MASSIV IN MENSCH "AM PORT DER GUTEN HOFFNUNG" VS. PURWIEN & KOWA "ZWEI": ERNST SEIN IST (NICHT) ALLES - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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MASSIV IN MENSCH "AM PORT DER GUTEN HOFFNUNG" VS. PURWIEN & KOWA "ZWEI": ERNST SEIN IST (NICHT) ALLES

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Was ist Humor? Eine Frage, die so simpel klingt, eine Antwort darauf aber schier unmöglich erscheint. Generationen von Philosophen haben sich an diesem - in letzter Instanz dann doch - ernsten Thema abgearbeitet. Eine Theorie besagt vereinfacht, dass sich der Witz aus der Unvereinbarkeit zweier Ebenen speist und im Lachen aufgelöst wird.

Um diesen verschwurbelten Gedanken ein praktisches Beispiel zu liefern, bietet sich Massiv in Mensch mit der "Draupner-Welle", dem Intro ihres neuen Albums "Am Port der guten Hoffnung", bestens an. Der bekannte Schauspieler und Hörspielsprecher Reiner Schöne, der bereits frühere MIM-Werke mit seinem sonoren Organ veredelte, trägt einem alten Seebär gleich die Geschichte über die gleichnamige Monsterwelle vor, die 1995 mit 26 Metern Höhe die Wellenmessgeräte der Nordseebohrinsel "Draupner-E" zum Erzittern brachte. Bis dahin wurden solche Naturgewalten als Seemannsgarn belächelt. Doch seit diesem empirischen Beweis befassen sich Wissenschaftler intensiv mit solchen Phänomenen.

Und der Witz? "100 Prozent Offshore-Electronic" setzt Reiner am Ende der Geschichte noch dazu und gibt damit dem Affen Zucker. Denn die Synthie-Truppe um Sänger Daniel Logemann liebt es, nicht nur musikalisch quer durch die Stile zu wildern, sondern bleibt auch ihrer abstrusen Themenauswahl treu, die auch schon mal die Unart des "Offenen Schuhwerks" anprangert oder die Nichtfrisur "Vokuhila" aufs Korn nimmt.

"Am Port der guten Hoffnung" nun ist ein maritimes Album geworden. Aber anders, als man es normalerweise erwarten könnte. Es geht nicht um balearisches Sommerfeeling, sondern um das raue Leben an oder auf der See sowie die Frage nach der Energiegewinnung durch die Natur. Mastermind Logemann ist gebürtiger Friese und weiß daher genau, worüber er singt. Aber er spinnt den roten Faden in überraschende Richtungen aus. So bezieht sich "Rotto Nave" auf das Unglück der havarierten Costa Concordia, der Titelsong wiederum setzt sich mit dem Containerterminal "JadeWeserPort" in Wilhelmshaven auseinander, dessen Bau nicht ganz unumstritten war.

Schließlich darf auch ein Loblied auf die Hansestadt Hamburg nicht fehlen. Hatten vor einigen Jahren die Neuen Deutschen Letalkünster Oberer Totpunkt eine menschenfeindliche und sozial kalte Grossstadt besungen, gehen Massiv In Mensch auf "Hamburg" den Weg des singenden Fremdenführers, der mit Fakten und Sehenswürdigkeiten jongliert - begleitet vom typischen Sound aus freischwebender Elektronik mit erdigen Beats, die eine stilistische Nähe zu Welle:Erdball durchscheinen lassen.

Jene Gruppe zeigt sich übrigens sehr präsent auf "Am Port...". Der hörspielerprobte Frontmann Honey spricht in "Mêlée Island", dem Präludium zum vielleicht schmissigsten Song "Monkey Island", die bekannte Textpassage des Spähers aus dem Amiga-Videospiel "Monkey Island", während der weibliche Gesang auf dem Album von Sara Peel übernommen wurde, ebenfalls aus dem Chanteusen-Dunstkreis von Welle:Erdball stammend. Dass Massiv In Mensch sich mit "Der schwarze Mann" zu der Coverversion eines Kinderliees hinreißen ließen, offenbart eine weitere Parallele zum befreundeten imaginären Radiosender, die sich ebenfalls an solche "Klassiker" herangetraut haben (man erinnere sich nur an "Laterne" vom 1995er Album "Alles ist möglich").

Erlaubt ist, was Spaß macht. "Am Port..." besitzt davon, bei aller Ernsthaftigkeit mancher Themen (und auch gefühlvoller Momente wie bei der kraftvollen Ballade "Der Sturm") jede Menge und macht die mittlerweile achte Langspielveröffentlichung für Connaisseure dieser Ausnahmegruppe zum Muss - nicht zuletzt wegen der nicht weniger gelungenen zweiten CD mit Remixen, darunter von Kontrast, Les Berrtas und Uselessense, sowie einigen Bonussongs.


