9/18: FUFANU, I AM THE FLY, THE MUTINEERS, ALEX BRAUN - APPETITANREGENDE KLANGHÄPPCHEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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9/18: FUFANU, I AM THE FLY, THE MUTINEERS, ALEX BRAUN - APPETITANREGENDE KLANGHÄPPCHEN

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2018

Manchmal reichen nur eine Handvoll Lieder aus, um den Hörer sofort in seinen Bann zu ziehen. Wenn dies geschieht, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass die Musizierenden sehr genau wissen, was sie tun.

Fufanu aus Island haben dabei das EP-Format als kunstvolle Veröffentlichungsform für sich entdeckt und bringen ein "Dialogue"-Tryptichon heraus. In diesen treten die drei Musiker mit sich selbst in Klausur. Den Anfang macht Sänger Kaktus Einarsson, der sich intensiv mit seinen eigenen Ängsten beschäftigt ("Talk To Me") und schmerzliche Einschnitte seines Lebens, wie den Tod seiner Großeltern, verarbeitet ("Hourglass"). All diese Gedanken werden aufgefangen von einem freigeistigen, alle stilistische Schranken nivellierenden Elektronik-Korpus, der sich zwar vordergründig extrem cool gibt, aber unter der Oberfläche zu brodeln beginnt. So erinnert "My New Trigger" in seiner bedrohlichen Ruhe an Nine Inch Nails Überhit "Closer". Doch wo Trent Reznor am Ende das Biest nicht mehr zähmen kann und mit finalem Krach alles rauslässt, halten Fufanu diese Spannung bis zum Ende aus. Und auch das abschließende Instrumental "Nine Twelve" mit seinen anzitierten Gitarren-Samples unter schwebenden Sequenzen und transparenter Rhythmisierung werden jeden systemliebenden Menschen in die Verzweiflung treiben. Vielleicht ist ihr Sound auch das Ergebnis aus der eigentlich unmöglichen Zusammenarbeit mit Alap Momin - einem notabene aus Harlem stammenden Musikproduzenten, dessen Kernkompetenz nicht gerade die synthetische Klangerzeugung ist. Doch seinen Einfluss auf den ersten Teil von "Dialogue" können Fufanu nach eigenen Aussagen gar nicht hoch genug bewerten. So ist auch auf dieser Ebene ein "Dialog" entstanden, dessen Ergebnis nicht nur jeden einzelnen Musiker bereichert haben dürfte, sondern auch dem Hörer die Möglichkeit schenkt, neue Klanglandschaften zu entdecken.

Mit weitaus traditionelleren Mitteln geht das Deutsche Duo I Am The Fly ans Werk. Und dennoch wirken sie neu und aufregend. Denn ihr minimalistischer Ansatz steht im krassen Gegensatz zu den, selbst in alternativen Musikabteilungen vorherrschenden, überproduzierten Stücken. Bereits ihr Bandname liefert den Hinweis auf ihre musikalische Prägung. "I Am The Fly" war ein kleiner Hit von Wire, die anno 1978 maßgeblich den Post-Punk respektive Art-Punk vorangetrieben haben. In dieser Genealogie sehen sich I Am The Fly auch, und obwol keine zwei Jahre bestehend, könnte man meinen, dass sie eine jener vergessenen Kunststudenten-Combos aus dieser Zeit wären, die in irgendwelchen abrissreifen Bauten ihre spontanen DIY-Konzerte gegeben haben. Das Duo selbst hat ein einfaches, aber wirkungsvolles Konzept entwickelt. Es versteckt ihre Antlitze hinter leicht gruselige Fliegenköpfe, nennen sich MUSCA domestica ♂ und MUSCA domestica ♀ und sind mit einer knarzigen Orgel, einer Drummachine auf dem technischen Stand von vor 40 Jahren und einem E-Bass unterwegs. Dementsprechend zischelt, fiept und rumpelt es in den Stücken wie es einst Alan Vega selig und Martin Rev mit ihrem einflussreichen Synth-Punk-Projekt Suicide getan haben. I Am The Fly erzeugen alptraumhafte, beklemmende Szenarien. Ganz so, als würden sich die Insekten zum Frontalangriff auf die Menschen formieren. Dabei pflegen sie einen genialen Dilletantismus, schneiden die Aufnahme zu "Neurosurgery" unvermittelt ab oder lassen in "Parallel Lines (Should Never Cross)" die Orgel fast schon unter Ächzen ob seines Alters die Töne ausspucken. Derart radikal reduziert rauschen die vier Songs ihrer ersten Veröffentlichung nur so an einem vorbei. 2018 ist das neue 1978.

