NATION OF LANGUAGE "A WAY FORWARD" VS. TRAIN TO SPAIN "KÄRLEK?" VS. FRANCESCA E LUIGI "DIRTY DISCO EP 1": NOVEMBERBLUES? NEIN, DANKE!
Wie heißt es so schön? Lieber gut kopiert, als schlecht selbst gemacht. Das muss auch das Credo von Nation Of Language gewesen sein, als sie "A Way Forward" erdacht haben. Und doch ist der Überraschungsfaktor bei diesen drei Jungs nicht gerade klein.
Das beginnt zum einen mit der Herkunft. Ian Devaney, Aidan Noelle und Michael Sue-Poi stammen nämlich aus Brooklyn, wo man diese Sounds eigentlich am wenigsten vermutet. Nation Of Language klingen verdammt europäisch, um nicht zu sagen: teutonisch.
Dies liegt wiederum an ihrer großen Portion Chuzpe, sich ganz und gar den Kindertagen der elektronischen Musik zu verschreiben. Man höre einfach nur mal diese bis auf die Knochen ausgezogenen Arpeggiolinien in "In Manhattan" oder auch die fließenden Melodien bei "They're Beckonig" an: Da wird doch der Vergleich mit Kraftwerk geradezu erbettelt. Und der motorische Beat bei "Across That Fine Line" erst - Jacki Liebezeit, ick hör'dir trommeln. Noch abgefeimter wird die ganze Geschichte bei "Fractured Mind", dessen Synthesizer-Melodie auch von Andy McCluskey und Paul Humphreys alias Orchestral Manoeuvres In The Dark alias OMD sein könnten.
Deren Meilenstein "Architecture & Morality" feiert übrigens runden 40. Geburtstag, und man könnte auch "A Way Forward" in diese Zeit verorten. So ganz einfach ist die Sache dann aber doch nicht. Denn bei aller Retroliebe hat das Trio durchaus seine aktuellen Bezüge in ihre Kompositionen eingebaut.
Diese manifestieren sich vor allem im Gesang von Ian und Aidan. Während ein McCluskey den Stücken mit seiner eindringlichen Stimme so etwas wie eine Verbindlichkeit verleiht, fließen bei Nation Of Language Klang und Wort ineinander und machen die Songs entspannter. "A Way Forward" zeigt das Trio in einer bestechenden Form, ihr Album ist ein generationsübergreifendes, das hoffentlich Jung und Alt vor den Lautsprechern versammeln wird.
Da können die Dekaden noch so durchs Land ziehen: Gutes bleibt. Und dazu gehört auch, darüber lässt sich nicht streiten, der Italo-Disco, der sich in den frühen 1980ern über Europa breit gemacht und bis heute noch eine treue Fangemeinde hat. Und anagesichts einer Welt, die noch immer in Aufruhr scheint, klingt der einprägsame Tanzsound wie ein musikalisches Versprechen an die Menschheit auf die Rückkehr besserer Zeiten, wie es sie einst gegeben hat.
Deswegen ist es ein Leichtes, Train To Spain ins Herz zu schließen. Doch mit Spanien (geschweige denn mit Italien) hat das Duo herzlich wenig am Hut. Sängerin Helena Wigeborn und Musiker Jonas Rasmusson stammen, wie die Namen es schon erahnen lassen, aus Schweden. Dieses Land besitzt edoch eine lange und lebendige Geschichte der elektronischen Klangerzeugung. So ist es eigentlich klar, dass auch in Sachen nachgemachtem Italo-Disco nicht viel schief laufen kann.
"Karlek?" ist übrigens der Abschluss einer EP-Trilogie, die mit "¿Amor?" ihren Anfang und "Liebe?" ihre Weiterführung genommen hat. Ohne Zweifel "liebe"-voll arrangiert sind die vier Songs, die alle mit jede nur erdenkliche Mittel um die Gunst der Hörerschaft buhlen. Dabei wirft "Make Up Your Mind" einen wunderbaren Refrain in die Waagschale. Doch auch "Bad Boy", der von den Senkrechtstartern Piston Damp einen freshen Remix erhalten hat, besitzt alles, was man braucht, um die Schulterpolster in Bewegung zu setzen.
Und wenn dann alles und jeder im Tanzmodus ist, kann man sich gleich Francesca E Luigi zu Gemüte führen. Hierbei handelt es sich nun aber wirklich um waschechte Italiener, oder? Nö, sind auch wieder Schweden. Francesca heißt eigentlich Jessica Brannefors, und hinter Luigi verbirgt sich Martin Permer. Mehr noch als ihre Labelmates von Train To Spain tragen die beiden mit ihren Künstler(vor)namen ihre Liebe für den Italo-Disco direkt am Revers.
Aus einer Bierlaune heraus entstand anno 2017 das Duo, das aber ernsthafte Absichten hegt. Denn "Dirty Disco" ist die Quintessenz einer monumentalen Record-Session, die rund 80 Songs seit ihrem 2020er Debüt "Disco Darkness" beinhaltet. Einige weitere werden dann auch auf dem zweiten Album "Dirty Disco" erscheinen.
Zunächst aber splitten Francesca E Luigi ihr Klanggut. "Dirty Disco EP 1" wartet mit vier markanten Songs auf. Besonders "Acting Like A B-Star" und das verdammt ohrwurmige "Go Before You Fucking Wate It" fördern alle positiven Eigenschaften der beiden Nordlichter zu Tage. Jessicas Stimme nimmt ein ausgiebiges Soundbad, das Martin für sie vorbereitet hat. Alles wirkt miteinander eng verzahnt und voller schöner und funktionierender Ideen.
Auch wenn "Supernova Star" und "Victoria Park" - letztgenannter Song ist eine putzige Hommage an die gleichnamige Berliner Grünanlage mit dem bekannten Wasserfall - nicht ganz an das Hitpotenzial der ersten beiden Stücke heranreichen, lebt die erste "Dirty Disco" EP von der einzigartigen Atmosphäre sprudelnder Melodien und strahlender Vocals, die den über uns einfallenden Novemberblues schnell vergessen lassen.
Alle drei Bands kredenzen dem Hörer eine gute Stunde lang Nostalgie und Leichtigkeit, und es würde nicht verwundern, wenn bei dem oder der einen oder anderen kurz ein sanftes Lächeln über das Gesicht huscht, ganz gleich wie grau der Herbsttag auch gerade ist.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 16.11.21 | KONTAKT | WEITER: RELATE "LEVEL UP">
Webseite:
www.nationoflanguage.com
www.traintospain.se
francescaeluigi.bandcamp.com
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