AXEL MESSINGER: "DER UNDERGROUND IST EXTREM LEBENDIG - ES WIRD NUR NICHT AN DIE OBERFLÄCHE GESPÜLT!"
Hallo Axel! Ein äußerst ungewöhnliches Projekt, das Du da betreibst: Du bietest Sampler zum kostenlosen Download an. Wie bist Du auf diese Idee gekommen?
Das Projekt entstand aus meiner damaligen Redakteurs-Zeit beim Dark Feather Undergroundzine. Dort gab es immer eine kleine Online-Compilation mit Bands, die wir in der jeweiligen Ausgabe im Interview hatten. Das war aufgrund des teils sehr unterschiedlichen Musikgeschmacks innerhalb der Redaktion manchmal ein ziemliches Durcheinander. Mit der ersten Ausgabe der dunkelromantischen Reihe "Snowflakes" wollte ich daher eine Zusammenstellung organisieren, die ein wenig strukturierter ist. Da diese dann recht erfolgreich lief, gab es 2013 einen Nachfolger. Weil ich aber keine Lust hatte, immer wieder dasselbe zu machen, überlegte ich, thematisch andere Sampler zu veröffentlichen. So wurde daraus das At Sea Compilations Projekt, unter dessen Namen alles gebündelt erscheint.
Wieso der Name "At Sea Compilations"?
Ich vergleiche das Internet gern mit einem großen Meer: Es gibt zigtausende Musiker und Bands, die in diesem großen Gewässer auf ihre Art und Weise versuchen, ein wenig Aufmerksamkeit zu erlangen. Gleichzeitig kann man als Musikfan leicht die Orientierung verlieren – insbesonder deshalb, weil wichtige Tools wie Soundcloud oder Bandcamp zwar ideal für die Künstler sind, um die Musik in ihre jeweiligen Netzwerke einzubinden, aber keiner der beiden Anbieter eine intuitive Möglichkeit für Außenstehende anbietet, um gezielt nach neuer und guter Musik zu suchen. Ich verstehe mein Projekt als kleinen Einblick in die verschiedenen Genres: Selbst bin ich seit Jahren in der Musikerszene relativ gut vernetzt und habe da natürlich nicht nur mehr Einblicke und Kontakte, sondern weiß mittlerweile auch, wie ich gezielt nach neuer Musik suchen kann. Um beim Sinnbild zu bleiben: Ich fische aus diesem großen Meer die Musiker, die mir gefallen. Und wenn die Lust haben mitzumachen, werden sie gefeatured!
Wie gehst Du vor, wenn Du nach neuen Songs für Deine Zusammenstellungen suchst?
Zuerst überlege ich mir für jede Zusammenstellung ein eigenes Konzept: Welche Stimmung möchte ich "rüberbringen"? Gibt es inhaltliche Themen, die ich bearbeiten möchte? Dann überlege ich mir zu diesem Konzept vier bis fünf Musiker, die dazu passen könnten und deren Songs quasi als Eckpfeiler für die spätere Zusammenstellung dienen. Danach suche ich die Songs anderer Bands so aus, dass am Ende ein harmonisches und strukturiertes Ganzes entsteht – mit einer eigenen Dramaturgie über die komplette Musikzusammenstellung hinweg. Ansonsten halte ich ständig meine Augen und Ohren offen: Interessante Bands wandern sofort in meine Datenbank und werden nach Genre sortiert.
Mit Deinen Compilations willst Du ein Gegengewicht zum Mainstream der Schwarzen Szene bilden. Ist es aber nicht auch bedenklich, wenn man "wertige" Musik einfach so verschenkt? Schließlich wollen auch die Musiker von ihrer Kunst leben...
