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THOMAS THYSSEN UND ERIC BURTON: "FREAKWAVE SOLL SICH ALS KLEINES, ABER FEINES LABEL ETABLIEREN"

Im Gespräch


Es ist sicherlich nicht gerade die beste Zeit, um ein neues Label ins Leben zu rufen. Doch  Thomas Thyssen und Eric Burton stehen, aller Corona-Widrigkeiten zum Trotz, in den Startlöchern, um ihre gemeinsame Plattenfirma Freakwave zu lancieren. Sie soll vor allem Post-Punk- und Cold-Wave-Bands eine Heimat sein, die sich glücklich schätzen dürfen, von zwei professionellen Visionären und Szene-Urgesteinen begleitet zu werden, die seit über 20 Jahren die Strömungen der Schwarzen Szene beobachten und auch mitformen.

In der Pop-Musik beschreibt eine Supergroup einen Zusammenschluss von bereits solo erfolgreichen Musikern. Der Analogie nach wäre dann Freakwave ein Superlabel, oder?

Thomas: (lacht) Lass die Superlative im Schrank, Daniel! Nein, im Ernst, die Analogie hinkt tatsächlich. Freakwave ist aus einer Idee geboren, die Eric und ich schon seit längerer Zeit mit uns herumtragen. Jetzt passten einfach alle dafür notwendigen Begleitumstände und Rahmenbedingungen, um Butter bei die Fische zu machen. Wir verstehen uns als kleines Underground-Label mit Anbindung an ein professionelles Umfeld aus Independent-Verlag, Management- und Promo-Agentur sowie einem international operierenden Indie-Vertrieb. Entsprechend stehen wir auch noch ganz am Anfang, wollen einen guten Job für all unsere Künstler und Bands machen und müssen uns sämtliche Arten und Formen von Lorbeeren erst einmal erarbeiten.
Eric: Wir freuen uns aber natürlich, wenn unsere Künstler unsere Arbeit super finden und auch entsprechend gerne mit unserem Team arbeiten. Dann sind wir tatsächlich ein Superlabel und der eigene Anspruch wäre erreicht.

Vielleicht mal eine gegenseitige Präsentation: Was schätzt ihr am Gegenüber besonders bzw. was macht den anderen zum besonderen Menschen?
Eric: Thomas ist tief in der Szene verwurzelt, kennt alle Befindlichkeiten und Stimmungen hier.  Aber durch seine Historie hat er auch einen erweiterten Blick über den berühmten Tellerrand hinaus und das ist es, was wir für unsere Arbeit nutzen. Wir bedienen den uns bekannten Szene-Kern, aber suchen auch immer wieder Möglichkeiten, wie man einen Release darüber hinaus platzieren kann.  Wir sind nur sehr selten mal unterschiedlicher Meinung. Das macht es einfach, sich gute Konzepte auszudenken und umzusetzen.
Thomas: Eric und ich kennen und schätzen uns jetzt nicht nur eine gefühlte, sondern eine gelebte und reelle halbe Ewigkeit. Was ihn in dieser ganzen, verdammt langen Zeit immer ausgezeichnet hat, war sein extrem ausgeprägtes Macher-Gen. Er hat immer eine gute Idee, einen neuen Ansatz, schlägt inhaltlich eine Brücke, die andere vielleicht nicht sehen. Und völlig abgesehen von dieser eher professionellen Perspektive, ist er schlichtweg auch ein extrem guter Typ und – ganz simpel – mein alter Freund. Das erleichtert eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe natürlich um ein Vielfaches.

[image:image-2]Eure Plattenfirma soll ein Hort für Cold Wave- und Post-Punk-Bands sein, was angesichts Eurer Vita natürlich naheliegt. Nun gibt es aber bereits einige Labels in diesem Bereich. Was unterscheidet Euch von den anderen Mitbewerbern um die Gunst der Bands?
Thomas: Wir sehen uns in keiner Konkurrenzsituation mit bereits bestehenden Labels, noch werden wir in irgendeiner Weise um die Gunst von bereits anderweitig gesignten Künstler*innen buhlen. Entweder, man will mit uns zusammenarbeiten, weil es inhaltlich und – ganz wichtig – auch auf der persönlichen Ebene passt, oder halt eben nicht. Ich habe nichts als Respekt für alle Kolleg*innen, die sich weltweit labelseitig engagieren und einen guten Job machen.
Eric: Das kann ich so komplett unterschreiben. Eine Zusammenarbeit mit Freakwave ergibt sich über verschiedene Wege und ist dann einfach die sinnvollste Alternative. Im Idealfall ist es einfach offensichtlich, dass ein Künstler bei uns signt, da es schon eine "Vorgeschichte" gibt, die dazu geführt hat.

