MIND.IN.A.BOX: KLÄNGE DER ERKENNTNIS - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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MIND.IN.A.BOX: KLÄNGE DER ERKENNTNIS

Kling & Klang > HINTER DER MUSIK > IM PROFIL

Die Frage nach dem freien Willen ist ein alter Philosophenhut. Bereits in der Antike wurden sich Gedanken darüber gemacht, wann und wie das Individuum autonom handeln kann - was heutzutage nicht frei von Ironie ist, wenn man bedenkt, dass die großen griechischen Gelehrten Leibeigene besessen haben. Im letzten Jahrhundert, das von Diktaturen verschiedener weltanschaulicher Systeme geprägt worden ist, erhält die Frage nach der persönlichen Freiheit verstärkt Relevanz - auch und vor allem in den Künsten. Bis heute tendieren Zukunftsromane und Science-Fiction-Streifen zu despotischen und absoluten Systemen. Wohl auch, weil diese den größtmöglichen Handlungsspielraum für die Heldencharaktere zulassen.

Auch bei mind.in.a.box kreisen die Kompositionen immer wieder um die Frage nach der eigenen Handlungs(un)fähigkeit. "In a world where mind live in boxes, every one has to make a decision" lautet die Präambel, unter die Chefdenker Stefan Poiss sein gesamtes Schaffen, eine Art musikalischer Sci-Fi-Roman, stellt. Ofensichtlich an Meisterwerke wie Orwells "1984" erinnernd und eingebunden in eine Düsterästhetik, die auf die seinerzeit bahnbrechende Filmtrilogie "Matrix" verweist, erzählt mind.in.a.box seit Anbeginn die Geschichte von "Black", einem Neo-Verschnitt, der mit einer Horde von Rebellen, den so genannten "Sleepwalkers" versucht, die Organisation "Agency", der er früher einmal angehörte, zu bekämpfen.

Ist bislang die Geschichte dieses Renegaden mit jeder neuen Veröffentlichung weitererzählt worden, blickt das Future-Pop-Projekt mit dem sechsten Album "Broken Legacies" auf einen nich weniger bedeutenden Charakter. "The Friend ist einer der wichtigsten, vielleicht sogar die wichtigste Figur in unserer Story", erklärt Stefan. "Deswegen war es schon lange überfällig, seine Geschichte etwas detaillierter zu beleuchten." Schließlich beeinflusst "The Friend"den Werdegang des Hauptakteurs wesentlich.

Während dieser seiner Wandlung im Laufe der Longplayer vollzieht, gehört "The Friend" bereits zu den "Sleepwalkers" und hat das so genannte Dreamweb, einen Cyberzufluchtsort der Rebellen, entdeckt. Auch er hat vorher für die andere Seite gearbeitet. "Er war für viele negativen Dinge verantwortlich. Bis zu dem Zeitpunkt, wo er sich von der Agency trennte und dann realistierte, was er angerichtet hatte", führt der Musiker weiter aus. "Ein cooler Wissenschaftler, ein ganz schlauer Kopf."

Die Retrospektive hätte Stefan auch dazu verleiten können, sich musikalisch auf sich selbst zu beziehen. Das gesteht er ohne Umschweife ein. "Manche Songs, wie zum Beispiel 'World Of Promises' oder 'Overwrite' klingen schon relativ ähnlich zu unseren ersten Alben. Das war auch bewusst so gewollt." Besonders erstgenanntes Stück weckt Erinnerungen an die luzide Schönheit solcher Nummern wie "Change" oder "Amnesia", die MIAB bereits früh den Ruf als intelligente Sounddesigner eingebracht haben. Insgesamt jedoch zeigt sich "Broken Legacies" erfrischend neu justiert. Stefan lässt cineastisch-bombastische Soundwände hochfahren und experimentiert noch stärker mit den narrativen Möglichkeiten, die seine Synthesizer bereithalten.

Die Fortschreibung der "Black"-Saga wird für den Mann aus Wien scheinbar nie zur kreativen Selbsteinengung. "Ich freue mich jedes Mal, wenn ich ein neues mind.in.a.box Album starte und ich in diese Welt abtauchen kann. Mir macht es nach wie vor großen Spaß, die Geschichte weiterzuerzählen." Doch auch die Ausübung seiner Passion genießt er nicht mehr so uneingeschränkt wie zu Beginn seiner Karriere. "Wie lange ich das noch machen werde ist durchaus fraglich", gibt Stefan offen zu. "Ich muss extrem viel Zeit dafür investieren. Musik hat heutzutage leider viel an Gewicht verloren."