Einen besonderes Addendum besitzt auch "Zwei" von Purwien & Kowa. Neben die in Albumlänge gegossene gelungene Fortsetzung der Solo-Aktivitäten von Ex-Second-Decay-Stimme Christian Purwien gibt es auch noch einen kompletten Roman, den der Mann mit dem markant hoffnungslosen Timbre zusammen mit Poetry-Slammer Thomas Kowa erdacht hat. Eine herrlich abstruse Mär von zwei musikalischen Vollpfosten, die auf Teufel komm raus einen Hit produzieren müssen, um die Schulden zu tilgen, die sie sowohl bei der Deutschen Bank, als auch bei den Hells Angels (!) geliehen bekommen haben. "Pommes! Porno! Popstar!" lautet der neugierig machende Titel.

Zwei Auszüge des von Dominik Jungheim ansprechend eingelesenen Hörbuchs lassen vermuten, dass der Roman einen ähnlich Slapstick besitzt wie die einschlägig bekannten Bud Spencer/Terence Hill Filme. Dass das Album, welches quasi als Soundtrack zur Lektüre fungiert, gegen Ende auch mit einer wunderbaren Coverversion des Italo-Dance-Klassikers "People From Ibiza" von Sandy Marton versehen wurde, ist nur das humorige i-Tüpfelchen, da sich die Geschichte von "Pommes! Porno! Popstar!" vorwiegend auf eben jener Partyinsel der 1980er abspielt.

Der leicht wehmütige Blick zurück sei Purwien auch nachfolgend mit "Blut" gegönnt, einem Stück, das er unter dem Moniker Rehberg zusammen mit seinem ehemaligen Mitstreiter Andreas Sippel und den Entspannungs-Elektronikern von NoComment aufgenommen hat und auf "Zwei" ein tönernes Update erfährt. Doch damit ist der Gefühlsduselei Genüge getan. Purwiens ereignisreiche Vergangenheit in alle Ehren, bleibt auf dem neuen Langspieler jedoch nicht all zu viel Zeit für Retrospektiven. "Alte Hits" verfügt daher gottlob schon über die nötige humorvolle Distanz, die das Ziehen eines Schlussstriches mit dem Geschehenen erleichtert.

Ansonsten lebt "Zwei" von einer spielerischen Mühelosigkeit, die nur gelingt, wenn man sich von allen Dämonen befreien konnte. Purwien & Kowa machen Spaß, weil sie Spaß an ihrer Arbeit haben. Hier wird nicht krampfhaft versucht, Anschluss an eine Szene oder vergangene Tugenden zu finden. Die Liebe zu den hypermelodiösen 80ern manifestiert sich natürlich überdeutlich. Allen voran "Der König geht zu Fuß" wirkt wie eine Mischung aus lyrischem NDW-Nonsense mit den herrlich käsigen Synthie-Sounds.

Und das ist auch gut so, denn Purwien & Kowa bleiben der Synthesizer-Popmusik natürlich treu, ohne sie aber zu konservativ zu behandeln. Im Mittelteil von "Zwei" fährt das Duo sogar auf ein kontemplatives Minimum runter, lässt in "Manchmal" eine von Geigen dominierte Ballade den Raum einnehmen und den Sänger als gefühlvollen Barden glänzen und zeigt in "Leere" und "Transplantation", dass die beiden auch Schmalz können. Das aber machen sie richtig gut.

Vielleicht ist dieser massive Block aus ruhigeren Nummern etwas schwer verdaulich. Er zeigt aber auch, dass das Duo sich nichts vorschreiben lässt und seinen eigenen Gesetzen folgt. Da ist es auch nicht mehr verwunderlich, das Lied "Die Zeit ist vorbei", Purwiens tönerne Hommage an seine verstorbene Mutter, mit eher tanzbaren Sounds aufzubauen, anstatt sich in diesem Moment in schluchzenden Klaviermelodien oder weinerlichen Streichern zu ergehen.

Alles also ein bisschen anders bei Massiv In Mensch und Purwien & Kowa. Schema-F-Liebhaber werden sich daran vielleicht die Zähne ausbeißen. Unvoreingenommene hingegen wissen den Mix aus Humor und Ernthaftigkeit durchaus zu würdigen und es wird ihnen ein inneres Blumenpflücken sein, diesen beiden Werken zu lauschen.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 15.09.17 | KONTAKT | WEITER: SPARKS VS. THE CRÜXSHADOWS >

Webseite:
www.massivinmensch.com
www.purwienundkowa.com

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COVER © Katyusha Records (Massiv In Mensch), SPV (Purwien & Kowa)

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