BLACKIEBLUEBIRD "GRACE & GRAVITY" VS. MIRNY MINE "PALMY DAYS / FRÅN DÖD TILL LIV": SKANDINAVIENS SCHAURIGE SIRENEN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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BLACKIEBLUEBIRD "GRACE & GRAVITY" VS. MIRNY MINE "PALMY DAYS / FRÅN DÖD TILL LIV": SKANDINAVIENS SCHAURIGE SIRENEN

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Der große Überraschungsmoment auf "Grace & Gravity" ist sicherlich "Oh Susanna". Dabei handelt es sich um den bekannten amerikanischen Folk- und Bluegrass-Klassiker. "I come from Alabama with my banjo on my knee", so die legendären ersten Wörter dieses Liedes. Prompt hat man den klassischen Südstaatensound im Ohr, vorgetragen von ein paar herben Jungs mit Cowboyhut, Karohemden und speckigen Jeans.

Doch BlackieBlueBird modelt dieses Traditional vollkommen um und presst ihn liebevoll aber bestimmt in ihren kontemplativen Dream-Folk-Sound. Die beschwingte Nummer gerät so zu einer Sehnsuchtsballade voller traumwandlerischer Schönheit. Dabei ist es nicht nur Heidis herrlich somnambule Stimme, die in großer stilistischer Nähe zur Schwedin Alice Boman steht, sondern der tiefenentspannte, verhallte Sound von Nils Lassen, der sich bestimmt auch bei Hope Sandoval und ihrer Band The Warm Inventions einiges abgeguckt hat. Im Vergleich zu den früheren Werken "Goodbye In July" (2020) und "Ghost River" (2018), ist mittlerweile auch Schlagzeuger Tomas Ortved mit dabei. Sein unaufdringliches Spiel bereichert den musikalischen Kosmos von BlackieBlueBird ungemein.

Trotz ihrer Nähe zu anderen Künstlerinnen und Künstlern besitzt die Gruppe einen sehr eigenen Sound, der sich durch eine unerträgliche Leichtigkeit des Seins auszeichnet. In "Grace & Gravity" verdichtet sich das Leben mit all seinen Hochmomenten und Fallstricken zu einem körnigen Super-8-Film, den das Duo stimmungsvoll mit ihren Stücken untermalt.

Die große, bleierne Schwere in "Tired Hangs The Head" wird durch eine luftige Komposition aufgewogen, sodass die Traurigkeit des Textes nicht auch noch durch die Musik potenziert wird. "Love Me Like You've Never Been Hurt" wiederum setzt eine warme Komposition dagegen, die voller Güte und Vertrauen kündet, obgleich die lamentierende Stromgitarre mit ihrem vibrierenden Echo die Tristesse hinter diesem Stück nach vorne kehren möchte.

Was das Kopenhagener Dreiergespann hier geschaffen haben, ist eine Musik zum versinken. In den gemächlichen Songs finden sich Momente voller Wahrheit und Wahrhaftigkeit. "Grace & Gravity" ist ein unpathetischer, aber auch nicht nüchterner Blick auf unser Leben. Es ist in erster Linie ein intensives Spüren aller positiven und negativen Ereignisse. Denn ihre Summe füllt unsere Existenz erst mit Inhalt.

Mit ihrem ersten Album "The Other Part" gelang der Fotografin Anna Sundström, die sich den "funkelnden" Namen Mirny Mine (hergeleitet von einer bekannten Diamantenmine) zuschusterte, eine kleine Sensation. Die aus dem schwedischen Visby stammende Künstlerin zeigte sich nicht nur sehr sicher in der Wahl ihrer Instrumente, sondern ließ sich nicht von äußeren Strömungen, sondern von ihrer inneren Stimme leiten. Diese brachte sie nun auf die Idee ihr zweites Album zu halbieren und unterschiedlich zu betiteln. "Palmy Days" enthält englischsprachige Stücke, "Från död till liv" ist auf schwedisch eingesungen.

Diese direkte Gegenüberstellung war ein genial zu nennender Coup. Denn je nach Wahl der Sprache ändert sich auch die Stimmung der Songs. Zwar bleibt Mirny Mine einem mystisch angehauchten, mit viel Elektronik ausgestatteten Wave verbunden, dem sie mit ihrer durchdringenden Stimme stets eine träumerische Note verleiht. Der Versuchung, sich bei den englischsprachigen Stücken ein Stück weit mehr an den Massengeschmack zu orientieren, konnte sie schlussendlich nicht ganz widerstehen. Das ist aber auch kein Kritikpunkt, sondern eine reine Feststellung. Der Titelsong und "Stay Wild" bauen dezente Gitarren in die Kompositionen ein, während der rein instrumental eingespielte "E-Song" an die halluzinogenen Kompositionen eines Michael Rother erinnern.

Von dieser ruhigen Grundstimmung nimmt "Från död till liv" Abstand. Bei "Döda Solen" darf sogar ein gewichtiger Beat und subbassige Linien eine verwaschene Synthielinie begleiten. Doch das ist Sundströms bereits größtes Zugeständnis in Sachen potenzieller Club-Song; eher erinnert die Nummer an den kunstvoll arrangierten Synth-Pop von Austra, der zwar auch beim ersten Hinhören sich als sehr tanzbar ausweist, aber aufgrund ihres hohen Anspruchs nie wirklich die Tanzflächen füllen kann oder will.

Insgesamt besitzt der schwedische Part dieser Langrille eine archaischere Note. "Natten kommer" und "Säsongens tystnad" sind düster aufgebaute Kleinode, in denen sich die skandinavische Seele ausbreitet und man sich an heidnische Rituale erinnert fühlt. Wobei der religiöse Impetus sicherlich nicht Thema bei Mirny Mine ist. Die schwedische Sprache in Verbindung mit der schummrigen Elektronik kann jedoch solche Bilder in den Köpfen der Hörerschaft auslösen.

Deswegen ist der zweite Teil dieses insgesamt einzigartig erdachten Werkes spannender als der "konventionelle" Abschnitt. Was aber nicht bedeutet, dass wir es hier mit einem qualitativen Unterschied zu tun haben. Mirny Mine sind sich ihrer Sache sicher und die Umsetzung der Ideen in Musik und Text ist mehr als gelungen, unabhängig von der Sprache.

Zusammen mit BlackieBlueBird haben die beiden skandinavischen Chanteusen einmal mehr den Beweis erbracht, dass Musik in deren Breitengraden viel mehr ist, als eine wohlklingende Aneinanderreihung von Noten. Bei unserem (in)direkten Nachbarländern scheint man sich der therapeutischen Kraft der Töne bewusst zu sein. BlackieBlueBird und Mirny Mine haben sich vor allem auf die meditative Kraft der Klänge fokussiert und daraus Werke von dunkler Schönheit geschaffen.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 07.10.23 | KONTAKT | WEITER: ATOEM "ENTROPY" VS. KALIPO "WUT">

Webseite:
mirnymine.bandcamp.com

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Cover ©  Aenaos Records (BlackieBlueBird), Novoton (Mirny Mine)

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