XMAL DEUTSCHLAND "GIFT: THE 4AD YEARS": GERMAN ANGST IN ENGLAND - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

Direkt zum Seiteninhalt

XMAL DEUTSCHLAND "GIFT: THE 4AD YEARS": GERMAN ANGST IN ENGLAND

Kling & Klang > REVIEWS TONTRÄGER > X > XMAL DEUTSCHLAND
So plakativ wie einleuchtend der Titel dieser Wiederveröffentlichung: "Gift". Denn je nach dem, welche Sprache man dem Wort zu Grunde legt, ändert sich die Bedeutung radikal. Im Deutschen definiert es eine gefährlich Substanz, während das orthografische Pendant im Englischen wortwörtlich das Geschenk ist. Es erklärt alles: Xmal Deutschlands Wechsel von deutschen Texten zu Beginn hin zum internationalen Englisch, dem Wesen der Band um Anja Huwe, deren Songs so niederschmetternd und gleichzeitig segensreich in ihrer Düsternis sind, aber letzten Endes auch, dass es England war, welche die Hamburger Band liebevoll aufnahm und sie groß werden ließ.

Denn nach zwei Aufnahmen für das legendäre deutsche ZickZack Label, darunter der immer noch nicht totgenudelte Undergroundhit "Incubus Succubus", war die kurze Chance, Xmal Deutschland könnte die prosperierenden Prä-Hitparaden-NDW maßgeblich mitprägen, auch schon wieder vertan. Stattdessen zog es die fünfköpfige Band aus der Hansestadt nach London. Durch eine erfolgreiche Konzertreise mit den Cocteau Twins, hat sich das Label 4AD kurzerhand dazu entschlossen, die Band unter ihre Fittiche zu nehmen - ein Schritt, der sich im Nachhinein als sehr weise erwies.

Dabei geschieht es eher selten, dass deutschsprachige Bands in England einen größeren Zulauf erhalten. Die Alternativszene dort war allerdings schon immer offen für die "Krauts". Auch die Deutsch Amerikanische Freundschaft reüssierte mit ihrem strammen Elektrosound und den assoziativ in die Menge geschleuderten Texten von Gabi Delgado. Vielleicht entsprach der Sound den klischeehaften Vorstellung der Engländer über Deutschland als Land der militaristischen Marschmusik.

Xmal Deutschland war aber weit davon entfernt, eine "deutsche" Band zu sein. Genau das war wohl ihr Vorteil. Mit ihrem Post Punk befanden sie sich in perfekter Gesellschaft mit Bands wie Joy Division und Siouxsie & The Banshees. Dass sie aber anfangs in Deutsch sangen (was in britischen Ohren sicherlich immer etwas mysteriös klingt) ist ein Exotikpunkt, der andere ist zweifelsfrei Anja Huwe selbst, die mit ihrer markanten Stimme ihren Kompositionen erst das Alleinstellungsmerkmal aufdrückt, wenn sie mal beschwörend, mal somnambul, mal expressionistisch ihre teils kryptische Texte intonierte.

Das macht Stücke wie "Qual", "Orient", "Mondlicht" oder auch "Stummes Kind" zu außergewöhnlichen Nummern mit hypnotischer Sogwirkung. Besonders in den repetitiven Momenten, in denen sich die Frontfrau mit jeder Sekunde noch tiefer in die Emotionen begibt, bleiben in Erinnerung. Daneben zeigen die Wiederveröffentlichungen der ersten beiden Alben, wie sehr sie noch von der Experimentierlust durchdrungen waren. "In der Nacht" beispielsweise lässt über eine dezent variierte Orgelfigur dubbige Sound- und Gesangsschnipsel laufen und haben damit ein fiebrig-surreales Kleinod geschaffen.

Die Fans indes diskutieren bis heute darüber, ob "Fetisch" (1983) oder "Tocsin" (1984) der Band Quintessenz ist. Fest steht auf jeden Fall, dass der Zweitling noch etwas wuchtiger daherkommt, was sicherlich auch damit zu tun hat, dass Xmal Deutschland immer besser wussten, was sie wollten. "Reigen", das beschwörende "Tag für Tag" (bei dem bereits partiell in Englisch gesungen wurde) oder das zackig-rostige "Begrab mein Herz" dürften aber sicherlich auch durch Produzent Mick Glossup, der zuvor bereits mit Magazine oder PIL zusammengearbeitet hat und daher genau wusste, was es braucht, um eine Indie-Band strahlen zu lassen, die entscheidenden Energieschub bekommen haben.