Auch die aus dem Portland, Orego stammenden The Mutineers sind ein männlich-weibliches Zweiergespann. Noch mehr sogar: Gitarrist Brian Mathusek und Schlagzeugerin Merry Young sind den Bund der Ehe eingegangen. Ob diese spezielle Verbindung unbedingt Auswirkungen auf ihre Kunst hat, mag hier nicht erörtert werden. Wahrscheinlich haben sich einfach zwei talentierte Musiker gefunden, deren Vorlieben irgendwo zwischen Americana, Folk, Country und Rock'n'Roll liegen - und deren beiden Stimmen einfach wunderbar harmonieren. Mit ihrer nächsten EP "Threshold" zeigt sich das Paar jedenfalls äußerst vielseitig. Knackige Gitarrenriffs eröffnen "Hard Sell", das nachfolgende "Couldn't Get Over You" erinnert durch Youngs Gesang an die Grande Dames des Country: Loretta Lynn und Tammy Wynette. Doch mit "Afterthoughts" verdüstert sich die Stimmung. Tatsächlich lehnt sich dieser Song an die Depri-Balladen der Norweger von Madrugada an. Auch das alkoholdurchtränkte "I Got A Bottle" sowie die klassische Lagerfeuer-Nummer "Hourglass", bei der die beiden nur von einer sanft angeschlagenen Gitarre begleitet werden, rufen die gesamte Stilpalette anglo-amerikanischer Rockmanierismen auf den Plan. Dabei versehen The Mutineers ihre Kompositionen mit einer gehörigen Portion Melancholie und auch einer Prise Punk. "Threshold" ist wie eine imaginäre Fahrt mit einem in die Jahre gekommenen Buick Century auf der Route 66. Zugegeben: Fünf Songs reichen für so eine lange Strecke nicht aus. Doch es gibt ja die Wiederholungstaste, die wir in diesem Fall gerne und oft betätigen möchten.

Zum Schluss kommen wir noch zu einem Mann, der normalerweise auch nur mit seiner musikalischen "besseren Hälfte" Manfred Thomaser anzutreffen ist. Denn als Sänger der geschmeidigen Synthie-Pop-Formation !distain reiht sich Alexander Braun in die Riege der proto-typischen Elektro-Pop-Chanteure ein, die wie beispielsweise Marcus Meyn von Camouflage oder auch Steffen Keth von De/Vision diesen von einnehmender Melancholie durchzogenen Schmelz in ihren Stimmen besitzen. Nun wagt sich Alex mit der "Eiskalt"-EP auf Solo-Pfade, doch so ganz allein ist er dabei nicht. Schließlich handelt es sich bei dieser EP um vier Coverversionen. Aus der !distain-Historie wissen wir allerdings: Der kann das! Unvergessen die eingeschmolzene, auf wenige Sequenzen ruhende Version von Nirvanas "Smells Like Teen Spirit", die vor allem einen großen Pluspunkt besitzt: Man hat endlich verstanden, was Kurt Cobain immer so gebrüllt und genuschelt hat. Die aktuellen Neuinterpretationen indes scheinen nicht zufällig ausgewählt worden zu sein. Offenbar will Alex uns hier seine liebsten Stücke präsentieren. Neben einem nachvollziehbaren "Wonderful Life" von Black, ist der Titelsong ein fast vergessenes NDW-Stück der Gruppe Zara-Thustra, dem der Augsburger ein respektvolles Sound-Update verpasst. Mit Lou Reeds entspannter Nummer "Perfect Day" und vor allem den liebevoll aufgearbeiteten Titelsong der Zeichentrickserie "Pinocchio" vom legendären Karel Svoboda meint man gar, den kleinen Alex mit einer kleinen Nussecke in der Hand vor dem Fernseher sitzen zu sehen. Um den familiären Modus noch etwas zu steigern, darf auch sene Tochter Alissa ans Mikro, deren Stimme übrigens nicht die schlechteste ist. Da fällt der Apfel eben nicht weit vom Stamm. Zwar werden !distain mit "Farewell To The Past" ebenfalls neues Material abliefern, aber Alex' Alleingang sollte nicht der einzige bleiben.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 12.09.2018 | KONTAKT | WEITER: DILLY DALLY VS. KÆLAN MIKLA VS. RVG>

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Webseiten:
www.fufanu.net
www.i-am-the-fly.de
www.themutineersmusic.com
www.echozone.bandcamp.com/album/eiskalt-ep


Covers © One Little Indian Records (Fufanu), I Am The Fly, Mutiny Studios, Echozone/BOB Media/Soul Food (Alex Braun)

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