Was schwebt Euch in den nächsten Jahren vor? Wohin soll die Reise gehen?
Thomas: Freakwave soll sich als kleines, aber feines Label etablieren, mit einem überschaubaren, qualitativ hochwertigen und international agierenden Künstlerstamm. Weniger ist mehr. Und das gilt heutzutage, zumindest meiner Meinung nach, mehr denn je. Nur so kann gewährleistet werden, dass wir wirklich für alle unsere Bands und Acts einen guten Job machen können.
Eric: Wir haben ja keinen Signing-Druck. Wir machen aktuell nur eine Handvoll ausgewählter Releases, die aber dann mit vollem Einsatz und über einen langen Zeitraum.

Ihr seid beide „alte Hasen“, habt die Szene und ihren Wandel über Jahrzehnte im Blick. So lange es diese Subkultur gibt, wird auch immer – so scheint es mir zumindest – ihr sicherer Tod durch die zunehmende Kommerzialisierung prophezeit. Wie sieht ihr das? Besteht da wirklich Grund zur Panik?

Eric: Wenn man sich die aktuellen Einnahmen von Alternative-Künstlern anschaut, dann kann man meiner Meinung nach nur schwer von "Kommerz" sprechen. Wo soll ein solcher Kommerz denn anfangen und wer legt das fest? Solche Begriffe fand ich schon immer störend und abwertend. Wenn ein Act gut verkauft oder anderweitig Geld verdient, dann hat er auch was dafür getan, meistens über einen langen Zeitraum und mit vielen Entbehrungen. Ich gönne JEDEM/JEDER Künstler*in – gerade in der heutigen Zeit – jede mögliche Einnahme.
Thomas: Den Peak der Kommerzialisierung hat die „Szene“ meines Erachtens, was immer diese auch im Jahre 2020 noch ist, mittlerweile schon ziemlich weit hinter sich gelassen. Mit sehr wenigen Ausnahmen wird dieses überaus heterogene Gebilde jedenfalls im Durchschnitt immer älter und älter, Nachwuchs bleibt in größeren, wirklich nennenswerten Mengen aus und von einer Jugendsubkultur kann schon lange keine Rede mehr sein. Die Diversifizierung in kleine Genre-Nischen und Sub-Subkulturen, wenn man das so nennen mag, ist für mich eine logische Konsequenz aus den letzten 25+ Jahren, in denen sich die Infrastruktur innerhalb der Szene immer mehr und mehr professionalisiert und natürlich auch der Zeitgeist mehrfach geändert hat.

