ALARMBABY "KILLAMÄDCHEN": WECKRUF ZUR RECHTEN ZEIT
Da gibt es diesen abgeschmackten Begriff der "Power-Frau", den Medienmenschen immer gerne nutzen, um eine weibliche Person, die nicht so recht in Konfektionsgröße 34 passen will, positiv zu umschreiben. Eigentlich passiert durch den Gebrauch dieses Ausdrucks genau das Gegenteil: Dieser Mensch wird auf seine körperliche Beschaffenheit reduziert und stereotypisiert.
Mary-Anne Bröllochs, die anno 2017 bei "The Voice Of Germany" teilgenommen hat, aber recht früh ausgeschieden ist, wird sicherlich auch schon als "Power-Frau" bezeichnet worden sein. Denn sie ist laut, schrill, tätowiert und zeigt ihren Körper auch gerne mal freizügig. Doch all das ist letzten Endes völlig uninteressant. Denn sie steht der Band Alarmbaby vor und zeichnet sich vor allem durch eine kraftvolle Stimme aus, die an Guano-Apes-Sängerin Sandra Nasic erinnert, während der krachige Punk-Rock mit Grunge- und Synthesizer-Einschlag irgendwo zwischen Grossstadtgeflüster und Jennifer Rostock platziert ist.
In erster Linie ist Mary-Anne eine Frau, die sehr genau Menschen beobachtet, die sie umgeben. Sie ist das "Killamädchen", das sie im Titelsong beschreibt: selbstbewusst, unangepasst und vor allem frei von jedweder Form des Bodyshamings. Und sie macht sich Gedanken über die Werte- und Moralvorstellungen in diesem Land. Die daraus gezogenen Schlüsse gießt sie in explizite Strophen und Verse. Denn Alarmbaby heißen nicht umsonst so: Sie schlagen selbigen, indem sie ohne Umschweife oder manirierter, deutungsschwangerer Lyrik auf den Punkt kommen und ihre Message zentriert ins Antlitz pressen.
Wie bei "Alarmzustand für Deutschland", das mit einem Auszug einer der üblichen polemischen Reden von AfD-Politiker Björn Höcke beginnt und mit viel Druck dem Hörer die Wahrheit entgegenschreit. "Ist doch klar, dass die rechts außen stehen!". Die Erkenntnis ist nicht neu, aber vielleicht braucht es gerade diese drastische Darstellung, um nicht zu vergessen, dass die Alternative für Deutschland immer noch im Bundestag vertreten ist und mit allen Mitteln versucht, den politischen Diskurs zu unterminieren.
Generell wirkt das komplette Debüt wie ein längst überfälliger Weckruf, gerichtet an eine Gesellschaft, die sich in der Gleichhzeitigkeit der Ereignisse immer verlorener fühlt und apathisch wirkt. So zählt Mary-Anne in "Schneller als die Zeit" wie eine Hashtag-Jägerin Schlagworte wie "Work-Life-Balance, Optimierungswahn, Helikopterelternzeit" auf und verteilt auch noch einige Seitenhiebe an die werten Musikerkollegen ("Weißt du nicht mehr, wo du stehst? Giesinger und Weiß und Bendzko sagen dir doch ganz genau, was geht"). Auch das ist Alarmbaby: Bei aller Dringlichkeit zur Lösung der gesamten Problematik darf es auch mal lustig und mit einem Augenzwinkern zugehen.
Und, ja: Nicht zuletzt ist das Album auch zur Schau getragene Frauenpower. Während bei "Killamädchen" dem lyrischen Ich die Blicke ob ihrer Andersartigkeit gehörig auf die Eierstöcke gehen, muss sie sich bei "Zu gut für Dich" einen nervenden Vereherer abwimmeln. Probleme, wie frau sie kennt, vorgetragen mit viel Bums und jeder Menge Wut im Bauch.