Hier müssen wir thematisch trennen. Zum Einen: Wenn ich von dem Mainstream innerhalb der Schwarzen Szene spreche, meine ich primär die Strukturen innerhalb der deutschen Szene. Das heißt: Wenn eine Gothic-Rock-Band sich zusammengefunden, über Jahre geprobt und an deren ersten EP oder Album gearbeitet hat, ist in dieser Zeit schon sehr viel Geld in Equipment und Aufnahme, und noch mehr Fleiß und Seele in die Verfeinerung ihrer Kunst geflossen. Doch bis zu diesem Zeitpunkt passiert das alles nur für Dich und die nähere Umgebung. Und jetzt kommt die große Frage: Wie erreiche ich Menschen mit meiner Musik? Es ist heute sehr schwer, faire Konzertmöglichkeiten zu finden, da viele Clubbetreiber auf die unterschiedlichsten Pay2Play-Modelle setzen. Versuchst Du, ein Webzine oder in Internetradio anzuschreiben, kommt meistens überhaupt nichts zurück - oder gerne auch ein Angebot, dass man bitte erst einmal einen "kleinen Unkostenbeitrag" zahlen muss, um dort überhaupt irgendwie stattfinden zu können. Ob es etwas bringt, ist natürlich die nächste Frage. Meine Herangehensweise sieht folgendermaßen aus: Die Bands bezahlen nichts dafür, um auf die Compilation zu kommen. Keinen einzigen Cent! Denn das Projekt finanziert sich durch freiwillige Spenden der Hörer. Das Konzept sieht vor, dass die Musiker natürlich ebenfalls Werbung in den sozialen Netzwerken und auf ihren Homepages für die Compilation machen. Die Hörer der einen Band kommen durch thematische Zusammenstellungen so zu neuer, für sie interessanter Musik. Und wenn es ihnen gefällt, teilen sie das Ganze dann wiederum mit ihren Freunden – nicht nur online. Schon häufig habe ich Mails von Hörern bekommen, die die Zusammenstellungen im Auto oder auf kleinen Privat-Partys gespielt und damit andere Menschen neugierig gemacht haben. Im Idealfall fragen diese nach der Adresse zur Homepage sowie zum Bandcamp – und laden sich die Sampler ebenfalls runter. So entsteht eine große Verbreitung: Sowohl online, als auch offline. Das funktioniert allerdings nur, wenn man die Veröffentlichungen kostenlos anbietet: Das Projekt ist darauf ausgerichtet, dass die Musik überhaupt erst einmal eine Plattform bekommt und wahrgenommen wird. Mit drakonischen Bezahlschranken wird man dies im Internet nicht erreichen. Interessierte Hörer können in den jeweiligen Veröffentlichungen Links zu Bandcamp-Profilen und Websites der Musiker finden. Und darüber dann bei Interesse die Musik kaufen, wenn die Band diese Option anbietet.
Gibt es auch kritische Stimmen zu Deinem Projekt, die Dir eben diese kostenlose Veröffentlichung zum Vorwurf machen?
Manche Musiker, die ich anschreibe, sehen das Modell durchaus kritisch: Da gibt es hier und da einige, die ihre Musik nicht verschenken wollen. Kann ich verstehen; ich zwinge niemanden dazu, mitzumachen. Aber direkte Vorwürfe? Nein, die gab es bisher nicht. Wieso auch? Es entscheidet ja jeder selbst, ob er oder sie mitmachen möchte – oder eben nicht. Von anderen Menschen habe ich bisher noch keinen Vorwurf oder so etwas in der Art gehört. Ich tue ja niemanden etwas!
Wie reagieren die Bands auf die "At-Sea"-Reihe?