Auf  der anderen Seite stehen die Songs auf "Fetisch" für einen unmittelbareren, raueren Sound. Schließlich war es eben dieses Ungebändigte und das Wilde, die 4AD Gründer Ivo Watts-Russel dazu veranlasste, die Norddeutschen unter Vertrag zu nehmen und das erste Album zu produzieren. Man hat das Gefühl, das "Fetisch" eine Fingerübung war und "Tocsin" zum großen Wurf ausgeholt hat.

Am Ende zählt aber nur eines: dass diese beiden Alben (nebst den damals auf dem Label veröffentlichten Singles respektive EPs) auf diesem Rerelease wieder erhältlich - natürlich auf Hochglanz poliert. Wobei es sich fast verbietet, die  Songs zu sehr durch den digitalen Fleischwolf zu drehen. Schließlich verkörpern sie wie kaum eine andere Band die "German Angst" so kunstvoll und selbstbewusst. Sicherlich ein weiterer Grund, warum Xmal Deutschland in England Erfolg hatte. Denn so dunkel und trist auch die britischen Postpunker auch sein mögen: Eine Band aus dem "Land of the Weltschmerz" sticht in puncto Melancholie so ziemlich alle anderen Kollegen.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 06.05.25 | KONTAKT | WEITER: DINA SUMMER "GIRLS GANG REMIXES">

Webseite:

Kurze Info in eigener Sache
Alle Texte werden Dir kostenfrei in einer leserfreundlichen Umgebung ohne blinkende Banner, alles blockierende Werbe-Popups oder gar unseriöse Speicherung Deiner persönlichen Daten zur Verfügung gestellt.
Wenn Dir unsere Arbeit gefällt und Du etwas für dieses kurzweilige Lesevergnügen zurückgeben möchtest, kannst Du Folgendes tun:
Druck' diesen Artikel aus, reich' ihn weiter - oder verbreite den Link zum Text ganz modern über das weltweite Netz.
Alleine können wir wenig verändern; gemeinsam jedoch sehr viel.
Wir bedanken uns für jede Unterstützung!
Unabhängige Medien sind nicht nur denkbar, sondern auch möglich.
Deine UNTER-TON Redaktion

POP-SHOPPING





Du möchtest diese CD (oder einen anderen Artikel Deiner Wahl) online bestellen? Über den oben stehenden Link kommst Du auf die Amazon.de-Seite - und wir erhalten über das Partner-Programm eine kleine Provision, mit der wir einen Bruchteil der laufenden Kosten für UNTER.TON decken können. Es kostet Dich keinen Cent extra - und ändert nichts an der Tatsache, dass wir ein unabhängiges Magazin sind, das für seine Inhalte und Meinungen keine finanziellen Zuwendungen von Dritten Personen bekommt. Mit Deiner aktiven Unterstützung leistest Du einen winzig kleinen, aber dennoch feinen Beitrag zum Erhalt dieser Seite - ganz einfach und nebenbei - für den wir natürlich außerordentlich dankbar sind.

COVER © 4AD/BEGGARS GROUP

ANDERE ARTIKEL AUF UNTER.TON
SAMPLER "SOMBRAS: SPANISH POST PUNK + DARK POP 1981-1986"
BILDBAND "SCHON UNSER HEUT EIN GESTERN IST: DER ZAUBER DES VERFALLS"
POST-PUNK-KOMPENDIUM "SOME WEAR LEATHER, SOME WEAR LACE"



Rechtlicher Hinweis: UNTER.TON setzt auf eine klare Schwarz-Weiß-Ästhetik. Deshalb wurden farbige Original-Bilder unserem Layout für diesen Artikel angepasst. Sämtliche Bildausschnitte, Rahmen und Montagen stammen aus eigener Hand und folgen dem grafischem Gesamtkonzept unseres Magazins.



                                                   © ||  UNTER.TON |  MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014. ||
Zurück zum Seiteninhalt