BERND-MICHAEL LAND: "JEDE KREATIVE BESCHÄFTIGUNG IST BESSER, ALS STUNDENLANG ZU GAMEN ODER PASSIV VOR DER GLOTZE ZU HOCKEN"
Geht es um die Pioniere elektronischer (Pop)Musik, fallen einem natürlich Bands wie Tangerine Dream oder Kraftwerk, vielleicht noch Michael Rother und - etwas klassischer - Karlheinz Stockhausen ein. Bernd-Michael Land dürfte dagegen nur wenigen ein Begriff sein. Das liegt vielleicht auch daran, das "Bernie", wie er sich selbst nennt, kein großes Gewese um seine Person macht. Als einfachen Handwerker bezeichnet er sich. Seine Musik allerdings ist kunstvoll, meditativ und naturverbunden. Das hat ihn schon einige Auszeichnungen eingebracht, darunter den Schallwellen-Preis, einer hoch angesehenen Anerkennung im Bereich der elektronischen Musik, sowie jüngst den Rock & Pop Preis als bester Electronic-Intrepret für sein aktuelles Album "Rodgau Field".
Bernd, Du hast auf Deiner Internetseite geschrieben, die Musik von Dir sei für "intelligente Menschen" gemacht. Was macht für Dich einen intelligenten Hörer aus?
Es gab mehrere wissenschaftliche Studien, in denen die Vorlieben der Musikrichtung im Zusammenhang mit der menschlichen Intelligenz untersucht wurden. Demzufolge bevorzugen intelligente Menschen Instrumentalmusik, da sie eher die Fähigkeit besitzen, sich unbekannter und neuer Kunst zu öffnen.Ein intellektuell orientierter Mensch hat andere Hörgewohnheiten und kann der Musik aus den Genres Jazz, Ambient, Klassik oder Avantgarde mehr abgewinnen.
Deine Musik lebt von analoger Elektronik, die ohne Computerbearbeitung direkt aufgenommen wird. Was macht für Dich den Reiz dieser Arbeitsweise für Dich aus?
Als ich damals begonnen habe, mich mit der Produktion von elektronischer Musik zu beschäftigen, gab es noch keine Alternativen zur analogen Technik. Sämtliche Aufnahmen wurden direkt und in einem Take auf einer Bandmaschine aufgenommen. Hatte man die Aufnahme versemmelt und sich verspielt, dann musste sie so lange wiederholt werden, bis alles passt. Die früheren Synthesizer verfügten noch nicht über die Midi-Schnittstellen, welche eine Kommunikation mit weiteren Geräten oder sogar einem Computer ermöglichen. Viele meiner Klangerzeuger stammen noch aus den 70er Jahren. Dadurch habe ich mir diese, aus heutiger Sicht vielleicht etwas altmodisch anmutende Art der Musikproduktion, bis heute erhalten. Bei meinen Aufnahmen wird das Audiosignal direkt auf "Tape" gespielt, wobei ich heute natürlich überwiegend Digital-Recorder oder den Computer dafür verwende. Das Album "Die Mondlandung -50th Anniversary" von 2019 wurde beispielsweise komplett auf einer 8-Spur Compact-Cassette (mit einem Tascam Syncaset 238 Multitrack-Recorder) aufgenommen und danach auf 2-Spur Cassette (Tascam 112B) abgemischt. Auch das Mastern erfolgte durchweg mit analogem Outboard-Equipment, bevor es auf eine digitale Audio-CD gepresst wurde. Mir war bei diesem Werk ein authentischer 70er-Jahre Tape-Sound wichtig, der sich stimmig in die Epoche der Mondlandung von 1969 einfügt.
Welche sind die entscheidenden Vorteile der analogen Technik, welche die der digitalen?
Grundsätzlich kann ich sagen, dass die Haptik und Ergonomie von Hardware eine völlig andere ist, als sie ein Computer bieten kann. Der gesamte Produktionsprozess verschlingt allerdings deutlich mehr Zeit, besonders bei der Verwendung von modularen Synthesizern. Dafür ist die Bedienung, durch den direkten Zugriff auf alle relevanten Parameter, wesentlich intuitiver. Das ist aber nur eine Arbeitsweise von vielen in meinem Studio. Selbstverständlich verfüge ich auch über eine leistungsfähige Digital Audio Workstation (DAW), inklusive der aktuellen Softwareprogramme, wie Cubase, Wavelab, SpectraLayers und eine große Anzahl von PlugIns für jeden Zweck.
