7/24: MARTINÉ, KAFKA BAND, RL HUBER, VAZUM, WHOLE - NICHT VERPASSEN! - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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7/24: MARTINÉ, KAFKA BAND, RL HUBER, VAZUM, WHOLE - NICHT VERPASSEN!

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2024
Das Projekt Martiné aus Aachen bringt mit "Nichts währt ewig" ihre zweite Platte heraus und führen ihren Albumtitel qua ihrer Musik ad absurdum. Denn was Mastermind Thomas Martiné auf diesen Werk präsentiert, unterliegt der Erkenntnis, dass es eben doch musikalische Strukturen gibt, welche die Zeit überdauern und immer noch funktionieren. Das setzt natürlich einen sicheren Umgang mit den Klangbauten voraus. In dieser Hinsicht ist Martiné nichts nachzusagen. Der dunkle, elektronische Sound bewegt sich stilsicher zwischen EBM- und Synthie-Pop-Strukturen, die viele verschiedene Assoziationen hervorrufen. Da ist ein bisschen die kantige Elektronik von Das Ich zu hören (wie bei den ersten beiden Songs "Phalanx" und "Macht der Stimme"), aber auch der mystisch unterfütterte Dark Wave der frühen In Strict Confidence ("My Saviour"). Und "A Final Note" kommt derart schwebend und fluffig rüber wie die Stücke von Final Selection. Martiné arbeitet sich mit Freude an den verschiedenen Genres ab und bleibt dabei erfreulich transparent in seiner musikalischen Sozialisation. Schließlich ist das ganze Album eine Liebeserklärung an die dunkelelektronischen Klänge der frühen und mittleren 1990er Jahre, in denen es nicht unbedingt um eine astreine Produktion, als um den authentischen Gefühlstransport ging. Das ist auch bei "Nichts währt ewig" zu vernehmen, weswegen man sich einen Song wie "Cutting Edge" auch gut als Clubhit der Nachwendezeit vorstellen kann. Das Album ist eigentlich 30 Jahre zu spät auf den Markt gekommen, was allerdings nicht zwangsläufig negativ sein musss. Immerhin erinnert uns "Nichts währt ewig" daran, wie einfach und doch effektiv diese Musik seiner Zeit war.

Vielleicht ist die nun folgende Rezension nicht ganz objektiv. Denn der Autor dieser Zeilen ist extrem befangen, was Franz Kafka anbelangt. Zweifelsohne zählt der Schriftsteller zu den wichtigsten literarischen Figuren der Moderne. Seine Werke, zumeist ein Konglomerat aus unfertigen Schriften, sind nicht nur fetischisiertes Interpretationsmaterial für Germanisten, sondern in ihrer Rätselhaftigkeit so nebulös wie spannend. Die tschechische Kafka Band hat sich dem schwer greifbaren Phänomen Franz Kafka dergestalt angenähert, dass sie aus den literarischen Vorlagen des Mannes, der heuer seinen 100. Todestag hat, improvisierte Songs im Spannungsfeld von Indie-Rock und Industrial kreieren. Bereits 2014 haben sie den Roman "Das Schloss" und fünf Jahre später "Amerika" vertont. Nun schließen sie die Trilogie mit "Der Process" ab. Gerade dieses literarische Werk ist sowohl in seiner Entstehungsgeschichte, als auch in seinem Inhalt geradezu monströs undurchdringlich. Kafka Band hat sich daher auf markante Stellen aus der Geschichte konzentriert und diese in einen umherschleichenden Rocksound eingebettet, sodass die surreale, aber auch groteske Grundstimmung des Romans perfekt in Noten transformiert worden ist. Dabei wechselt das Septett zwischen deutscher und tschechischer Sprache (Kafkas Geburtsort ist bekanntermaßen Prag) und versprühen mit der englischsprachigen Ballade "Shame" sogar internationales Flair. Besonders "Im Mondschein" lässt Kafkas literarische Kraft voll erstrahlen. Durch die verwaschenen Gitarren im Hintergrund der Rezitation, wird die unheimliche Atmosphäre des Werkes plastisch und greifbar. Wäre der Meister der grotesken Sachlichkeit noch am Leben, ihm hätte diese Platte bestimmt gefallen.

