverversion dann doch wieder Sinn, wird Otremba den Franzosen sicherlich als wichtigen Poeten der Neuzeit ansehen. Einen Einblick in die Anfänge von Messer bildet das völlig übersteuerte und breiige "Augen in der Dunkelheit". Es ist wie der Urknall aus dem sich eine der anerkanntesten deutschsprachigen Alternativ-Bands der 10er Jahre entwickeln sollte und rundet "Die Unerhörten" perfekt als Geschenk an die Fans und der Band selbst zum 15. Geburtstag ab.

Um die Welt von Buntspecht zu verstehen, muss man sich frei machen vom tradierten Song- und Textverständnis. Die Österreicher haben eine kindliche Freude daran, die deutsche Sprache ein kleines bisschen zu verdrehen. Doch betrachtet man den Titel des aktuellen Albums, scheint eine neue Sachlichkeit eingekehrt zu sein: "Konstrukt 5" ist so ziemlich das krasse Gegenteil zum barocken Monstrum "An das Gestern, das nie Morgen werden darfte, ich warte", wie der Vorgänger lautete. Doch der Teufel steckt im Detail; schließlich handelt es sich um das sechste Album der Buntspechte. Warum also "Konstrukt 5"? Vielleicht wieder einer dieser absurden Witzigkeiten, für die das Wiener Ensemble berühmt und beliebt ist.

Auch dieses Mal bricht das Sextett auf und macht sich auf den Weg zu blühenden Textlandschaften. Dabei reichen schon so kleine Zeilen wie "Alles bewegt sich mit dem Vitamin C zum Fünf-Uhr-Tee", entnommen aus "Way Down Alley", um zu merken, dass Buntspecht Bilder aneinanderreihen, die auf den ersten Blick gar keinen Sinn ergeben. Es benötigt daher Geduld und das wiederholte Hören der Stücke, um deren Kernaussagen näher zu kommen.

Manchmal ist es aber gar nicht nötig, sich eingängiger mit dem Sinn zu befassen. Denn wenn "Im Fluss" so wunderbar lässig vor sich hingroovt, dass einem unweigerlich das Verlangen danach ist, sich einen Aperol-Spritz zu genehmigen und einem Sonnenuntergang im Sommer beizuwohnen, dann ist das gesungene Wort vielleicht nur noch halb so interessant. Wobei Lukas Klein allein durch seine hohe, angeschmirgelte Stimme die Aufmerksamkeit der Hörerschaft auf sich zieht.

Die Auskopplung "Im Fluss" hat es immerhin geschafft, im vergangenen Jahr gerade noch so den alternativen Sommerhit zu stellen. Jedoch ist "Konstrukt 5" kein reines Feelgood-Album mit surrealistischen Humoreinlagen. Klar: Titel wie "Party im Schnitzelhaus" oder "Sexy Fieber" sind bereits im Titel lustig, aber Spaß ist eben nicht alles. Bei den Buntspechten sind die Emotionen breit gefächert. Eine "Verfolgungsjagd" gibt es auch, die von einer Stakkato-Akustikgitarre und dubbigen Bläsern untermalt wird. Auch "Wenn du jetzt gehst" ist eigentlich ein Song voller Melancholie, der aber durch die unbeschwerten Sound in seiner Schwere abgemildert wird.

Auf "Konstrukt 5" werden Buntspecht ihrem Ruf als unorthodoxe Singer-/Songwriter, deren musikalische wie textliche Skills ein erfreuliches Gegengewicht zum seichten Deutsch-Pop dieser Tage bildet, wieder mehr als gerecht. Kaum eine andere Band versteckt den Weltschmerz so geschickt in scheinbar entspannte Sounds. Buntspechts Konstrukt gleicht einer Skulptur von Max Ernst.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 21.03.25 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 4/25>

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Covers © Trocadero/Indigo (Messer), Phat Penguin Records (Buntspecht)


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