Sowohl in Deinen Booklets als auch auf Deiner Homepage kann man einen beachtlichen Fuhrpark an Synthesizern sehen. Weißt Du noch, mit welchem Synthesizer alles angefangen hat? Und existiert dieses Gerät noch?
Im Herbst 1969 habe ich damit begonnen, mich mit der elektronischen Musik intensiver zu befassen. Mein erster "Synthesizer" war ein Theremin von Big Briar, welches aber irgendwann wieder verkauft wurde. Drei Jahre später erwarb ich dann einen richtigen Synthie, ein ARP Odyssey Whiteface. Ein toller Synthesizer (mit 12dB-Filter), der mir bei einem Einbruch aus dem Übungsraum unserer Band gestohlen wurde. Ich hatte jedoch Glück im Unglück, denn die Versicherung des Vermieters hatte mir den Schaden zum Neuwert ersetzt und so konnte ich mir einen großen Traum erfüllen und einen gebrauchten Minimoog anschaffen. Seit ca. 1990 spiele ich wieder ein Moog Etherwave Theremin, das später auf die Plus-Version mit CV/Gate aufgerüstet wurde. Im Jahr 2001 ist das Album "TheReMinator" (Elektro-Kartell Recordings) erschienen, bei dem dieses Instrument sehr ausgiebig zum Einsatz kam.
Gab es ein bestimmtes Ereignis, dass Dich zur elektronischen Musik geführt hat oder war das ein fließender Prozess?
Die Initialzündung erhielt ich ca. 1968 durch einen Dokumentarfilm im Fernsehen über das Studio für Elektronische Musik des WDR in Köln. Diese Klänge dort von Gottfried Michael Koenig, Herbert Eimert und natürlich Karlheinz Stockhausen waren völlig neu und haben mich sofort gepackt. In dieser Zeit erschien auch das Album "Switched On Bach" von Wendy Carlos, und ab da war es komplett um mich geschehen. Elektronische Musik - ja, das wollte ich auch machen.
Du setzt elektronische Musik, also etwas sehr "technisches", und Natur in Verbindung. In "Rodgau Field" beispielsweise hast Du deinem Heimatort ein musikalisches Denkmal gesetzt, "Das Lächeln der Bäume" bettet diverse Field-Recordings ein. Schafft Elektronik eine Abbildung der Natur?
Das Grundgerüst in meiner Musik besteht aus Klängen und Geräuschen. Während das "Geräusch" im Allgemeinen die akustischen Eigenschaften von Gegenständen definiert, wird ein "Klang" eher mit Musikalität assoziiert. Sie werden als gleichberechtigte Elemente in die Komposition integriert. Da sind erstens: sphärische Soundscapes, also Atmos, Sequenzen, Pads und Melodien, welche im Studio mit elektronischen Synthesizern erarbeitet wurden. Zweitens: Feldaufnahmen aus der Natur und dem urbanen Umfeld, die ich teilweise aufwändig mit Kunstkopfmikrofonen realisiert habe - darunter ganz spezielle und ungewöhnliche Geräusche, die unter anderem elektromagnetische Wellen, also Starkstrom und Straßenlaternen sowie akustische Ereignisse im Ultraschallbereich, wie sie Fledermäuse erzeugen, umfassen. Und drittens: akustische Instrumente, symphonische Orchester-Gongs, Chimes, Klangschalen, Windspiele, Percussion. Diese drei komplexen Gruppen bezeichne ich gerne als meine "Klangsäulen". Nach der weiteren Bearbeitung mit Effektgeräten verschmelzen sie sich in einem dynamischen Dialog zu einer neuen hybriden Realität in Klang, Raum und Zeit.
Du beschreibst Dich selbst sehr bescheiden als "einfachen Handwerker", was Deine Arbeit als Musiker angeht. Könnte man Dich nicht aber auch als "Wissenschaftler" bezeichnen? Für mich macht die Arbeit an und mit Synthesizern einen stets experimentellen Eindruck...
