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DIE SAUNA "SO SCHÖN WIE JETZT WAR ES NOCH NIE" VS. DIE KERZEN "TRUE LOVE": SEIN UND SCHEIN

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Die so genannten "Millennials", also jene, die um die Jahrtausendwende das Licht der Welt erblickt haben, sind erwachsen. Sie haben Smartphones, Tablets, leben mit und in Sozialen Medien. Entgegen den Meinungen vieler Altvorderen, die den späteren Generationen sämtliche Empathien absprechen und eine digitale Verdummung prophezeihen, scheinen aber viele Mittzwanziger heutzutage durchaus in der Lage zu sein, den Status Quo der Nation, ja, gar der ganzen Welt sehr genau zu umreißen und sich dementsprechend zu positionieren.


Die Sauna packen beispielsweise ihr zweifelndes Weltbild in eine Frage: "Kann man überhaupt noch rebellieren?" Mit dieser Zeile aus dem Song "Das geometrische System" eröffnen sie einen riesigen Diskurs, den sie aber nie selber steuern, sondern einfach in den Raum werfen und sich nicht mehr darum kümmern. Der Hörer selbst muss die Antwort finden.

Der fordernde und raubeinige Mix aus Post-Punk und Shoegaze bringt diesbezüglich nicht unbedingt die Erleuchtung. Sie ist nur Beiwerk - ein extrem schmückendes allerdings, das sich nach einer Zeit zurücksehnt, als Rebellion in musikalischer Hinsicht tatsächlich noch möglich gewesen schien. Breit angelegte Gitarren, ein schepperndes Schlagzeug, langgezogene Synthie-Striche und ein stets vor sich hinbrodelnder Bass: Das alles gab es schon mal - und vielleicht auch schon innovativer als bei den Saunajungs aus Bayern.

Wobei: Auch da überraschen sie bisweilen. Wie bei "Niemals zurück", wenn die Elektronikabteilung der Gruppe sich zu sakral-arabesken Sequenzen hinreißen lässt, oder im Finale von "Das Ende", wo sie einen astrein breitbeiniges 80er-Angeber-Gitarrensolo mit begleitender Synthiefläche vom Stapel lassen. Der eigentliche Grund jedoch, weswegen man sich "So schön wie jetzt war es noch nie" nicht entziehen kann, ist Jason Deutlich. Der Sänger schafft nämlich mit seinen Texten das Kunststück, aus zehn einzelnen Songs eine konzertierte philosophische Betrachtung zusammenzuschustern, in der er zwischen aktiver Beteiligung und passiver Beobachtung des Geschehens hin-und herfluktuiert.

Am Anfang steht die komplette Verweigerung. Der Opener "Tu das nicht" fegt - unter einem musikalischen Gebräu, das wie eine dräuende Gewitterwolke am Horizont erschient - mit einer riesigen Handbewegungen den allgemeinen Wertekanon vom Tisch. "Wir haben nichts zu verlieren, es gibt keinen Grund zu funktionieren". Kombiniert mit der Eingangs erwähnten zentralen Frage nach eventuellen Möglichkeiten des Dagegenseins, schafft sich Die Sauna bewusst ein Handlungsvakuum, aus der sich zunächst Resignation, aber später dann auch so etwas wie Wut und Angriffslust entwickelt.

Angefangen mit Durchhalteparolen in "Niemals zurück" ("wir dürfen noch nicht zu Grunde gehen"), strahlen die folgenden Stücke einen immer stärker werdenden Aktionismus aus, an dem sich aber der Protagonist nicht unbedingt beteiligt, degradiert sich selbst gar als sensationslüsternen Zuschauer in "Der Letzte" : "Komm sperr' dich ein und trommel mit geballten Fäusten. An deinem Anblick will ich mich ergötzen."

Dazwischen flackert in "Frische Rosen" ein Gefühl von Romantik auf. Am Ende gibt es aber dann doch "Blutige Lippen" und die bittere Erkenntnis: "Everybody Loves You When You're Dead". Letzte beide Songs werden geradezu sarkastisch schlageresk vorgetragen (bei "When You're Dead" wird als kleines schwarzes Sahnehäubchen noch ein "Laladada" hinterhergeschleudert).

Die letzten Worte dampfen die Sinnlosigkeit allen Tuns auf die Quintessenz zusammen. "Kerzen verbrennen, es wird sich nie etwas verändern". Es ist eine niederschmetternde Erkenntnis und dann doch die Antwort auf die Frage, ob eine Rebellion möglich ist: Sie ist es, aber sie bringt nichts. Dementsprechend ist auch der Albumtitel "So schön wie jetzt war es  noch nie" reiner Sarkasmus, der allen Kulturpessimisten Wasser auf ihre Mühlen schüttet.

