NATION OF LANGUAGE "STRANGE DISCIPLE" VS. THE SLOW SHOW "SUBTLE LOVE": NACH DER PANDEPRESSION
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Müßig ist es, sich auszumalen, welchen Raketenstart Nation Of Language hingelegt hätten, wäre ihnen die Pandemie nicht in die Quere gekommen. Vielleicht würden die ersten beiden Alben "Introduction, Presence" (2020) und "A Way Forward" (2021) als große Chartstürmer und Gassenhauer in Erinnerung geblieben. Doch selbst unter erschwerten Bedingungen konnte die aus New York stammende Gruppe für Aufsehen sorgen und viele Anhänger hinter sich bringen.
Nach dem Ende von Lockdown, Social Distancing, Masken und so weiter, durfte sich Nation Of Language nicht nur über viele Auftritte, sondern auch jede Menge begeisterte Zuschauer freuen. Ob diese Energie sich direkt auf das dritte Album "Strange Disciple" ausgewirkt hat, kann nicht vollends geklärt. Fakt ist aber, dass Sänger Ian Richard Devaney und seine Mitstreiter sich zwischen den Auftritten ins Studio begeben haben, um an der Platte zu arbeiten.
Man kann nur mutmaßen, inwieweit dieser Wechsel aus intimer Studioatmosphäre und großen Liveauftritten das Album beeinflusst hat. Fest steht aber, dass "Strange Disciple" bei aller Elektronik öfters Gitarre und Schlagzeug in das Klangkorsett mit einbindet, was die Songs organischer und damit auch "livetauglicher" machen. In erster Linie bleibt das Album, wie die Vorgänger bereits auch, eine Ode an das goldene Jahrzehnt des Pop, die 80er Jahre. Und mit der reduzierten Technik versprühen die Songs tatsächlich den Flair von in Vergessenheit geratenen Songs aus dieser Dekade.
Wobei bereits "Weak In Your Light", dessen Basslinie stark an Kraftwerks "Autobahn" erinnert, in ihrer radikalen Reduktion durchaus auch das Hier und Jetzt eingedenkt. Dagegen erinnert der unterkühlte Charakter von "Sole Obsession" entfernt an Ultravox' "Passionate Reply", der B-Seite ihres Überhits "Vienna". Schon früher wurden Nation Of Language mit Orchestral Manoeuvres In The Dark, kurz OMD, in Verbindung gebracht. Auch dieses Mal bietet sich der Vergleich an, allerdings stets bezogen auf ihre innovative Frühphase, als sie mit Songs wie "Messages", "Joan Of Arc" oder "Enola Gay" dem langsam entstehenden Electro-Pop einen ordentlichen Wachstumsschub verliehen.
Trotz der großen Nähe zur New Romantic bleibt "Strange Disciple" in seiner ganzen Atmosphäre ein aktuelles Album, das sich aber derart harmonisch mit der Vergangenheit verzahnt, dass einen das Gefühl beschleicht, ständig zwischen früher und heute zu pendeln. Am Ende sind es einfach die großartig geschriebenen und arrangierten Stücke wie "Surely I Can't Wait", "Too Much, Enough" und "I Will Never Learn", die das dritte Album der Amerikaner zu einem ganz besonderen Klangerlebnis machen, das hintergründig auch die wiedergewonnene Freiheit nach der Pandemie feiert.
Bei The Slow Show wird dieser Moment auf ihrem neuen Album "Subtle Love" plastisch: "Learning To Dance" beginnt mit selbstvergessenem Gitarrenpicking, ehe ein verhalten jubilierender Streichersatz und eine magische Akkordfolge einsetzt. Im Finale gesellt sich ein Chor aus rund 100 Menschen zum Refrain. Dieser besteht aus Fans und Freunde der Band, die dazu aufgerufen hat, gemeinsam diesen Song einzusingen. Ein befreiender und erhabender Moment, wie es Sänger Rob Goodwin in einem Interview beschrieben hat. Schließlich seien ihm die Fans das wichtigste, und diese mehrere Jahre nicht direkt auf den Konzerten zu sehen, war für beide Seiten schwierig. "Learning To Dance" ist daher auch so etwas wie ein Geschenk an die treue Anhängerschaft.
Zum Zeitpunkt der Aufnahme war Corona eingedämmt, was dazu führte, dass man sich wieder uneingeschränkt treffen konnte. Diesen Umstand nutzten The Slow Show, um ein dezentes und doch deutliches Zeichen zu setzen. Wie übrigens das gesamte Album sich wie ein tiefes Ein- und Ausatmen anfühlt, wie eine große Erleichterung, endlich diese schwierige Zeit hinter sich zu lassen.
Vielleicht hat "Subtle Love" gerade deswegen das größte Thema auf Erden zum Inhalt: die Liebe. Doch wie es der Titel verrät, geht es nicht um die rein romantische Vorstellung davon. Vielmehr besteht die Liebe aus vielen kleinen Momenten und Gesten, denen wir uns nicht immer Gewahr sind. The Slow Show spürt diese auf und verarbeitet sie in ihrem markant entspannten Indie-Pop, der sich gerne orchestral-barock gibt.
Wie es bereits der Bandname verspricht, sind treibende Nummern ihre Sache nicht. Das Vierergespann aus Manchester liebt es, die Sounds episch auszubreiten. Ein balladesker Song wie "One Shot" gehört da schon zur Kategorie Höchstgeschwindigkeit. Schnellere Rhythmen passen aber auch nicht zu Goodwins markantem Organ, das in den Tiefen absichtlich wegbröckelt und in den Höhen fest sitzt. Es verleiht den Texten die größtmögliche Emotion. Die Intensität, mit der er beispielsweise "Builder Boy" intoniert, sucht ihresgleichen.
"Subtle Love" fühlt sich wie eine große Umarmung an, von der man möchte, dass sie nicht gelöst wird. Im fünften Album der Band wird die Liebe als eine große universelle Kraft deutlich, die sich auch in den kleinen Dingen des Lebens zeigt und diese dafür umso wertvoller macht. Das Quartett liefert ihr bislang schönstes und eindringlichstes Werk ab, welches die ohnehin schon hochkarätigen Vorgänger locker übertrumpft.
Dass nach der Pandemie nichts mehr so sein würde wie bisher, war schon mit Beginn dieses Ereignisses klar. Doch wie sehr die Rückkehr zur Normalität die Vorstellungskraft mancher Musikerinnen und Musiker befeuerte, ist mehr als bemerkenswert. Bei Nation Of Language führte das zu einem kleinen aber bedeutenden stilistischen Kurswechsel, bei The Slow Show zu einem groß angelegten Happening im Namen der Liebe. Womöglich wären "Strange Disciple" und "Subtle Love" ohne Corona nie in dieser Form entstanden.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 22.09.23 | KONTAKT | WEITER: MICK HARVEY & AMANDA ACEVEDO VS. HARRY STAFFORD & MARCO BUTCHER>
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