SPARKS "HIPPOPOTAMUS" VS THE CRÜXSHADOWS "ASTROMYTHOLOGY": WELTBERÜHMT IN DEUTSCHLAND
Viel verbindet The Crüxshadows und Sparks nicht. Die einen arbeiten mit liebevoller Akribie an einem handfesten Electro-Rock mit unweigerlichem Drang nach melodiösen Höchstleistungen sowie, dank elektronischer Geigenparts, einem wohlgesetzten Schuß Pathos, abgerundet durch die mystisch angehauchten Textzeilen von Mastermind Rogue. Dagegen betreibt das Brüderpaar Ron und Russel Mael seit nun mehr 45 Jahren den gepflegten sophistischen Unsinn, wobei sie musikalisch jede Sparte bedienen, da sie mehr oder weniger nur als Transportmittel ihrer skurrilen Texte dienen.
Und doch eint die beiden ein Faktum: Hält sich die Euphorie um diese zwei Gruppen in ihrer Heimat Amerika eher in Grenzen, werden ihnen hierzulande, respektive in England, stets ein großer Bahnhof bereitet, sobald sie wieder Neues von sich hören lassen.
Dass nun gerade Sparks in England chartstechnisch in der Regel besser abschneiden als in den Vereinigten Staaten, ist kaum verwunderlich. Nicht nur sehen sie in ihren feinem Zwirn und mit bewusst distinguierter Attitüde "very british" aus, ihre Alben sind wie gut organisierte Reisen ins Absurdistan und damit gedanklich den englischen Vorzeigehumoristen von Monty Python näher als den amerikanischen, leicht hysterischen Comedians.
Das neue Album "Hippopotamus" macht da keine Ausnahme. Schon bei "Missionary Position", einem flammenden Plädoyer für die wunderbare Einfachheit und Effektivität der Missionarsstellung, das in grandios schmissigem Musical-Rock daherkommt, mag sich der eine oder andere Hörer an die legendäre Nummer "Every Sperm Is Sacred" der englischen Blödeltruppe aus ihrem letzten gemeinsamen Film "Der Sinn des Lebens" erinnert fühlen. Und obwohl die beiden Männer die 70 längst überschritten haben (oder wie sie in ihrer gelungensten Nummer "Edith Piaf (Said It Better Than Me") bemerken: "Live fast and die young. Too late for that"), besitzt das Werk nicht eine Spur von Altersmilde. Ganz im Gegenteil: Die Gebrüder Mael treiben die Skurrlität ihrer Songs auf ein neues Level.
Man kennt das ja. Da geht man zu seinem Swimming-Pool und dann schwimmt da ein Nilpferd. Und ein Buch. Und ein Gemälde von Hieronymus Bosch. Und ein 1958er Volkswagen Bulli, in dem ein Hippie sitzt. Und Titus Andronicus mit einem Schnorchel. Den Irrwitz ihres Titelsongs unterlegen sie mit Stakkato-Geigen und einer hektischen Rhythmusabteilung. So und nicht anders funktioniert intelligenter Schwachsinn. Art-Pop at its best.
Daneben mokieren sie sich in einzigartiger Weise über den globalen Kulturbetrieb. "When You're A French Director" zitiert unter folkloristischen Akkordeons im Dreivierteltakt die Manierismen des französischen Films, der immer "obscure as hell" zu sein hat. Und natürlich fühlen sich deren Regisseure den amerikanischen Kollegen überlegen. "Hollywood guys, with their CGI eyes smile But their films lack 'le feel'". Bei aller Überspitzung ist da viel Wahres dran - und ein metaphorischer Schuss der Sparks vor den Bug ihres Heimatlandes, das nie wirklich warm wurde mit ihnen und ihrer Kunst.
Ebenso fördern sie beim Song "Scandinavian Design", in dem der Protagonist in einem Raum mit nur einem Tisch und zwei Stühlen lebt, einige reale Tatsachen zu Tage, verpackt in eine groteske Geschichte. Die stringente Einfachheit und klare Form seines Interieurs lässt das lyrische Ich mehr erbeben als die Frau, die ihn besuchen kommt. Es ist der längst nötige Seitenhieb auf eine Gesellschaft, die ihr "schöner wohnen" über eine sterile Ästheitk definieren, bei der jeder funktionslose Blickfang unverzüglich eliminiert wird. Genauso wie beim kurzen barocke Cembalo-Part, dem ob seiner Verspieltheit keine Entfaltung erlaubt wird.