[image:image-3]Welchen Einfluss – positiv oder auch negativ – hat die Vertriebsverlagerung über digitale Medien auf die Szene?
Thomas: Wenn du nicht mit der Zeit gehst, dann wird sie dich über kurz oder lang überholen. Fakt. Natürlich hat der stark dominierende Fokus auf Streaming das Geschäftsmodell etlicher Labels völlig auf den Kopf gestellt, andererseits darf man auch mehr denn je nicht unterschätzen, wie wichtig es nach wie vor ist, sich heutzutage als kontemporärer Act einen entsprechenden Namen als guter Live-Act zu erarbeiten. Über den Merch-Tisch verkaufst du mittlerweile mehr physisches Produkt als über den stationären Handel oder alteingesessene Szene-Mailorder. Wie sich dies dann "Post-Corona" verhält bzw. wie auch immer das vermeintliche "neue Normal" dann aussehen wird, muss man abwarten und dann natürlich so gut es geht und so zeitnah wie möglich proaktiv reagieren. Auf der anderen Seite werden durchweg alle großen Streaming-Anbieter sukzessive auch ihren Fokus immer mehr auf Nischen und vermeintlich "unwichtigere" Genres liegen, weil sie eben fortlaufend expandieren und neue Abonnenten gewinnen müssen. Dies wird sich dann wiederum seitens der DSPs in offiziell kuratierten Genre-Playlisten widerspiegeln, was ein wichtiger Schritt für alle Underground-Künstler wäre, völlig unabhängig vom eigenen musikalischen Segment.
Eric: Wir müssen damit umgehen, dass das physische Produkt ausstirbt, bis auf wenige Einheiten.  Das ist einerseits natürlich schade, aber wenn der Fan keine CDs, Vinyls, Tapes mehr besitzen will, dann hat er sich nun mal dafür so entschieden. Da kann man nun ewig drüber lamentieren, aber das bringt ja nichts. Also sind die Releases nun digital erhältlich und wenn der der Fan es will, dann auch gerne physisch. Ich finde, man sollte auch die digitale Verfügbarkeit nicht als "Feindbild" stigmatisieren. Es ist eine Erweiterung und bietet auch viele Vorteile. Ich selbst habe noch nie so viel Musik gehört und auch entdeckt, seitdem ich Spotify nutze. Wir bieten unseren Künstlern ja auch ein sehr faires Split-Model bei den digitalen Einnahmen an, so dass hier beide Seiten sehr zufrieden sein können.

Welchen Schwerpunkt wollt ihr bei Freakwave setzen? Konservativ oder progressiv?
Thomas: Weder noch, der Schwerpunkt soll und wird auf Bands und Künstlern liegen, die wir persönlich schätzen und deren Arbeit, deren Sound uns auf ganzer Linie überzeugt. Dabei ist es völlig unerheblich, ob es sich dabei um old-schooligen oder "progressiven" Post-Punk oder doch eher elektronisch dominierten Cold Wave handelt. Oder, lass es mich anders formulieren: Wir wollen den Schwerpunkt auf Qualität setzen. Das trifft es ganz gut.
Eric: Ich mache mir über solche Begriffe überhaupt keine Gedanken. Mir gefällt ein Act und sein Sound, es läuft sofort ein Film im Kopf dazu ab, ich habe Ideen und ein gutes Gefühl, dass erstmal ist das wichtigste für mich. Dann muss es unbedingt auch von den "Spirits" her passen zwischen Künstler und Label und die gegenseitige Lust, miteinander arbeiten zu wollen.

Habt ihr bereits einige Bands unter Vertrag? Könnt ihr da schon aus dem Nähkästchen plaudern?
Thomas: Ja, wir stehen kurz vor Abschluss der Verhandlungen mit zwei Acts, die wir beide sehr schätzen, und mit denen wir eh schon seit längerer Zeit auf anderen Ebenen zusammengearbeitet haben. Des Weiteren haben wir eine weitere Band im Visier, deren Ansatz und Arbeitsweise uns sehr zusagt, und wo wir entsprechend erste Fühler ausgestreckt haben. Offizielle Ankündigungen gibt es erst dann über all unsere Kanäle, wenn auch wirklich alles notwendig Administrative in trockenen Tüchern ist. Nichts ist oller als über ungelegte Eier zu reden. Zudem hat natürlich auch bei uns die gegenwärtige Corona-Problematik zu massiven Planungsänderungen und VÖ-Umplanungen geführt. Kurz vor dem internationalen Ausbruch der schlimmsten Pandemie unserer Lebenszeit ein Label zu starten hat halt auch seine Tücken, um es mal diplomatisch auszudrücken.
Eric: Wir alle stehen aktuell mehr denn je mit dem Rücken zur Wand. Es muss also noch genauer geplant und überlegt werden, wie man einen Release aufsetzt und arbeitet. Das sind wir den Freakwave-Künstler*innen schuldig!

|| INTERVIEW: DANIEL DRESSLER | DATUM: 05.05.2020 | KONTAKT | WEITER: QUO VADIS WAVE-GOTIK-TREFFEN 2020?>

Fotos © Schubert Music Publishing

Webseite:

www.freak-wave.com (im Aufbau)
www.facebook.com/freakwaverecords
www.instagram.com/freakwaverecords


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