Die, die mitmachen, zum größten Teil positiv. Natürlich ist es immer eine Gratwanderung, weil ein Song auf einer Compilation immer auch in einem komplett anderen Kontext erscheint als auf einer EP oder dem entsprechenden Album. Natürlich achte ich immer auf passende Songübergänge und solche Dinge. Aber ich mache den Musikern dabei keine Illusionen: Ich sage denen nicht, dass man darüber jetzt reich und berühmt wird. Ich denke, dass jeder Musiker realistisch einschätzen kann, ob ihm eine Veröffentlichung etwas bringt oder nicht. Oder ob er einfach das Projekt und das dahinterstehende Konzept unterstützen möchte. Wir hatten schon relativ bekannte Musiker wie Farblos, I-M-R (Nachfolgeband von In My Rosary), Paul Roland, Antichrisis, Ummagma, Minuit Machine, Friends of Alice Ivy, Hexperos, Musk Ox, Aeon Sable, und so weiter. Das sind jetzt alles keine Künstler, die auf diese Plattform angewiesen sind. Die hatten einfach Bock drauf, die Veröffentlichungen zu unterstützen. Zudem ich selbst, ich erwähnte es bereits, ein wenig in der Musikerszene vernetzt bin: Durch meine nachvollziehbare Historie und jahrelangen Support im Musik-Underground, bringe ich auch ein Stück Glaubwürdigkeit mit. Das macht es mir natürlich einfacher.
Wie stehst du generell zur Gratiskultur, die nach wie vor das Internet dominiert und von den Nutzern kaum je hinterfragt wird?
Ich glaube gar nicht, dass wir diese Gratiskultur haben, die seit Jahren immer propagiert wird. Wir haben verschiedene Crowdfunding-Plattformen, Spendenmodelle und solche Geschichten. Streamingdienste wie Spotify oder Netflix versorgen die Konsumenten Stunden, Tage, Wochen mit Unterhaltung. Es gibt Podcasts, Webzines und Blogs zu allen möglichen Themen. Es gibt Serien, Filme, zig Computer- und Videospiele. Wir leben in einer Informationsgesellschaft, in der man mit Unterhaltungsangeboten geradezu überschwemmt wird. Das war noch vor 15 Jahren nicht im Entferntesten so krass wie heute. Die wenigsten Leute hatten Internet. Serien auf DVDs, BluRays oder gar Streamingdienste? Fehlanzeige. Handys waren höchstens dafür da, um kurz jemanden anzurufen oder mal 'ne SMS zu schreiben. Man hatte mehr Zeit und vor allem Ruhe, sich eingehender mit Musik und solchen Dingen zu beschäftigen. Das hat sich in den Jahren doch gravierend verändert! Dementsprechend ist auch das Bezahlverhalten vieler Menschen heute ein anderes. Die wenigsten sind heutzutage bereit "die Katze im Sack" zu kaufen. Also muss man Wege finden, diese Menschen abzuholen. Das kann durch Community-Arbeit und ein verstärktes "Wir"-Gefühl geschehen – oder auch, indem man klar macht, dass es sich lohnt, in eine bestimmte Sache zu investieren. Menschen wählen einfach gezielter aus, für was sie Geld ausgeben wollen. Denn was wir auch nicht vergessen dürfen: Heutzutage ist netto weniger Geld in den Portemonnaies als noch vor zwei Jahrzehnten, da sich die Lebenshaltungskosten sehr stark erhöht haben, während die Einkommen nicht im geringsten so stark angehoben wurden – ganz im Gegenteil. Nicht umsonst schmilzt die Mittelschicht immer weiter ab! Diese gesellschaftlichen Entwicklungen sollte man in die Bewertung, wie heute etwas konsumiert wird, unbedingt mit einfließen lassen. Es ist in allen Bereichen eine Spirale nach unten zu spüren. Als Einzelner werde ich diese Spirale nicht aufhalten können: Das schafft nur eine Gesellschaft im Kollektiv, was natürlich Solidarität und Aufklärung voraussetzt.
Wie schon oben erwähnt, prangerst Du an, dass die Gothic-Szene anhaltend vermarktet wird und auf diese Weise auch künstlerisch verarmt. Klingt wenig positiv. Demnach dürftest Du den bekannten Festivals wie Wave-Gotik-Treffen oder M'era Luna wahrscheinlich eher fern bleiben, oder spürst Du bei diesen Großveranstaltungen doch noch irgendwo den "Spirit" des Gothic?
