8/24: NEON LIES, FRENCHY AND THE PUNK, KARWENDEL, UNGEMACH - ALLES, WAS DAS HERZ BEGEHRT - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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8/24: NEON LIES, FRENCHY AND THE PUNK, KARWENDEL, UNGEMACH - ALLES, WAS DAS HERZ BEGEHRT

Kling & Klang > KURZ ANGESPIELT > 2024
bei der Punkband Modern Delusion am Mikrofon, hat sich Goran Lauter in seiner Heimatstadt Zagreb zu einer regionalen Größe gemausert. Seit 2016 ist er unter dem Moniker Neon Lies unterwegs und hat damit eine Entwicklung durchlaufen, wie man sie auch bei vielen Gruppen aus den 80ern kennt. Angefangen als Meister schrabbeliger drei Akkorde, tauschten einige das Saiteninstrument gegen einen Synthesizer ein, um die rohe Energie des Punk neu zu definieren. Same same nun bei Neon Lies, dessen Sound Goran auf seiner Bandcamp-Seite als "Bedroom Darkwave" beschreibt. In der Tat setzt der Musiker auf eine einfache Produktion mit antiquierten, schäbigen Sounds. Hier brodelt, blubbert, rauscht und fiept es, dass es eine Art hat. Begleitet von einer stoischen Drum-Sektion, die gar nichts anderes will, als bloß den Takt vorgeben und ansonsten wie teilnahmslos vor sich hineumelt. Goran bringt seine dystopischen Texte mit viel Hall gepackt zum Besten. Auf dem aktuellen Longplayer "Demons" hat er seine produktionstechnischen Skills aber weiter verbessert, sodass der Musik immer noch der DIY-Gedanke innewohnt, aber insgesamt mit mehr Präzision die Songs aus den Boxen wummern. Das Album fängt die rohe Kraft minimaler Elektronikkünstler wie Absolute Body Control oder The Invisible Limits ein, lässt aber wie im abschließenden "2073" auch die Eleganz eines John Foxx erahnen. Einfach großartig, großartig einfach - ein Werbeslogan, der wie angegossen zum Sound des Kroaten passt. "Demons" funktioniert in seiner Ganzheit; alle elf Songs sind voller dunkler Abgründe und unterkühlter Elektronik, in ihren Strukturen zwar etwas vorhersehbar, aber immer mit viel Leben gefüllt.

In ihrer  Zusammensetzung erinnern Frenchy And The Punk an die Dresden Dolls. Samantha Stephenson als Sängerin sowie an den Tasten und Scott Helland an den Trommeln (und darüberhinaus auch an Bass und Gitarre) sind deswegen nicht zufällig im Vorprogramm von Brian Voglione, Schlagzeuger der vorher genannten, aufgetreten. Doch hört man sich vor allem ihr neues Album "Midnight Garden" an, merkt man, dass dieses Duo sich immer mehr vom kabarettistischen Punk wegbewegt haben, in dem sie zunächst ihre Heimat gefunden haben. Das liegt nicht zuletzt auch an der ausdrucksstarken Stimme Samanthas, die sich unverkennbar auf den Spuren von Siouxsie Sioux begibt. Deswegen ist das Album wesentlich stärker dem Gothic-Genre zuzuordnen, auch wenn die beiden den Einsatz stromverstärkter Gitarren auf ein Minimum reduzieren, was die spezielle Atmosphäre eines Songs wie "Hypnotized" ausmacht. Ob nun der Titeltrack eine lose Anspielung auf Siouxsie & The Banshees "Hong Kong Garden" ist, kann nur gemutmaßt werden. Die Grundstimmung ist jedenfalls die gleiche. Im Vergleich zu den früheren Veröffentlichungen ("Midnight Garden" ist bereits Album Nummer acht) gelingt den beiden aber wesentlich griffigere Nummern, die sich gleich nach dem ersten Hören ins Gedächtnis einbrennen. "Immortal" ist so eine, aber auch "Mr. Scorpion", die mit einer leichten Weirdness à la The B52s versehen worden ist. Auch "Sleepwalk Shuffle" zeugt von einer unbändigen Spielfreude des musikalisches Pärchens. Unter dem Strich steht ein Album zu Buche, in dem vieles anders geworden ist - und auch besser. Kann man nur hoffen, dass Frenchy And The Punk ihre Anhängerschaft vergrößern werden. Verdient hätten sie es allemal.