Musik ist ja nicht nur die bloße Aneinanderreihung von Tönen. Sie ist Emotionsvehikel und vermag, Dinge zu erzählen, welche die Sprache gar nicht im Stande ist, zu beschreiben. Ein Lied sagt mehr als 1000 Worte. Bei RL Huber laufen gar ganze Filme ab, wenn man sich den flächigen Sounds seines zweiten Albums "Memories Of Falling" hingibt. Der Mann aus Eureka Springs im amerikanischen Bundesstaat Arkansas beherrscht die Klaviatur der emotinal aufgeladenen Drones perfekt. Dabei achtet er akkurat auf eine sich amorph verlagernde Klangstruktur, sodass die Wechsel innerhalb der Stücke immer sanft und nahtlos erscheinen. Zudem setzt er auf die Würze der Kürze: mit Ausnahme seines Endstücks "Long Way Up" hält der Musiker ein zeitliches Korsett von knapp drei Minuten penibel ein. Dennoch reicht ihm das, um genügend Bilder vor dem geistigen Augen zum Leben zu bringen. "Memories Of Falling" ist der vielzitierte Soundtrack zu einem Film, der noch gedreht werden muss. Einzig und allein die Frage, welche Art von Kino man hier erlebt, bleibt offen. Ein dystopische Sci-Fi-Thriller könnte zu Hubers Klangkaskaden ebenso funktionieren wie eine ästhetisch fotografierte Naturdokumentation oder auch ein in die Moderne verfrachteter Film Noir. Allen drei Genres wohnt nämlich das Rätselhafte, das Mystische inne. So ist es auch mit den Stücken von RL Huber, bei dem sich neoklassische Elemente mit grummeligen Drones paaren und so den Raum großflächig ausfüllen. Ambient-Alben laufen Gefahr, beliebig zu klingen; es bedarf daher einer zündenden Idee und einer Individualisierung dieses Stils. RL Huber hat dies geschafft und mit "Memories Of Falling" ein bemerkenswertes Album geschaffen.

Noch taucht der Name Vazum eher sporadisch in Gazetten auf, auch bei UNTER.TON wurde die Band aus Detroit bereits vorgestellt. Dass es aber noch nicht zu höheren Weihen gereicht hat, ist überraschend. Denn das Duo schafft einen energetischen Mix aus verschiedenen Stilen weltschmerzlicher Rockmusik. Das ist bei "Western Violence" nicht anders. Ein Stück wie "Alien" besitzt gar den gleichen Charme wie eine Nummer von Siouxsie & The Banshees. Ansonsten besticht Vazum vor allem durch eine druckvolle Produktion, in denen sich die Gitarren unheilsschwanger durch die Komposition gniedeln, während in der Rhythmussektion Vollgas gegeben wird. Bei unserer letzten Rezension zum Album "V+" hat sich die Band als Praktizierer des Deathgaze beschrieben, und "Stellium" greift nochmals auf diese eigene Kreation zurück. Ansonsten sind sie auf "Western Violence" aber deutlich davon abgewichen. Die knackigen Songs gehen ohen Umwege mit unverschämt eingängigen Hooks direkt in die Gehörgänge. Von dort bahnen sie sich den Weg in die Ober- und Unterschenkel, die bei Nummern wie "Get Out" und "Embryo" unweigerlich zu zucken anfangen. Fast scheint es so, als ob sich Vazum auf ihrem neuesten Werk weg von verkopften Songstrukturen und hin zu einem rein auf Gefühlen basierenden Sound bewegt haben. Jedenfalls klingen die Nummern frisch und wie aus dem Moment heraus eingesungen und -gespielt. Ob es Vazums Absicht war, einen Live-Charakter in ihre Nummern einfließen zu lassen, kann an dieser Stele nur gemutmaßt werden. Fest steht aber, dass "Western Violence" nun unbedingt mehr Vogelnestträger überzeugen muss. Es kann nämlich nicht angehen, dass dieses Duo immer noch so sträflich unter dem Radar fliegt.

Der eine heißt Thomas Schernikau und ist Frontmann von Forced To Mode, einer der besten Depeche-Mode-Coverbands des Landes. Der andere heißt Alexander Leonard Donat und gehört zu den kreativsten Köpfen, die zurzeit in der Schwarzen Szene rumgeistern (Vlimmer, Assassun, Fir Cone Children,...). Zusammen bilden sie mit Whole ein Projekt, das die Vorzüge beider Musiker vereint. Man merkt auf ihrem zweiten Album "Hydra", wie sie sich gegenseitig befruchten, aber jeder dem anderen auch Raum gibt, um sich selbst zu postionieren. Bei Stücken wie "Commandments" und "Beast" wird die gahaneske Undurchdringbarkeit zelebriert. Dank Schernikaus fest justierter Stimme werden sich vor allem Fans der früheren Werke von Depeche Mode sehr schnell mit diesen Songs anfreunden können und kommen gleichzeitig mit Donats Klanguniversum in Berührung, das sich ungefiltert in den Nummern "Valson" und "Floodmarker" manifestiert. Manchmal treffen sich die beiden auf halbem Weg; daraus entsteht ein Stück wie "I Am Your Shadow" oder "Morricone", in denen sich die surrealen Klanggebäude Donats und Schernikaus klares Pop-Verständnis vortrefflich verzahnen. "Hydra" zeigt, wie Synthie-Pop anno 2024 klingen kann: unverkrampft und gleichzeitig ambitoniert, traditionsbewusst und innovativ. Whole trauen sich was und bringen ein Album auf den Weg, welches garantiert sein Stammpublikum finden wird. Und es zeigt, dass die beiden Musiker eine große Lässigkeit an den Tag legen. Das letzte, was Alexander und Thomas wollen: jemandem irgendetwas zu beweisen. Dafür sind die beiden schon zu lange im Musikzirkus mit dabei. Es geht um die Freude an der meancholischen Musik. Das ist aus jeder Note raushörbar.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 28.06.24 | KONTAKT | WEITER: DEAD ASTRONAUTS VS. THE COLD FIELD>

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                         © ||  UNTER.TON |  MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014

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