Wir haben in unserer Szene definitiv eine sehr starke Kommerzialisierung und viel zu wenig Nachwuchsförderung auf der künstlerischen Seite. Schau Dir einfach mal die ganzen Line-Ups der Festivals an: Die gleichen sich doch Jahr für Jahr, oder? Es sind gefühlt immer dieselben dreißig bis vierzig Bands, die auf solchen Festivals spielen. Das heißt aber nicht, dass die Szene künstlerisch verarmt: Der Underground ist extrem lebendig und vielfältig - es wird nur nicht an die Oberfläche gespült! Beim M'era Luna gibt es ja diese "Newcomer"-Polls jedes Jahr, wo die Gewinner dort am Nachmittag für eine halbe Stunde auftreten dürfen. Das ist wenigstens schon mal ein kleiner Anfang, aber natürlich längst nicht genug. Das WGT muss wiederum anders bewertet werden: Nicht nur, weil es neben dem offiziellen Programm auch viele unabhängige Veranstaltungen, wie beispielsweise in der Sixtina oder im Helheim, gibt, sondern auch, weil dort natürlich mehr Auftrittsmöglichkeiten bestehen, wo dann durchaus auch kleinere Künstler eine Bühne bekommen. Da kann man sich nicht beschweren in Sachen Nachwuchsförderung. Dort findet wirklich jeder etwas – sogar ich. Muss ich zugeben! Dieses Jahr waren wieder tolle Musiker und Bands in Leipzig! Das ist aber nur ein Wochenende im Jahr. Ansonsten sieht es im wahrsten Sinne des Wortes "düster" aus: Viele Clubs vermarkten Technoparties als "Gothic", und wenn es Oldschool-Veranstaltungen gibt, dann immer mit denselben Gassenhauern von vor dreißig Jahren. Es bewegt sich relativ wenig: Man setzt auf "Nummer Sicher". Derzeit läuft es auch noch recht gut, wenn man sich mal die Einnahmen anschaut.
Im Juni erscheint nun "German Gothic Isn't Dead". Der Titel klingt fast wie ein trotziges Versprechen: Was genau erwartet den Hörer bei Dir?
Ja, der Titel ist ein wenig provokant - und auch ganz bewusst so gewählt! Es ging mir besonders in den letzten Monaten einfach auf die Nerven, wie die musikalische Szene in Blogs, sozialen Netzwerken, Foren oder selbst von langjährigen Szene-Musikern für tot erklärt wurde. Ich möchte mit dieser Veröffentlichung einfach mal ein Ausrufezeichen setzen und aufzeigen, dass all diese Klagelieder zu Unrecht angestimmt werden. Wir haben auf der Compilation eine wirklich tolle Mischung aus neuen Bands und Musikern, die zum Teil schon seit Jahrzehnten aktiv Musik machen. Da wäre beispielsweise das Silentport Projekt von Roman Rütten, einer der beiden Endraum-Gründer, zu nennen. Oder Saeldes Sanc, ein Projekt von der wunderbaren Hannah Wagner und dem nicht minder tollen Ernst Horn (Deine Lakaien). Mit Salvation AMP haben wir wunderschönen Gothic-Rock aus Detmold. Der Gründer Christ-Ian war übrigens schon in den 90ern eine sehr aktive Figur in der lokalen Untergrundszene. Es gibt aber auch spannende Neuentdeckungen wie Monowelt aus Berlin oder Morlas Memoria aus Dresden. Genretechnisch bietet die Compilation eine Mischung aus klassischem Gothic-Rock, Gothic-Metal, ruhigeren Electronica-Stücken, Dark Punk und Dark Wave. Es ist eine sehr lebendige Mischung aus den musikalischen Ursprüngen und neuen Ideen. Es ist bewusst keine Retro-Zusammenstellung; dennoch sollten die Wurzeln fühlbar bleiben.
Der Sampler wurde auf Juni vorverlegt. Gab es einen besonderen Grund dafür?
