13/20: RENARD, DI-RECT, CABARET VOLTAIRE, LEDFOOT LE TEKRØ, WELLE ERDBALL - VON DEN ALTEN LERNEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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13/20: RENARD, DI-RECT, CABARET VOLTAIRE, LEDFOOT LE TEKRØ, WELLE ERDBALL - VON DEN ALTEN LERNEN

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2020

Im Leben geht es immer darum, voll und ganz hinter einer Sache zu stehen und nicht im Wischi-Waschi-Modus seine Aufgaben zu erledigen. In der Musik ist das natürlich nicht anders: Nur den klaren Überzeugern gehört die Welt.

In dieser Beziehung hat sich Markus Reinhardt sicherlich nichts vorzuwerfen. Mit Wolfsheim servierte er seinem Kollegen Peter Heppner die perfekten Melodien und mit "The Sparrows And The Nightingales" einen szene- und Jahre später mit "Kein zurück" einen deutschlandweiten Hit. Nach gerichtlichen Streitigkeiten mit Heppner löste sich Wolfsheim auf und Reinhardt suchte in verschiedenen Projekten nach neuen Herausforderungen. Allen voran Care Company, ein Zusammenschluss aus Reinhardt, dem erst kürzlich verstorbenen Jose Alvarez-Brill und Project-Pitchfork-Gitarrist Carsten Klatte, konnte für einiges Aufsehen sorgen. Danach blieb es relativ ruhig. Mit Renard taucht der Mann etwas überraschend wieder auf - und zeigt auf seinem Album "Waking Up In A Different World", dass er nichts verlernt hat. Sein von akustischen Instrumenten durchzogener Synthiepop lebt von ätherischen Melodiebögen, die bereits beim eröffnenden "The Meissen Figurine" ihre volle Wirkung entfalten. Bei "Travel In Time" wünscht man sich dann zwar Peter Heppner wieder vors Mikro, was aber die gesangliche Leistung des nicht minder bekannten Pascal Finkenauer nicht schmälern soll. Besonders die Zusammenarbeit mit Marian Gold von Alphaville bei "Hotel" und "Damn Happy" bleibt im Gedächtnis. Reinhardt selbst bezeichnet dieses Album als eines, wo er "mehr er selbst" sein kann. Angesichts der Fülle an reibungslos funktionierenden Synthie-Pop-Nummern mag man ihm das gerne glauben.

Auch schon eine halbe Ewigkeit unterwegs sind Di-Rect aus den Niederlanden. Aber außer in ihrem Heimatland, wo ihre Alben regelmäßig die oberen Chartregionen erreichen, Goldauszeichnungen und andere namhafte niederländische Preisnominierungen inklusive, haben nur die wenigsten vom Quintett Notiz genommen. Das ist schade, denn der Welt entgehen richtig leckere Pophappen, der zu keiner Zeit Gefangene machen. Der wuchtig eingespielte Synthie-Akkord von "Born Again", der das neue Album "Wild Hearts" eröffnet, gibt die Richtung vor: perfekt produzierter Pop-Rock, auf dem immer noch eine Lage auf die nächste folgt, getreu dem Motto: "Viel hilft viel". Bei "Hibernation" fühl man sich sogar an den überbordenden Camp-Pop von den Scissor Sisters, als diese noch Relevanz besaßen, erinnert. Doch auch in den ruhigeren Momenten, namentlich "Soldier" - auch ein Chartstürmer mit Goldplakette - und "Naked" (das jedem Coldplay-Fan ans Herz gelegt sei) zeigen Di-Rect ihr Talent, die Spannung hoch zu halten. Das liegt nicht zuletzt an Marcel Veenendaal, der seit 2009 als Sänger der Band vorsteht und dessen exaltierter Gesang passgenau in den jubilierenden Sound, der es sich zwischen den Polen Rock, Pop, Indie und Soul behaglich gemacht hat, einfügt. Da funktioniert selbst eine polierte R'n'B-Nummer wie "Snakebite", die anderswo für Fremdscham gesorgt hätte. Wird Zeit, dass die Jungs endlich mal hier Gehör finden, und zwar auf - höhöhö - "Di-Rect"em Wege.