[image:image-3]Dass Die Kerzen ebenfalls zu den Gesellschaftszweiflern gehören, mag man ihnen zunächst gar nicht so richtig zutrauen. Denn auf ihrem Debüt "True Love" arbeitet das Quartett aus Ludwigslust an einem Pop-Sound mit der luftig-leichten Konsistenz von Frischkäse. Dass man sich von der Neuen Romantik solcher Gruppen wie Spandau Ballet, The Prefab Sprout oder auch China Crisis hat beeinflussen lassen, ist unüberhörbar.

Ähnlich wie ihre österreichischen Kollegen von Flut, nutzen die Kerzen die Vorlagen aber nur als grobe Schnittmuster, um ein eigenes Pop-Gewirk zu eschaffen. Dieser bewegt sich zu einem absolutistischen Ästhetizismus hin und geriert einen Super-Realismus, der nur als krasser Gegenentwurf zur trostlosen, grau-beigen Wirklichkeit verstanden werden kann. Dick aufgetragene Synthie-Flächen, gemäßigtes, leicht funky Tempi, die das Becken zu Kreisbewegungen animiert und ein mehr dahingehauchter als gesungener Text tauchen die ohnehin schon weichgezeichneten Szenerien in goldenes Sonnenlicht.

Die Kerzen indes finden "True Love" überall. Ob es gut gekleidete Mannequins sind, die in "Blue Jeans" nicht nur einen mondänen Duft tragen, sondern auch eine verloren geglaubte Pop-Noblesse wiederbeleben, oder in "Saigon" im sagenumwobenen Berghain erste zarte Liebesbande schnüren: Alles scheint von einer sublimen Leichtigkeit durchzogen, wie es jungen Erwachsen eigen ist. Die Rede vom "Erasmus in Asien" verortet das Geschehen dann auch unmissverständlich in die Universitätssphären. Und zum romantisierten Studenten-Weltbild gehört eben auch, dass der Prüfling nicht nur trockene Theorie beackern, sondern auch das Leben genießen soll - in diesem Fall sehr 80s-like mit "Sprite, Moskovskaya" und "zwei Schachteln Pall Mall", die sich der Protagonist im Titelsong mit seiner Angebeteten teilt.

Überhaupt ruft das Album über die gesamte Spiellänge dieses mondäne Yuppie-Popper-Lebensgefühl wieder wach, wie man es gerade in den wirtschaftlich sicheren Zeiten von vor über 35 Jahren kennt - oder zumindest glaubt, es zu kennen. Die zehn Stücke gleichen einer Fahrt mit dem Golf Cabrio zum Tennisplatz und klingen nach Lacoste-Polohemden und noblen Cahmere-Pullovern. "True Love" haut mit dem Kitsch nur so um sich, das es eine Art ist. Gerade der anbesungene "Al Pacino" wirkt wie die langersehnte Replik auf Bananaramas "Robert De Niro's Waiting". Und dennoch meldet sich in dem anbesungenen dekadenten Lifestyle auch der Weltschmerz zu Wort. Jedoch wird dieser mehr oder weniger als Fußnote oder wie ein Hashtag gesetzt. "Die Melancholie, Honey, c'ést la vie". Fast scheint es so, als sei die Schwermut auch nur ein dezenter Duft aus Paris, der aber mindestens genauso schnell verfliegt, wie aufgetragen worden ist.

Darin könnte auch der insgeheime Wunsch nach einem unbeschwerteren Leben liegen. Schließlich sind Die Kerzen ein Haufen "Twentysomethings", deren Lebensrealitäten sicherlich kaum mit der aufgetufft-pastelligen Welt aus ihren Songs überschneiden werden. Weil Ludwigslust keine flirrende Metropole und Celebrity-Hot-Spot ist, lässt das Quartett ihrer Fantasie noch viel weiter freien Lauf und gibt in Sachen Heile-Welt-Bastelei ordentlich Gummi. Die Flucht aus dem Alltag gelingt eben nur mit viel Pomp und Pathos. Klotzen anstatt kleckern lautet die Devise, wenn es darum geht, eine perfekte Welt zu erschaffen. Die Kerzen haben es auf "True Love" ziemlich gut hinbekommen.

Darüber, ob dieser Eskapismus die richtige Variante ist, um mit der aktuellen Lage der Nation fertig zu werden, oder eine fatalistisch-existenzielle Prognose mit greinenden Gitarren den Hörern entgegenzuschmettern, wie es Die Sauna getan haben, um die Leute zum (Um)Denken zu bewegen, kann und sollte nicht geurteilt werden. Fest steht allerdings, dass die momentane Gegenwart anscheinend keine ist, in der man einfach nur sein kann, ohne Stellung zu beziehen. Das führen uns Die Sauna und die Kerzen fast schon schmerzhaft vor Augen.


||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 24.09.2019 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 7/19>

Webseite:
www.diesauna.net
www.facebook.com/DieKerzen

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COVER © BUBACK TONTRÄGER GMBH (DIE SAUNA), STAATSAKT (DIE KERZEN)

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