Im Endeffekt hat sich das Teilnehmerfeld schneller gefüllt, als ich dachte: Es sprach sich extrem schnell unter den Musikern herum, dass wir endlich mal eine Veröffentlichung allein mit Bands aus der deutschen Schwarzen Szene machen. Da wir sonst immer Bands aus allen Teilen der Erde zusammenbringen, ist dementsprechend auch wenig Platz für die heimische Musikerszene. Im Endeffekt war das Echo überwältigend! Da sich das Feld extrem schnell gefüllt hat, gab es keinen Grund, bis auf den ursprünglichen Veröffentlichungstermin im August zu warten.
Auf Deiner Internetseite teilst du explizit mit, dass Bands aus den Bereichen Hellectro, Aggrotech oder Neue Deutschen Härte sich gar nicht erst für die Compilation bewerben brauchen. Sind sie aber mittlerweile nicht Teil der Szene, mit denen sich auseinandergesetzt werden muss?
Ja, das habe ich in der Ausschreibung zu "German Gothic Isn't Dead" so formuliert. Über das Konzept der Compilation haben wir ja bereits gesprochen. Es hätte also keinen Sinn gemacht, sich durch sämtliche Einsendungen, die sonst aus dieser Ecke gekommen wären, zu wühlen. Sind sie Teil dessen, was man heute als "Schwarze Szene" bezeichnet? Ja - aber: Sie sind auch gleichzeitig ein Grund dafür, warum besonders die älteren Szene-Mitglieder die musikalische Entwicklung der Szene als tot empfinden. Hellectro/Aggrotech ist, wenn wir mal ehrlich sind, auf "böse" getrimmte Technomusik. Das hat mit der Musik der Gothic-Szene doch sehr wenig zu tun! Genauso wäre 1995 niemand auf die Idee gekommen, das Debütalbum "Herzeleid" von Rammstein zum Gothic-Bereich zu zählen. Schon alleine deshalb nicht, weil die Musiker größtenteils einen völlig anderen Background haben. Irgendwann in den 2000er Jahren fingen Labels, und dadurch natürlich auch die Magazine, an, diese Genres in die Gothic-Szene zu pressen. Es war keine natürlich Entwicklung, sondern eine aus kommerziellen Gründen künstlich von außen eingetrichterte. Damit öffnete sich natürlich auch die Szene gegenüber Menschen, die ein paar Jahre zuvor nie auf die Idee gekommen wären, sich so zu kleiden. Heute hat man ja viele Leute innerhalb der Szene, die nicht mal mehr was mit der Musik von Nosferatu oder Klassikern wie The Damned und Siouxsie And The Banshees anfangen können. Letztendlich gibt es auch gar nicht mehr diese "eine" Szene, sondern die Gothic-Gemeinde selbst hat sich in vielen kleinen Subszenen auseinander dividiert. Die einen interessieren sich hauptsächlich für Wave, die anderen für Neoromantik. Das sind eigentlich alles Untergruppierungen, die herzlich wenig miteinander zu tun haben - außer vielleicht, dass sie meist schwarze Kleidung tragen. Und dann gibt es so Grenzgänger wie mich, die sich keiner Schublade unterordnen lassen. Zurück zu Deiner Frage: Ich denke nicht, dass man sich mit NDH oder Techno auseinandersetzen muss, wenn es einem nicht gefällt. Mir persönlich gefällt es nicht, wenn man zu stampfenden Beats "irgendwas mit Ficken" herumbrüllt, oder jede zweite NDH-Band wie Rammstein klingen will. Nee, damit muss ich mich nicht weiter beschäftigen! Ich halte es so, dass ich mich allein damit auseinandersetze, was mir gefällt. Das mag vielleicht in gewisser Weise ignorant klingen, aber man muss nun wirklich nicht nach jedem Stöckchen springen, das einem vorgehalten wird. Und aus diesem Grund wird es zu diesen Genres nichts bei At Sea Compilations geben, da ich nur Sachen featuren möchte, hinter denen ich auch zu einhundert Prozent stehen kann. Diese Authentizität ist mir sehr wichtig!