Doch noch sind die drohenden Unwetterwolken nur als dünner Streifen am Horizont zu sehen. Hoffen wir, dass sie uns verschonen und wenden wir uns wieder "Broken Legacies" zu, welches durch die Zusammenarbeit mit Josh Kreger auch neue Perspktiven eröffnet. "Josh ist ein guter Freund von mir", führt der Sänger aus. "Er hat auch für mein Seitenproject THYX schon einige Texte geschrieben. Meiner Meinung nach ist er ein wirklich guter Schreiber, und da Markus nur noch sehr selten zur Feder greift, habe ich ihn gefragt, ob er nicht gleich für das gesamte Album involviert sein möchte. Das hat wunderbar geklappt. Er hat auch die gesamte Story verfasst."

Josh Kreger ist es zu verdanken, dass sogar eine alte philosophische Betrachtungsweise Verwendung in "Broken Legacies" findet: das so genannte "Ockham's Rasiermesser". Vereinfacht dargestellt, besagt es, dass ein Sachverhalt mit möglichst einfachen Theorien untermauert werden soll. "Das war eine coole Idee von Josh. Es bezieht sich darauf, wie 'The Friend' das Dreamweb entdeckt hat. Dabei hat er diese Methode angewendet. Kurzum: Die einfachste Lösung ist meistens die am ehesten Richtige." Das knapp einminütige Intermezzo markiert den Erkenntnisgewinn von "The Friend". Das Dreamweb wird zum Synonym für seine eigene geistige Befreiung und Horizonterweiterung.

"The Friends" Wandlung vom Saulus zum Paulus inkludiert einmal mehr die Gedanken über den unfreien Menschen, dessen erschreckendes Konstrukt in unserer heutigen, scheinbar freigeistigen Welt, zur realen Bedrohung wird. Begriffe wie Fake News und Filterblasen kreisen momentan über dem Internet und den sozialen Medien. Auch Stefan, eigentlich sehr technikaffin, sieht den Umgang mit Informationen im Netz kritisch: "Alles hinterfragen und nichts einfach glauben", mahnt er. "Egal, woher die Information kommt. Wenn in der Zeitung ein Artikel über eine Studie steht, die sich mit dem Thema x beschäftigt, dann erhält man nur eine Interpretation dessen von dem, der den Artikel schreibt. In der Regel werden Meinungen von irgendwelchen Leuten vorgefiltert. Wenn man sich wirklich ein eigenes Bild machen will, muss man zu den Rohdaten und selber die Studien lesen oder Statistiken durchackern. Wobei natürlich selbst diese falsch sein können. Ich komme immer mehr darauf, dass die Wahrheit weiter weg ist als wir glauben. Wir wissen gar nichts! Jene, die glauben alles zu wissen, wissen am wenigsten."

Ob dieses gefährliche Halbwissen auch der Grund dafür ist, dass sich politisch extreme Lager immer mehr in den Vordergrund drängen, lässt der Wiener offen. "Ich glaube, diese Rechts/Links-Diskussionen lenken nur von den wirklich wichtigen Themen ab. Wir sollten lieber überlegen, was moralisch richtig und was falsch ist. Jeder normale Mensch wird keinen Krieg wollen. Wir sollten versuchen, für den Frieden zu kämpfen. Solange Regierungen, auch jene von Frau Merkel, weiterhin Waffenlieferungen in Kriegsgebiete absegnen, wird es nicht besser werden. Das wäre beispielsweise ein großes Thema, das ständig präsent sein und diskutiert werden müßte."


Am Ende steht ein nachdenklicher Mann, dessen pessimistisch gefärbtes Gesellschaftsbild wenig Grund zur Freude gibt. Sein persönliches "Dreamweb" hat Poiss bereits mit seinen Projekten mind.in.a.box und THYX erschaffen und hofft auf die friedliebende Kraft der Klänge. "Die Welt wäre wohl eine bessere, wenn wir alle wieder mehr Musik hören würden." Denn wie heißt es noch so schön: "Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen kennen keine Lieder."


||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 23.10.17 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 9/17>

Webseite:
www.mindinabox.com


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COVER © THYX RECORDS
FOTO © MIND.IN.A.BOX
ZEICHNUNG "THE FRIEND"
© POLINA SOFRONOVA

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