Das kompositorische Schaffen sehe ich eher als Handwerk an. Meine Musik entsteht meist ganz banal auf einem Blatt Papier am Frühstückstisch und nicht direkt an den Geräten im Studio. Allerdings wird die Komposition nicht bis ins kleinste Detail auf einem Notenblatt ausgearbeitet, sondern nur in Form einfacher Notizen auf ein paar Schmierzetteln. Die grundsätzliche Struktur wird festgelegt, also Tempo, Taktart, Skala, Rhythmus, Harmonie und Melodie. Bevor ich mit der eigentlichen Arbeit beginne, wird das neue Stück mit einem einfachen Pianosound an der Workstation weiter ausgearbeitet. Die Umsetzung an den Synthesizern, ist dann der nächste Schritt. An diesem Punkt habe ich auch schon eine recht klare Vorstellung von dem späteren endgültigen Musikwerk. Die Erstellung der einzelnen Klänge und Sequenzen vollzieht sich immer sehr strukturiert und zielorientiert. Das gesamte Sounddesign, auch die Arbeiten an den Modular-Systemen, erfolgt nach den logischen Vorgaben und ist weder wissenschaftlich begründet noch experimentell. Sicherlich kann das sinnfreie Herumspielen und Knöpfchen drehen an den Synthies jede Menge Spaß machen, ist jedoch der Erfüllung einer kompositorischen Vorgabe nicht sonderlich dienlich.
Früher schien die damals neue Technik an sich schon aufregend gewesen zu sein, da ja nicht immer alles glatt gelaufen ist. Wäre es übertrieben zu sagen, man hat mit der Technik teilweise richtige Kämpfe ausgefochten?
Wirkliche Kämpfe mit der Technik lassen sich gut vermeiden, wenn man seine Werkzeuge perfekt kennt und mit ihnen dementsprechend umzugehen weiß. Natürlich gibt es, besonders bei sehr alten Synthesizern, gewisse Limitierungen, was beispielsweise ihre Stimmstabilität betrifft. Die Vintage-Maschinen aus den frühen 1970er Jahren sind meistens nicht sauber über alle Oktaven spielbar und driften nach gewisser Zeit gerne etwas im Tuning ab. Ich sehe aber keinen Nachteil darin, denn eine Gitarre muss man auch mehrfach nachstimmen und da wird das als völlig normaler Vorgang von allen akzeptiert.
Du hast diese Pionierzeit aktiv miterlebt, als Bands wie Kraftwerk die rein elektronische Musik in den Mainstream überführt haben. Wie würdest Du den damaligen "Spirit", wie man neudeutsch sagt, beschreiben?
Als ich 1969 hobbymäßig mit der elektronischen Musik angefangen habe, hörte ich noch überwiegend James Brown, Isaac Hayes, etc., aber auch Edgar Broughton, Steppenwolf und Zappa. Klaus Schulze hatte noch bei Ashra und Tangerine Dream getrommelt und Kraftwerk wandelte sich gerade von einer Krautrock Band zur Elektronikkapelle hin. Da liefen viele Dinge parallel, das hat mich damals nicht sonderlich tangiert. Auch später war mir die "klassische elektronische Musik" oft zu poppig und weichgespült.
Trotz der komplizierten Technik und der dadurch einhergehenden Limitierung habe ich aber das Gefühl, dass die Künstler in ihrem Schaffen freier waren. Ist das wirklich so gewesen oder unterliege ich einer rein romantisierten Vorstellung?
Wer früher einen besonderen und neuen Klang haben wollte, der musste zwangsläufig kreativ sein. Es gab noch keine bezahlbaren Effektgeräte, diese waren eher den großen Studios vorbehalten. Dem kleinen Musiker standen nur einfache Bandechos, Wah-Wah, Phaser und Verzerrer zur Verfügung. So hatte ich beispielsweise meine Orgel in einen VOX AC-30 gestöpselt, das ist ein Röhren-Kofferverstärker für Gitarren, den ich sonst für mein Fender Rhodes E-Piano einsetzte. Ich habe dann das eingebaute Tremolo und den Federhall fast bis Anschlag aufgedreht und während des Spiels immer schön rhythmisch kräftig gegen den Verstärker getreten - das klang total irre! Diesen eigenartigen Sound, wollte ich viele Jahre später mit externem Federhall und Amplituden-Modulation noch einmal nachbauen, was jedoch kläglich scheiterte. Die alte Cassette mit der Original-Aufnahme von 1970 war noch vorhanden diente mir dabei als Referenz. Es wurde damals viel gebastelt und experimentiert, Echo hat man öfter mit Tonbandmaschinen realisiert.
Was heutzutage ja ganz einfach per Computer funktioniert...