Bekommst Du mittlerweile eher Anfragen von Bands, oder schreibst Du die Musiker und Interpreten größtenteils selber an?
Teils, teils: Gerade für "Snowflakes" bekomme ich über das Jahr so viele Anfragen, dass ich kaum noch selbst recherchieren muss. Genauso wie für die "Twist The Past"-Reihe. Da reicht es häufig schon, Aufrufe in den sozialen Netzwerken zu posten. Anders sieht es dann natürlich bei Genres aus, zu denen es bisher noch keine Veröffentlichungen gab: Da recherchiere ich aktiv.
Mit Deinen Zusammenstellungen versuchst Du ja auch einen schwierigen Spagat: Du bewahrst die alten Tugenden der ersten Gothic-Bewegung aus der Post-Punk-Ära, schaust aber gleichzeitig nach Innovationen, die die heutige Szene bereichern und beleben. Wie schwer fällt es, Bands zu finden, die genau diesem Anspruch gerecht werden?
Es kommt immer auf das Konzept der jeweiligen Compilation an: Bei "Snowflakes" sind mir die Tugenden der ersten Gothic-Bewegung ziemlich egal, weil es einfach andere Genres sind und die Reihe ganz andere Hörer anspricht. Da achte ich dann auf Atmosphäre und solche Dinge. "Twist The Past" ist eine reine Post-Punk und Wave Compilation. Da findet man nur Bands, die jene Zeit als große Inspiration für ihre Musik betrachten. Meistens Musiker, die damals gerade erst geboren wurden oder selbst noch Jugendliche waren. Da kommt dieser Spagat natürlich ganz automatisch, weil man im Jahr 2015 natürlich anders produziert als im Jahr 1985. Die Themen sind andere; die popkulturellen Einflüsse sind völlig verschieden. Bei "German Gothic Isn't Dead" war es mir wichtig, dass die entsprechenden Genres vertreten sind, die man so auch in den 90ern gehört hätte. Die Bands klingen aber natürlich nicht genau so. Weil jeder Musiker etwas Eigenes in die Musik einbringt. Auch hier entsteht der Spagat quasi automatisch! Ich denke, dass das, was man am Ende als Spagat zwischen musikalischen Wurzeln und Modern wahrnimmt, aus der Summe aller Bands entsteht: Die einen sind traditioneller; die anderen ein wenig moderner. Meine Aufgabe besteht darin, diese unterschiedlichen Bands und Songs so geschickt auf den Zusammenstellungen miteinander zu verbinden, dass erstens der eigene Stil der jeweiligen Band nicht zu kurz kommt und es zweitens dennoch ein halbwegs harmonisches und abwechslungsreiches Gesamtbild ergibt. Das ist gar nicht so einfach, und es hat auch eine Weile gebraucht, bis ich ein Gespür dafür entwickelt habe. Am Ende zählt aber allein die Musik der Bands; ich schaffe nur eine Plattform dafür.
Was muss ein Lied haben, damit es auf einem Deinem Sampler erscheinen kann?
Mir muss die Musik gefallen - und die Musiker müssen Bock haben, mitzumachen. Mehr ist da nicht! Ich kann jetzt nicht genau beschreiben, was ein Song haben muss. Der muss mich einfach "catchen", und das geschieht sehr intuitiv bei mir, gerade weil ich von Post-Rock über Folk bis hin zu Alternative-Pop sehr viel unterschiedliche Musik höre. Selbst Electronica fange ich gerade an zu entdecken – ein sehr spannendes Feld, gerade für jemanden wie mich, der vom Geschmack her eher aus der Gitarren-Ecke kommt!
Wann und warum hat es Dich eigentlich zur Schwarzen Szene hingezogen?