Die Alarmbaby-Frontfrau, so scheint es, brennt an beiden Seiten, verbrennt sich für uns, damit wir auch wieder Feuer fangen und gegen Ungerechtigkeiten und fragliche gesellschaftliche Entwicklungen aufbegehern. Sie ist keine "Wolke 4"-Bewohnerin, die ihre Existenz auf lauwarme Stufe stellt, sondern will das Leben und die Lust spüren, mal intensiv in "Mach mich high", aber auch gefährlich destruktiv in "Kaputtgeh'n", einem Song, der wie 2raumwohnung in gut klingt. Doch will keines der zwölf Lieder dieses bemerkenswerten ersten Albums zur Unvernunft aufrufen. Vielmehr regt sie mit ihrer direkten Art zum Nachdenken an, wie wir die Welt gerade behandeln und wie wir sie in Zukunft gestalten wollen.
Und wer weiß: Vielleicht erreichen wir dann auch mal den Punkt, an dem eine Mary-Anne nicht mehr als "Power-Frau" tituliert wird, sondern als das angesehen wird, was sie ist: eine Frau, die mittels Musik einen Weg gefunden hat, ihre Gefühle, Sorgen und Gedanken auszudrücken und dabei ein wunderbares Stück Musik beschert.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 27.11.2020 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 13/20>
Webseite:
www.alarmbaby.de
Kurze Info in eigener Sache
Alle Texte werden Dir kostenfrei in einer leserfreundlichen Umgebung ohne blinkende Banner, alles blockierende Werbe-Popups oder gar unseriöse Speicherung Deiner persönlichen Daten zur Verfügung gestellt.
Wenn Dir unsere Arbeit gefällt und Du etwas für dieses kurzweilige Lesevergnügen zurückgeben möchtest, kannst Du Folgendes tun:
Druck' diesen Artikel aus, reich' ihn weiter - oder verbreite den Link zum Text ganz modern über das weltweite Netz.
Alleine können wir wenig verändern; gemeinsam jedoch sehr viel.
Wir bedanken uns für jede Unterstützung!
Unabhängige Medien sind nicht nur denkbar, sondern auch möglich.
Deine UNTER-TON Redaktion
POP-SHOPPING
"KILLAMÄDCHEN" BEI AMAZON
Du möchtest diese CD (oder einen anderen Artikel Deiner Wahl) online bestellen? Über den oben stehenden Link kommst Du auf die Amazon.de-Seite - und wir erhalten über das Partner-Programm eine kleine Provision, mit der wir einen Bruchteil der laufenden Kosten für UNTER.TON decken können. Es kostet Dich keinen Cent extra - und ändert nichts an der Tatsache, dass wir ein unabhängiges Magazin sind, das für seine Inhalte und Meinungen keine finanziellen Zuwendungen von Dritten Personen bekommt. Mit Deiner aktiven Unterstützung leistest Du einen winzig kleinen, aber dennoch feinen Beitrag zum Erhalt dieser Seite - ganz einfach und nebenbei - für den wir natürlich außerordentlich dankbar sind.
COVER © DRAKKAR/SOULFOOD
ANDERE ARTIKEL AUF UNTER.TON
L'ÂME IMMORTELLE "DRAHTSEILAKT"
ART OF EMPATHY VS. A.A.WILLIAMS
THE BIRTHDAY MASSACRE VS. BLACKIEBLUEBIRD
K. FLAY VS. CANDELILLA VS. LAURA SCHEN
SARA NOXX "ENTRE QUATRE YEUXX"
Rechtlicher Hinweis: UNTER.TON setzt auf eine klare Schwarz-Weiß-Ästhetik. Deshalb wurden farbige Original-Bilder unserem Layout für diesen Artikel angepasst. Sämtliche Bildausschnitte, Rahmen und Montagen stammen aus eigener Hand und folgen dem grafischem Gesamtkonzept unseres Magazins.
© || UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014. ||