Noch länger im Musikzirkus als die beiden vorher genannten unterwegs ist Richard H. Kirk. Der Mann aus Sheffield ist das perfekte Beispiel für einen Anti-Rock-Star. Von der Kunst aus kommend (Kirk hat am Sheffield Art College studiert), nutzte er die abstrakten Möglichkeiten der Klangerzeugung, was sich vor allem in seinem collagehaft-nerdigen Sound wiederspiegelt. Zusammen mit Stephen Mallinder und Chris Watson gründete er Cabaret Voltaire, die Mitte der 1970er zu Vorreitern des Industrial wurden und auch den aufkommenden Post-Punk mitprägten. Stücke wie "Nag Nag Nag" und "Do The Mussolini (Headkick)" wurden zu veritablen Szenehits. 1994 kam es zum Bruch zwischen Kirk und Mallinder, Chris Watson schied bereits 1983 aus. Umso erstaunlicher, dass nach mehr als 25 Jahren mit "Shadow Of Fear" ein neues Album erschienen ist. Kirk, der eine Reunion der Urbesetzung kategorisch ausschließt und folgerichtig die Platte im Alleingang herausgebracht hat, hat ein wie aus der Zeit gefallenes Werk erschaffen, das vor modulierten Sprach- und Rhythmussamples sowie einem gewollt unperfekt anmutenden Techno nur so strotzt und dem Hörer volle Konzentration abverlangt (allein die verschränkten Rhythmuspattern bei "Microscopic Flesh Fragment" zehren an den Nerven). "Shadow Of Fear" ist ein surrealer Albtraum geworden, ein tönernes Panoptikum rudimentärer Elektronik, die aufgrund ihrer Kratzigkeit aber auch ungefilterten Energie (ein Trance-Träumchen: "Universal Energy") fesselt. Und fast hat man das Gefühl, Cabaret Voltaire sind nie wirklich weg gewesen.

Der selben Generation wie Richard H. Kirk gehören auch Ledfoot & Ronni Le Tekrø an. Doch musikalisch sind sie ganz woanders unterwegs, auch wenn Ronnis Nachame als Anagramm von Elektro und damit die musikalische Provenienz gedeutet werden könnte. Ein bisschen Keyboard-Geklimper findet sich zwar auf dem selbstbetitelten Debüt der beiden musikalischen Schwergewichte, aber in der Hauptsache haben wir es hier mit waschechten Rockern zu tun, die sich in ihrer Zusammenarbeit irgendwo zwischen schummrigem Gothic im stilistischen Dunstkreis von The Mission und kaputtem Blues-Rock bewegen. Ihre Vitae jedenfalls sind beeindruckend: Le Tekrø hat als Gitarrist der Formation TNT beachtlichen Erfolg gehabt, Ledfoot (eigentlich Tim Scott McConnell) machte als Songschreiber unter anderem für Bruce Springsteen ("High Hopes" von 2013 stammt aus seiner Feder) von sich Reden. Aussagekräftiges Songwriting trifft auf filigrane Gitarrenbearbeitung - das sorgt bei "Ledfoot & Ronni Le Tekrø" für spannende Momente. Vor allem "A Death Divine" begeistert vom Fleck weg mit seinen akustischen, aber dennoch kraftvollen Akkorden. Der Höhepunkt der Platte wird jedoch mit der spärlich arrangierten Ballade "Imperfect World" erreicht, bei dem Ledfoot exponiert und zerbrechlich singt, während Ronni sein ganzes instrumentales Können unter Beweis stellt - fast schon ein Led-Zeppelin-Moment. Dass die Vereinigung dieser beiden Talente was Großes hervorzaubern würde, war zu erwarten. Aber nicht, dass es aber derart gewaltig werden sollte. Das schreit förmlich nach einem zweiten Album.

Momentan gehört es bei Bands der Schwarzen Szene zum guten Ton, ihre Kompositionen in ein klassisches Gewand zu kleiden. Das mag bei Bands wie VNV Nation oder Deine Lakaien durchaus sinnvoll sein. Erstere setzen schon seit jeher auf eine wagnerianische Wucht, die sich gut ins Orchester transferieren lässt, und Lakaien-Musiker Ernst Horn ist sowieso am Konservatorium ausgebildet worden, stammt also direkt von der Klassik. Doch wenn Welle:Erdball ihre auf spröden Commodore-Charme ausgerichteten Songs in Orchester-Dimensionen aufplustern, mag man da durchaus zweifeln, ob das funktionieren kann. Ganz unplugged ist aber "Engelstrompeten & Teufelsposaunen" nicht. Immerhin dürfen Vocoder und andere stimmverfremdenden Mittel mitmischen, die Musik allerdings bleibt Sache des 40-köpfigen Funkhaus-Orchesters unter der Leitung von Conrad Oleak. Dieses hat sich dem Electro-Pop auf einer cineastischen Ebene genähert, unterfüttert die Melodien mit viel Bläsern und allem, was das Ensemble hergibt, sodass Klassiker wie "Arbeit adelt", "VW Käfer" oder "Starfighter F-104G" fast schon so wuchtig daherkommen wie der Soundtrack von "Fluch der Karibik". Das wird besonders jahrelange Fans erfreuen, die ihre Lieblingssongs (die Auswahl der neu interpretierten Stücke ist weise gewählt) in einem ganz anderen Licht bewundern können. Für Sänger Honey und seine Mitstreiter ist es auch eine weitere Bestätigung ihres bald dreißigjährigen Bestehens und ein kleines Geschenk an sich selbst.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 24.11.2020 | KONTAKT | WEITER: TOBIAS KUHN (MILES, MONTA)>

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renard.bandcamp.com
www.di-rect.com
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www.welle-erdball.info


Covers © Mvd (Renard), Backseat/Soulfood (Di-Rect), Mute/Rough Trade (Cabaret Voltaire), TBC Records (Ledfoot & Le Tekrø), Oblivion/SPV (Welle:Erdball)

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