In 15 Songs, allesamt mit großem Hit-Potenzial versehen, schaffen Sparks eine kunstvolle Anti-Haltung gegenüber der Welt. Sie verweigern sich ein weiteres Mal gegen sämtliche Plattitüden und musikalische Schubladen, lassen dabei aber immer wieder schlaglichtartig ihr immenses kulturelles Wissen durchscheinen. Eigentlich müßig zu ewähnen, wie bemerkenswert phantasievoll und vor allem subversiv diese beiden alten Herren den Popzirkus unterwandern. Da können die ach so "independenten" Musiker mit ihren schalen Parolen gleich wieder Kehrt machen. Denn der Eleganz ihrer Verweigerung ist schwer beizukommen. Gerade in Zeiten größter Unsicherheit, in der wir momentan leben, bietet "Hippopotamus" einen kleinen Moment der Alltagsflucht.
Mit diesem Vorsatz arbeiten auch The Crüxshadows seit vielen Jahren an ihren Alben. Sie lieben die Mythologie, bauen in ihre Nummern immer wieder ägyptische und griechische Geschichte(n) mit ein, um den Hörer in eine - vielleicht manchmal sehr einfach gestrickte - Phantasiewelt abtauchen zu lassen. Kurz gesagt: Ihr Eskapismus hat Methode, der hier gut ankommt.
Ironischerweise stammen The Crüxshadows aus dem Sonnenstaat Florida, was man angesichts ihrer stets melancholisch eingefärbten Nummern fast gar nicht glauben mag. Anscheinend könne auch die dortigen "happy people" mit den aufwendig gestylten, ein wenig an Mangafiguren erinnernden Musikern nicht so viel anfangen. Immerhin schaffte es die Single "Sophia" aus ihrem 2007er Album "Dreamcypher" damals auf Platz 1 in den Hot Dance Singles Charts. Ansonsten bleibt das Ensemble eher ein Nischenprodukt.
Schnell aber erkennt Rogue, dass Europa im Allgemeinen und Deutschland im speziellen ihren schwermelodiösen Synthie-Rock besser verstehen. So sind The Crüxshadows regelmäßig Gäste bei den wichtigen Schwarzkittel-Großveranstaltungen wie dem Hildesheimer "M'Era Luna" oder dem Leipziger "Wave Gotik Treffen". Sogar der Song "Deception" kam als "Täuschung" in deutscher Variante auf den Markt.
Für den aktuellen Longplayer "Astromythology" (den sie übrigens in Teilen in Deutschland produziert haben) richtet Rogue und sein bunter Haufen den Blick nun gen Himmel und verquickt Numerologie und Astrologie mit jubilierenden Sounds. Dabei wirkt das neue Album, das erste seit fünf Jahren, wesentlich organischer und - man darf es ruhig aussprechen - extrem poppig.
Bereits mit "Helios" kämpft sich Rogues klare Stimme deutlich in den Vordergrund, wirkt präsenter, will erzählen und verführen. Das Augenmerk auf den Tanzbarkeit bleibt dabei zwar erhalten, scheint aber nicht mehr so überpräsent zu sein.
Den ersten markanten Höhepunkt bildet "Home", ein Lied über zerbrochene Freundschaft und dem daraus entstehenden Gefühl, wie im luftleeren Raum zu schweben. Anstatt demotivierender Pianoklänge, die dem Text sicher gut zu Gesicht gestanden hätte, schöpft Rogue aus den vollen und liefert eine majestätische Streicher-Power-Ballade ab, die jenen Pathos-Schnulzeln eines Unheilig nicht unähnlich sind. Auch "Telescope" kratzt mit seinem choralen Refrain deutlich an der Schmalzkruste.
Damit bewegen sich The Crüxshadows auf einem gefährlichen Terrain. Solche einprägsamen Songs werden zwar andere Käuferschichten erschließen, den langjährigen Fan aber vielleicht das weißgeschminkte Näschen rümpfen lassen. Zumindest über die beeindruckende Grandezza von "Home" gibt es jedoch keine zwei Meinungen.
Sich an diesen Stücken aufzuhängen und über Wohl und Wehe eines ganzen Albums zu urteilen, wäre aber zu billig. So gewinnt "Of Angels" mit seinen brachial angeschlagenen Geigen die alten Weggefährten wieder zurück, und "Jupiter" darf sich getrost das Label "Gothic" ans Revers heften. Ist also alles halb so schlimm.
Setzt man "Astromythology" zusammenfassend in den Kontext des bereits üppigen Crüxshadows-Backkatalog, könnte dieses Album eine musikalische Neuorientierung markieren, die der Eingängigkeit mehr Raum lässt, während Rogue sich textlich wie gewohnt in geheimnisvolle Welten begibt.
"Make America great again!". Wenn das der Präsident nicht schafft, obwohl er selbst diese Parole ausgerufen hat, müssen das eben andere machen. Sparks und The Crüxshadows sind dabei kein schlechter Anfang.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 07.09.17| KONTAKT | WEITER: VARIOUS ARTISTS "NOISE REDUCTION SYSTEM">
Webseite:
www.allsparks.com
www.crüxshadows.de
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