Sollte man "Verbunden sein", das zweite Album von Karwendel, mit einem Song daraus beschreiben, dann ist es definitiv "In der Sonne". Eigentlich ist diese Nummer untypisch, besitzt sie doch keinerlei Text. Aber es ist die gesamte Stimmung, die sich hier breit macht und die Idee hinter der Musik von Sebastian Król, der Karwendel ins Leben rief, offenlegt. Das sanft verwaschen gespielte Saxofon, die dezent gesetzten Gitarren: perfekter kann man einen Hundstageblues kaum arrangieren. Die von Lana Del Rey einst besungene "Summertime Sadness" ist bei "Verbunden sein" auf der musikalischen Ebene deutlich hörbar. Doch die Inspiration holte sich der Norddeutsche eher bei den klassischen amerikanischen Folk-Rockern wie Neil Young, Van Morrisson und Robert Wyatt. Textlich behandelt Karwendel das große Gefühl der Liebe und setzt sie gleich mit der Zweisamkeit, in der man sich zusammen weiterentwickelt. Das Eröffnungsstück "Zu lang zu leise" setzt die entsprechenden Parameter für ein Album, das sich anfühlt wie ein entspannter Abend auf der Terrasse mit einem Glas leichten Roséwein in der Hand, den Blick auf den Sonnenuntergang gerichtet und verloren in Gedanken. Die glechzeitig melancholischen und doch hoffnungsvollen deutschen Texte stehen auf einer Linie mit den Kleinoden eines Gisbert zu Knyphausen. Stücke wie "Trost" binden ganz beiläufig aktuelle Themen ein, die dann um so drastischer in der tiefenentspannten Atmosphäre reinkrachen ("Wenn in Hanau Glück zerschellt, und in Kiew noch 'ne Bombe fällt..."). Ein Großteil der Stücke hat Karwendel bereits auf der EP "Geteiltes Herz" veröffentlicht; "Verbunden sein" schließt nun den Kreis und lässt uns zurück in dieser unerträglichen Leichtigkeit des Seins.

Ganz anders die Stimmungslage bei Ungemach. Der Name verpflichtet; "In Abwesenheit der Peitsche" ist ein beklemmender, dystopischer, zersetzender Soundtrack, zu denen die Psychosen ausgelassen tanzen. Die EP zeugt einmal mehr von der großen kreativen Energie, die der Künstler aus Wuppertal in sich trägt. Man müsste sogar noch weiter gehen und ihn Gesamt- oder Universalkünstler nennen. Denn die EP ist, wie alle anderen zuvor von ihm veröffentlichten Tonträger, komplett in Eigenregie entstanden: Songwriting, Mixing, Mastering und Artwork stammen komplett aus seiner Feder. Warum das erwähnt werden muss? Weil er in allen Bereichen mit einem Höchstmaß an Professionalität herangeht. Das surreale Schwarz-Weiß-Cover ist nur die Ouvertüre zum auditiven Hades, den wir hier betreten dürfen. "In Abwesenheit der Peitsche" ist in erster Linie eine Verhandlung mit dem christlichen Glauben, aber in einer obsessiven Manier. "Ich wünsch' mir einen Herrn, der über mich richten wird", beginnt "Unter gütigem Auge". Die dissonanten Geräuschkulissen, die Ungemach in Songstrukturen zu pressen versucht, erinnern an die expressiven Klänge der frühen Einstürzenden Neubauten, und auch Ungemach selbst ist von einem Sänger weit entfernt. Er ist ein Performer, seine Texte, die er vorträgt, wanken zwischen ritueller Beschwörung ("Ein Leib") und einem durchgelebeten Exorzismus ("Es dämmert", "Asche auf dein Haupt"). Der Mann schmeckt jedes Wort nach und legt alle Emotionen bis zur Schmerzgrenze in die Strophen. Sechs Lieder umfasst "In Abwesenheit der Peitsche" - mehr kann man als Hörerin oder Hörer auch nicht aufnehmen. Ungemach ist harter Tobak, wortgewaltig, bilderlastig und erdrückend - und so einzigartig in seiner Existenz.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 23.07.24 | KONTAKT | WEITER: BLACKIEBLUEBIRD VS. SIEBEN>

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Covers © Wave Tension Records (Neon Lies), EA Recordings (Frenchy And The Punk), Backseat (Karwendel), Ungemach

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                        © ||  UNTER.TON |  MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR | IM NETZ SEIT 02/04/2014

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