ART OF EMPATHY "END OF I" VS. A.A. WILLIAMS "FOREVER BLUE": GLÜCKSELIGE EINSAMKEIT
"Solitude is bliss" - Einsamkeit ist Glückseligkeit. Das klingt wie eine Präambel für einen großen Festakt. Dieses verspricht uns jedenfalls der Belgier Jef Janssen, der mit seinem Neo-Folk-Projekt Art Of Empathy seinen eigenen Weg zu einer hoffnungsvollen Vision eines glücklicheren Lebens im Einklang mit der Natur proklamiert.
"End Of I" betitelt er sein erstes Album seit zehn Jahren. Was sich zunächst ziemlich final liest, entpuppt sich als der großartige Versuch, der Egozentrik unserer heutigen, auf individuelle Höchstleistungen basierenden Gesellschaft entgegenzuwirken. Ich, ich, ich - das war einmal. Art Of Empathy will, ganz dem Bandnamen verpflichtet, das Gemeinschaftsgefühl in uns antriggern und uns dafür sensibilisieren, dass wir nur diese eine Erde haben, auf der wir leben.
Da schwingt auch ein bisschen "Fridays For Future" in diesen Gedanken mit, die Jef Janssen aber nicht mit gerne genutzten Singer-/Songwriter-Klängen untermalt und so unweigerlich eine bräsige Späthippie-Kommunen-Atmosphäre kreiert, sondern durch Chöre, schwere Trommeln, Akustik-Gitarren und eine üppige Orchestrierung mit elektronischen Verzierungen und Sprachsamples so etwas wie einen tönernen Kreuzzug gegen die Auswüchse der modernen Welt führt.
In mehr als 70 Minuten träumt sich der Musiker, dessen ausgeklügeltes Werk vergleichbar mit denen von Rome ist, in eine dunklere Welt, lässt in "Where Souls Shine Brightest" die Genesis vom "Lord Of Darkness" beeinflussen und spricht vom Ende der Nationen im Titelsong. Das ist in bester Absicht anarchisch und freiheitsliebend, mit dem Ziel, eine besseres Zusammenleben zu ermöglichen.
So darf nach all den wuchtig-traurigen Stücken am Ende mit "Hugging Strangers" auch ein wenig Fröhlichkeit einkehren. Oder wie es in Schillers "An die Freude" so schön heißt: "Alle Menschen werden Brüder" - aber eben in der Glückseligkeit der Einsamkeit. Ein spannendes, ein dynamisches Konstrukt, das uns "End Of I" präsentiert, das zudem auch musikalisch perfekt eingefangen worden ist.
Übrigens beginnt "End Of I" so, wie "Forever Blue" von A.A.Williams aufhört: mit Naturgeräuschen. Denn in der Natur findet sich der perfekte Platz für eine Meditation über die glückselige, oder besser: glückselig machende, Einsamkeit. Bis es die Musikerin aber zum finalen "I'm Fine", das den Hörer mit lieblichen Vogelgezwitscher entlässt, schafft, fegt Williams auf "Forever Blue" wie eine Weltschmerz-Amazone durch ihr Album.
Auf ihrem Debüt gibt sich die Frau, die auf den Pressefotos immer in schwarz gekleidet ist, wie eine Kriegerin der Melancholie und fasst ihre eigene Traurigkeit in skulpturale Songs, die sich hauptsächlich zwischen den Polen laut und leise bewegen. Das bereits vorab ausgekoppelte "Melt" zeigt die effektive Arbeitsweise der Londonerin: Das Stück beginnt in einem gedämpften Post-Rock-Ton, schraubt sich mit jedem weiteren Takt in sphärische Höhen, an dem auch der wunderbare Refrain grißen Anteil hat, um am Ende eine Shoegaze-Wand erster Güte hochzuziehen.
In "Fearless" geht die Musikerin sogar noch einen Schritt weiter und lässt dem orchestralen Sturm eine Growl-Stimme folgen. Das mag manche, die sich eher mit den eingägngig-traurigen Stücken wie "All I Ask For (Was To End It All)" oder "Dirt" anfreunden, dann doch ein wenig befremden. Allerdings ist dieser Effekt in der Mitte des Album geschickt gesetzt und markiert den Höhepunkt des Spannungsbogens von "Forever Blue", das bereits bei "Glimmer" mit Akustik-Gitarre und weinenden Streichern zu ihrer angenehm gedrückten Atmosphäre zurückfindet.
Williams' Gesang passt sich der einzelnen Stimmungen ihrer Songs an. In den ruhigen Momenten klingt sie brüchig und intim, während sie bei den tonalen Ausbrüchen dank ihres voluminösen, dunklen Timbres locker mithalten kann und nicht vom Klang der Instrumente verschluckt wird. Besonders wird dieser Kontrast bei "Love And Pain" deutlich.
Schmerz und Melancholie sind die beiden Quellen, aus der sich die Kraft dieses fulminanten Debüts speist, das A.A.Williams bereits jetzt einen besonderen Stellenwert in der Musikgeschichte zuschreibt. Denn das vordergründig eher dem Metalgenre zuzuordnende Werk bricht mit den typischen Manierismen und zeigt sich unglaublich verletzlich und auch warm.
Art Of Empathy und A.A. Williams haben zwei wunderwolle Weltschmerz-Werke geschaffen, deren Intensität und Wucht, aber auch Zebrechlichkeit und Wehmut in diesem Jahr nur noch schwer zu überbieten sein werden.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 15.07.20 | KONTAKT | WEITER: DANIEL HADROVIC "TÖTE MICH NOCH EINMAL">
Webseite:
www.artofempathymusic.com
www.aawilliamsmusic.com
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COVER © Aenaos Records (Art Of Empathy), Bella Union/PIAS (A.A.Williams)
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