Das war, glaub ich, 1996 oder 1997. Meine Kindheit habe ich mit Bands wie Guns 'N Roses, Aerosmith oder Skid Row verbracht. Aber auch Sheryl Crow, The Cranberries, Alanis Morissette und solche Geschichten. Der Hang zur handgemachten Musik war also schon immer da! Dann machte bei uns irgendwann mal der erste Media Markt auf, und die hatten eine riesige Independent-Ecke. Man konnte dort zig CDs anhören, also habe ich stapelweise Alben zum Player geschleppt und einfach überall mal reingehört. Hängen geblieben bin ich schließlich bei Bands wie In My Rosary, Ostia oder Sentenced. Dann kam gleichzeitig auch mehr Metal-Musik dazu: Ich entdeckte spezielle Musikläden wie Keules Metal Shop bei uns in Chemnitz, oder das wunderbare Ohrakel in Leipzig, das es übrigens noch heute gibt. Dort traf man auf andere musikbegeisterte Menschen, mit denen man sich austauschen konnte - und jedes Mal mit neuer Musik nach Hause ging! Das ist auch der Spirit, den ich versuche, mit At Sea Compilations einzufangen: Spaß daran, Neues zu entdecken.
Kannst Du Dich noch an Deine erste "Gruftie-Platte" erinnern?
Ganz ehrlich: Nein. Geprägt haben mich aber in meiner frühen Zeit definitiv "Under the Mask of Stone" von In My Rosary, "Cantara Anachoreta" von Antichrisis, "Innerlichkeit" von Endraum und "From The Aether" von Ostia (heute: Friends of Alice Ivy). Dass das alles Bands, beziehungsweise Musiker sind, mit denen ich jetzt bei At Sea Compilations zusammengearbeitet habe, ist daher kein Zufall. Im Gegenteil: Ich bin da selbst immer noch ganz Fan - und stolz darauf, dass diese "Helden meiner Jugend" heute auf meinen kleinen Musikzusammenstellungen vertreten sind.
Wird dieses Projekt weiterhin ein kostenloses bleiben, oder könntest Du Dir vorstellen, in naher Zukunft auch Geld für Deine Zusammenstellungen zu verlangen?
Wie vorhin bereits beschrieben, würde es einfach keinen Sinn machen, Geld zu verlangen. Ich müsste dann nämlich auch die komplette Präsentation, Musikauswahl und solche Dinge "markttauglicher" machen. Und dann würde das ganze Projekt seine jetzige, leicht anarchische DIY-Seele verlieren – und ich meinen Spaß an der Sache! Kurzum: Das Projekt wäre tot! Ich möchte bei der Musikauswahl nicht daran denken müssen, wie ich das Ganze am besten verkaufen kann, sondern einfach die verschiedenen Konzepte mit tollen Musikern füllen, die das alles auf ihre eigene Art und Weise zum Leben erwecken. Ich gebe ja nur den Rahmen vor und weiß am Anfang selbst nicht, was genau am Ende dabei herauskommen wird. Diese Leichtigkeit finde ich wichtig!
Abschließend noch ein kleiner Ausblick: Wo siehst Du die Schwarze Szene in fünf Jahren?
Die Szene selbst wird sich noch mehr fragmentieren. Ich denke, dass in ein paar Jahren vielleicht noch ein kleiner Teil übrig geblieben ist, aber die ganz großen Geschäftemacher werden weitergezogen sein. Dann wird es mehr denn je darauf ankommen, ob die Szene-Mitglieder immer noch selbst aktiv sein können - oder ob man sich mittlerweile zu sehr an die Konsumentenrolle gewöhnt hat. Subkultur hat schon immer vom Selbermachen gelebt. Ich denke und hoffe deshalb, dass dieser Geist wieder etwas mehr in den Vordergrund rückt und sich die einzelnen Projekte mehr miteinander vernetzen und zusammenarbeiten.
||INTERVIEW: DANIEL DRESSLER | DATUM: 14.06.15 | KONTAKT | INTERVIEW THEN COMES SILENCE: "DIE GESELLSCHAFT MUSS LERNEN, MEHR ÜBER DEN TOD ZU SPRECHEN!" >
Website und Downloads
www.at-sea-compilations.de
FOTOS © AXEL MESSINGER.
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