LMX "HABITS & ADDICTIONS" VS. X MARKS THE PEDWALK "NEW/END": ES BLEIBT IN DER FAMILIE
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Nicht selten geschieht es, dass Kinder ihren Eltern beruflich nacheifern. Wenn die Eltern oder ein Teil von ihnen einen Betrieb führt, ist es nicht unüblich, dass der Junior (oder die Juniorin - sagt man das so?) in deren Fußstapfen treten. Eine besondere Ausnahme bildet die Kunst als solche. Denn auch wenn die landläufige Meinung zwar besagt, dass Kinder prominenter Eltern einen leichteren Einstieg ins Berufsleben erhalten, laufen sie aber Gefahr, immer als "Sohn von..." oder "Tochter von..." degradiert zu werden.
Bei LMX sollten sich derlei Gedanken aber nicht einschleichen. Hinter dem Projekt verbirgt sich der Sohn von X Marks The Pedwalk-Denker André Schmechta. Dieser hat seine Duftmarken in der elektronischen Musik bereits hinterlassen. Nun schickt sich sein Filius an, das gleiche zu tun. Doch als der Vater in den 1990ern seine überbordenden Visionen einer neuen dunklen elektronischen Musik dem Hörer näher zu bringen versuchte, hat LMX die Wahl aus verschiedensten Stilen, die sich seit dem entwickelt haben. Dieses Überangebot kanalisiert der Youngster auf seinem bereits dritten Album "Habits & Addiction".
Synthie-Pop, Trap, Trance und auch eine Prise elektronischer Körpermusik sind die Zutaten, die den musikalischen Kosmos von LMX ausmachen. Die Besonderheit besteht darin, zu welchen Teilen er diese mischt: Ihm gelingt es, die Vergangenheit anklingen zu lassen, ohne wehmütig zu sein, und aktuelle Produktionsmethoden zu nutzen, aber nicht verbissen versucht, modern und "up to date" zu sein. Am Ende steht ein Album zu Buche, das zukunftsweisend ist, sowohl für die elektronsche Musik, als auch für das Projekt selbst.
Papas musikalisches Wirken ist natürlich in der grundsätzlichen Liebe zu analog wirkenden Sounds, wie man sie auf "Way Home" ausmachen kann, erkennbar. Auch der stringente, drückende Beat von "You Move Me" schlägt die Brücke zu seinem Vater, der ihm sicherlich auch bei der Realisierung der Stücke ein bisschen geholfen hat. Dennoch merkt man recht schnell, dass LMX ein Kind des 21 Jahrhunderts ist. Trotz der Hinwendung zu klassischen Synth-Pop-Strukturen baut er wie in "More Time" auch gerne einen Vocoder ein, der seinen Gesang an die aktuellen Popproduktionen anlehnt.
Am wichtigsten jedoch - und da können die Eltern nicht behilflich sein - sind die Qualität der Songs. Diesbezüglich spielt LMX bereits in der oberen Liga mit. Seine Kompositionen sind klar strukturiert und bieten jede Menge Finessen in Arrangements und Stimmungen. "That Summer" ist so eine Wundertüte, die in den Strophen etwas von den Popsongs eines Justin Biebers besitzt, ehe im Refrain ein Vierviertelbeat und eine galante Trancemelodie einsetzt. In diesem Stück zeigt sich das ganze Können dieses Mannes, der mit einer Menge Talent gesegnet ist, dass er in Zukunft eventuell die Meisterschaft seines Vaters erreicht oder sogar überflügeln wird.
Dieser ist anno 2022 ebenfalls mit einem, bereits im Frühjahr erschienenen, neuen Album am Start. "New/End" steht dabei in der konsequenten Weiterentwicklung des 2009 wiederbelebten Projektes. Davor, also von 1987 bis Mitte der 90er Jahre, stand X Marks The Pedwalk bekanntermaßen für einen härteren Sound. Mit "Abattoir" gelang ihm ein Club-Meilenstein, der so prototypisch für die weiland neue Generation junger Elektroniker war.
Von harshen Vocals und düsteren Soundscapes ist das Projekt aber seit der Neuformierung meilenweit entfernt. Was auch Sinn macht, denn Schmechta hat sich im Laufe der Zeit musikalisch und menschlich weiterentwickelt. Das hört man "New/End" an, welches in seiner textlichen Ausrichtung (der Titel verrät es ja bereits) Aufbrüche und Neuanfänge wie auch Schmerz und Abschied zum Inhalt hat.
Seine Gedanken verpackt er in sauber produzierte Electro-Songs, die er wie in "Wonder" oder "Yesterdays" in sphärische Synthiesounds mit Future-Pop-Kante verpackt. Letztgenannte Nummer lebt vor allem vom Zusammenspiel zwischen Sängerin und Ehefrau Estefania und den anschmiegsamen Bass- und Melodielinien, die von einem knackigen Beat getragen werden. Zweifelsfrei ist dieses Lied mit eines der besten, die André je zu Papier gebracht hat.
Daraus sollte aber nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass alle anderen Songs nur mittelmäßiges Füllmaterial wären. Ganz im Gegenteil: Die neun Songs von "New/End" bieten intelligenten Electro, der sich nicht zwanghaft verbiegt, um von den Clubs goutiert zu werden. Der große Reißer und Tanzflächenfüller findet sich nicht auf dem mittlerweile elften Studioalbum.
Dafür enthält es ganz andere Qualitäten, die für eine gute Platte ausschlaggebend sind: vor allem ein feines Arrangement der Songs sowie ein klarer Spannungsbogen. Sie belegen, das X Marks The Pedwalk immer noch zu den maßgeblichen Acts in der elektronischen Musik gehören. Sicherlich spielt da auch die 35-jährige Erfahrung eine Rolle, die es dem Musiker ermöglicht, seine Ideen klar umrissen in Noten zu packen.
Dass der Sohnemann mit LMX ebenfalls einen ähnlichen musikalischen Weg eingeschlagen ist, kommt nicht von Ungefähr. Höchstwahrscheinlich wird er Papas musikalisches Oeuvre kennen oder zumindest Notiz davon genommen haben. Doch ist es durchaus möglich, dass der Vater auch mal über die Schulter seines Juniors blickt und vielleicht ebenfalls einige Schlüsse für seine nächsten Songs ziehen wird. In jedem Fall wird es spannend sein, zu sehen, wie sich beide künstlerischen Wege entwickeln - und wie oft sie sich dabei kreuzen werden.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 06.12.22 | KONTAKT | WEITER: UNGEMACH VS. OBERER TOTPUNKT>
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