HØRD "SCIENCES" VS. IAMNOONE "TOGETHER ALONE: WENN DIE NEBELSCHWADEN SICH VERZIEHEN
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Da muss es irgendwie ein ungeschriebenes Gesetz geben, das besagt, dass das dritte oder vierte Album eine tiefgreifende Veränderung mit sich bringt. Erklären lässt sich dieses Phänomen durchaus. Bands oder Musikschaffende experimentieren auf dem ersten Album, feilen beim zweiten Album an ihrem Klang, den sie beim Dritten dann noch einmal und in voller Blüte präsentieren. Danach ist meistens dieses Kapitel zu Ende erzählt.
Sicherlich gibt es Bands wie beispielsweise And One oder ZZ Top, die sich auf ein musikalisches Gewand festgelegt haben und dieses immer wieder anziehen, vielleicht durch ein paar Applikationen hie und da auffrischen. In der Regel suchen Künstlerinnen und Künstler jedoch neue Wege, um nicht Gefahr zu laufen, sich selbst zu wiederholen und damit sich und das Publikum anzuöden.
Nun unterwirft sich auch Sebastien Carl mit seinem Dark-Wave-Projekt Hørd diesem Trend. Zuvor dominierten in seinen Songs eine eisigen Tristesse, in der sich der Hörer wunderbar verlieren konnte. Mit "Sciences" bläst er die Nebelschwaden ein wenig beiseite. Schon der Opener "Arrows" macht die Neuausrichtung unmissverständlich deutlich: Carls Stimme bleibt immer noch seltsam unberührt, tritt aber nun klarer in den Vordergrund, während umherschwirrende Synthesizerlinien durch die Komposition zucken.
Dem Mastering von Maurizio Baggio ist es zu verdanken, dass "Sciences" wesentlich aufgeräumter klingt, ohne an der melancholischen Grundstimmung zu rütteln. Die neue Anordnung des Arrangements führt aber dazu, dass ein Stück wie "Ice" seinem Titel gerecht wird, die frostigen Soundscapes dank einer treibendenund klar herausgearbeiteten Beatsektion auch zum Tanzen animiert.
Am eindrucksvollsten zeigt "London" auf, welche Möglichkeiten der neue Hørd-Sound mit sich bringt. Aus der anfänglichen weltschmerzlichen Stimmung entwickelt sich über minimales Tuning ein sich öffnender Track, der sogar Synth-Wave und Trance eingedenkt. Natürlich bleibt dieses Album eine Darkwave-Scheibe, doch der tönerne Grauschleier lichtet sich an vielen Stellen, sodass man sich an die eine oder andere Future-Pop-Combo erinnert fühlt, beispielsweise Pride And Fall oder Les Anges De La Nuit.
Das Aufbrechen alter Klangmuster kam zum richtigen Zeitpunkt. Hørd lief zwar bislang nie Gefahr, sich selbst zu kopieren, aber seine zaghafte Hinwendung zum Licht bereichert seine Songs um viele Facetten, sodass sie hellauf erstrahlen können.
Die Nebelschwaden verziehen sich langsam, das muss auch so sein. Denn nach der langen Zeit, welche die Menschheit damit verbracht hat, sich in Isolation zu begeben, um einem vermeintlich tödlichen Virus aus dem Weg zu gehen, sehnen sich die meisten nach der Normalität vor der Pandemie. Doch hat diese Zeit auch Spuren hinterlassen. Diese bilden das Inspirationsfundament für Iamnoones neuestes Album "Together Alone".
Im Titel findet sich die ganze Diskrepanz unseres Leben unter oder mit Corona. Wir sind zusammen und doch allein. In Zoom-Meetings erkennen wir den jeweils anderen auf dem Monitor. Natürlich ersetzen Videotelefonate nie das gemeinsame Treffen in einem Café oder den ausgelassenen Discobesuch. Vielleicht wirkt der Titelsong deswegen etwas verhaltener in seiner Tanzbarkeit. Philippe Marlat und Seth, die beiden kreativen Köpfe hinter Iamnoone, haben es auf ihrer Bandcamp-Seite so erklärt: "Wir haben vergessen, was es bedeutet, wieder zusammen sein zu können". Wir müssen erst wieder erlernen, wie Gemeinschaft funktioniert und die Freude an besonderen persönlichen und auch musikalischen Momenten wiederentdecken.
Dementsprechend bleiben die Songs in einem seltsamen Schwebezustand, der die Unsicherheit der heutigen Zeit in ein impressionistisches Musikgewand kleidet. Iamnoone gedenkt den gesellschaftlichen Neuanfang, den kulturellen Restart in ihre Kompositionen. Hier wird nicht plakativ zum Tanz gefordert, wenngleich die Songs genügend Potanzial dafür hätten. Alles wirkt so vorsichtig wie der erste Schritt aus dem "safe space", was immer das auch sein mag, hinaus in eine Welt, die sich so verändet hat.
Erst "Wasn't You" versucht mit forderndem Schlagzeug eine positive, energische Atmosphäre zu kreieren. Doch auch hier bleiben verhallter Gesang und ätherische Gitarrenläufe ähnlich zaghaft,weil sie anscheinend (noch) nichts mit der neu gewonnenen Freiheit anzufangen wissen.
"Together Alone" hält die Balance zwischen dem Grundbedürfnis nach forscher Rhythmik und dem verträumten Synthie-Gitarren-Gemisch. Das italienische Duo hat damit ihr Klangbild um eine weitere Facette bereichert. Iamnoone gehört zweifelsohne zu den unterschätzten Bands im Darkwave-Bereich. Man müsste ihnen noch viel mehr Gehör schenken. Das gilt natürlich auch für Hørd.
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Cover © Avant! Records (Hørd), Cold Transmission (Iamnoone)
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