Diese ganze Technik, welche man bei der Produktion von elektronischer Musik einsetzt, wird oft überbewertet. Die Industrie und der Handel möchten uns zwar glauben lassen, das wir nur erfolgreich sein können, wenn wir uns auch noch die Geräte X, Y und Z ins Studio stellen. Dabei verliert man schnell das eigentliche Ziel aus dem Fokus, nämlich die Musik an sich. Schlechte Musik wird ja nicht automatisch besser, nur weil man Berge von Equipment einsetzt. In einem Synthesizer sehe ich zuerst nur ein ganz normales Musikinstrument, wie jedes andere auch, vielleicht mit ein paar erweiterten Klangmöglichkeiten.
Elektronische Musik ist sehr ökonomisch geworden. Erschwingliche Musikprogramme generieren Sounds, wofür man sonst verschiedenste Maschinen gebraucht hätte. Etwas, was Du ganz schlimm findest?
Wir leben heute in rosigen Zeiten, denn das Musizieren ist wirklich für Jedermann möglich geworden. Ich sehe diese Entwicklung als etwas sehr Positives an, besonders auch für die jüngeren Menschen. Jede kreative Beschäftigung ist besser, als stundenlang zu gamen oder passiv vor der Glotze zu hocken. Ich stamme aus einfachen Verhältnissen und Geld war in unserer Familie immer sehr knapp. Um mir neues Equipment anschaffen zu können, musste ich das Geld dazu in meiner Freizeit mit Nebenjobs und Überstunden verdienen. Jede Neuerwerbung war vor dem Kauf sorgsam abzuwägen. Was aber auch ein großer Vorteil war, so schützte das vor überstürzten Schnellkäufen, die man später vielleicht bereute. Ein großzügiges Rückgaberecht, so easy wie heute, das gab es damals nicht. Man hat im gleichen Zeitraum deutlich weniger Instrumente gekauft und konnte sich dadurch viel intensiver mit seinen Geräten beschäftigen, was sicherlich kein Nachteil war. Durch den Verzicht auf viele andere Dinge, war die Wertschätzung zum Instrument höher.
Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass die Musik einem Werteverfall unterliegt, oder?
Heute ist die Beschäftigung mit Synthesizern oft nur ein Hobby, neben einer ganzen Menge anderer Freizeitaktivitäten. Jeder kann sich als den großen Music Producer darstellen, wie talentfrei und unmusikalisch er auch sein mag und seine Ergüsse ins Internet stellen. Man kann ja heute alles ratzfatz aus diversen Presets und Librarys zusammenklicken. Man nehme ein paar fertige 4/4 Beats, dazu eine Bassfigur, dann flott die üblichen Atmos drübergebügelt und nach zwei Stunden ist mein Track fertig. "Mein" Track? Nein! Nur ein Track, der aus der Arbeit von Sounddesignern irgendwie lieblos zusammengebastelt wurde. Manchmal frage ich mich, ob es den Leuten tatsächlich noch um die Musik geht oder nur um die Selbstdarstellung, bei der nur Downloads, Follower und Klicks zählen. Schaut her, wie toll ich bin!
Klingt etwas verbissen...
Nein, verbissen sehe ich das nicht und ich finde diesen Trend auch nicht schlimm. Aber ist es nicht ein bisschen schade, wenn in dem ganzen Sumpf der musikalischen Belanglosigkeit, die wahren Perlen untergehen?
Abschließend noch ein kleiner Ausblick: Du bist zuletzt sehr produktiv gewesen und hast mehrere Alben pro Jahr veröffentlicht. Was können wir 2022 von Bernd Michael Land erwarten?
In den vergangenen beiden Jahren habe ich täglich fulltime im Studio gearbeitet, neue Sounds und Musik produziert. Da ich immer zwischen 600 und 800 Stunden für ein neues Album benötige, bin ich über meinen hohen Output selbst etwas erstaunt. Die Früchte meiner Arbeit sind 2020 und 2021, neben diversen Kollaborationen und Projekten, drei Einzel-CDs, eine DVD (mit Claus Jahn) sowie ein Doppelalbum gewesen. Das nächste Album heißt „Begegnungen“ und ist bereits seit September in Arbeit. Es wird nicht vor April 2022 veröffentlicht werden, denn diesmal möchte ich mir etwas mehr Zeit lassen.
|| INTERVIEW: DANIEL DRESSLER | DATUM: 14.01.22 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 1/22>
FOTOS © BERND-MICHAEL LAND
Webseite:
www.bernd-michael-land.com
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