DAN SCARY "ZU WAHR UM SCHÖN ZU SEIN" VS. WOLFSUIT "DRESSED FOR DANGER AND DELIGHT": IN DEN HINTERHÖFEN DER SUBKULTUR
Man hört es den Aufnahmen an, dass sie nicht in einem High-End-Studio abgemischt worden sind. Trotzdem, oder gerade deshalb, geht von den Demos eine ungeheure Spannung aus, weil sie direkt und unmittelbar wirken - gerade so, als sei man gerade Zeuge, wie die Stücke irgendwo in einem kleinen Studio eingespielt werden.
Im Falle von Dan Scary, einem Musiker, den die Redaktion seit einiger Zeit mit unverminderten Interesse begleitet, beschleicht einem immer das Gefühl, dass seine Aufnahmeräume irgendwo in einer Industriebrache liegen müssen. Denn von seinen - selbstverständlich in Eigenproduktion herausgebrachten - Werken geht ein schonungsloser Fatalismus aus.
Daniel Url, wie Dan Scary bürgerlich heißt, blickt mit einer Mischung aus Wut und Schwermut auf unsere Gesellschaft. Dementsprechend ist seine Musik ein auf die Qunitessenz eingedampfter Punk, der trocken, roh und direkt die Schrammel-Gitarren aus den Lautsprecherboxen drückt, dabei aber auch mit mollschwangerem Gestus den Goten in uns aufhorchen lässt.
Grundlegend kann man sagen, dass seine Musik wieder an die vermeintliche Stunde Null der Gothic-Bewegung erinnert, als Bands wie Joy Division, die zwar vom Punk und New Wave kamen, aber eine weitaus tristere Lesart von "No Future" anboten, als es die hitzigen Irokesen-Köpfe mit ihren Drei-Akkord-Späßchen taten, auf den Plan getreten sind.
Allerdings, und das zeichnet das klangliche Universum von Dan Scary aus, besitzen seine Stücke nie eine absolute Weltabgewandtheit, sondern sind immer noch von der Wut und dem Wunsch nach Veränderung getrieben. Die neueste EP "Zu wahr um schön zu sein" bildet da keine Ausnahme.
Der Titel impliziert den absoluten Weckruf. Die Zeit der Augenwischerei ist vorbei, die harte Realität kann kein Photoshop-Programm mehr korrigieren. Also blicken wir doch einfach auf den Status Quo, auch wenn dieser wenig berauschend ist. Dans Songs kreisen hauptsächlich um die soziale Kälte, die auch vor der Szene nicht Halt macht, wie in "Abgrund" zu hören ist. Und sollten sich doch mal zarte Knospen der Zweisamkeit ausbilden, müssen diese sich in "Betonromantik" an hohe Mauern ranken.
Auch wenn er im "normalen" Leben als Vater von drei Kindern dann doch bürgerliche Züge aufweist, bleibt sein Geist ein hellwacher Rebell, der versucht, anderen die Augen zu öffnen und ihr Leben zu hinterfragen. Auch wenn seine distributiven Mittel eher bescheiden sind.
Noch ein Stück weiter nördlich, genauer gesagt in Kiel, kämpft eine weitere Band ebenfalls mit DIY-Attitüde um die Gunst der Hörer. Wolfsuit heißen sie, bestehen aus James (Bass, Gesang) und Al_X (Synthesizer, Hintergrundgesang) und praktizieren einen Cold-Wave, der durch teilweise funkige Bass-Riffs und poppigen Synthie-Parts bei aller nebulösen Tristesse auch eine gute Eingängigkeit besitzt.
Wie auch Dan Scary, gehen Wolfsuit den steinigen, dafür aber mit allen künstlerischen Freiheiten ausgestatteten Weg des Eigenvertriebes - was sie auf geradezu romantische Weise zelebrieren. Ihr neuestes Werk "Dressed For Danger And Delight" ist gratis über ihre Bandcamp-Seite zu hören oder kann als Musikkassette erstanden werden. Das treibt so manchen Post-Punk-Veteran die Freudentränen in die Guckerchen.
Dieser wird sich auch bei dem dort prakizierten, dezent elektronisch aufgeladenen Sound sowieso Sehnsüchte nach der "guten alten Zeit" verspüren. Wolfsuit sind sicherlich von dieser Ära geprägt, aber es wäre zu einfach, sie als übereifrige Gralshüter des Cold Wave zu bezeichnen. Denn bei aller klanglichen Linientreue darf auch ein bisschen Pop wie in "Someone Else's Shell" nicht schaden.
Ungeachtet der musikalischen Ausrichtung, sind Wolfsuit eine Band, die auch etwas zu sagen hat. Der Kassette liegt ein kleiner Handzettel mit Songtexten und James' Linernotes zu jedem Stück bei. Über seine kurzen Beschreibungen entdecken wir einen wachen, zutiefst einfühlsamen Geist, der in "Metropolis" seine Panickattacken, die er bei einer Reise nach Istanbul erlebt hat, verarbeitet und in "Disney Damage" die von den Medien immer wieder befeuerten Geschlechterrollen kritisiert.
Al_X zeichnet sich für den einzigen deutschsprachigen Song "Behördenzentrum" aus und spricht uns damit aus der Seele, die wir ebenfalls das Gefühl haben, dass die Beamtenstuben größtenteils nur die Aufgabe haben, sämtliche Lebensfreude im Keim zu ersticken und unseren Alltag mit teils kaum noch nachvollziehbaren Paragraphen zu erschweren.
Wolfsuit stilisieren sich nicht als weltabgewandte Künstler. Sie sind sie. Ihre Musik ist keine Pose, ihre Texte eifern keiner Attitüde nach. Man kann sogar so weit gehen, die Band als Musterbeispiel heranzuziehen, wenn es darum geht, den Kern des Wesens der Gothic-Szene zu beschreiben. Ohne große Show, ohne affektierter Emotionsschau, aber dafür mit klaren Gedankengängen, die in Verbindung mit einem unikaten Sound, der bei allen Grautönen auch einige pastellige Tupfer vorweisen kann. Das Zweiergespann hält die Hoffnung auf authentisch-melancholische Kunst am Leben.
Schlussendlich befindet man sich aber auch im Zwiespalt: Dan Scary und Wolfsuit haben Songs entworfen, die eigentlich viel mehr Menschen hören müssten. Doch würde eine breitere Veröffentlichung, einhergehend mit einem eventuellen Plattenvertrag, nicht auch die Unbefangeheit dieser Künstler beeinträchtigen? Ein Dilemma, das schon so lange existiert, wie es "Independent"-Musik(er) gibt.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 01.02.19 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 1/19>
Webseite:
danscary1.bandcamp.com
wolfsuit1.bandcamp.com
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