2/18: ROME, PERSEPHONE, MANTUS,WE ARE TEMPORARY, PROJECT PITCHFORK - STILSICHERHEIT IM ZEICHEN DES DREIECKS - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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2/18: ROME, PERSEPHONE, MANTUS,WE ARE TEMPORARY, PROJECT PITCHFORK - STILSICHERHEIT IM ZEICHEN DES DREIECKS

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Es kommt nicht von ungefähr, dass Trisol seit mehr als 20 Jahren in der Schwarzen Szene mitmischt. Während andere Labels versuchen, über die Masse Gewinn zu machen, ist sein Künstlerpool recht überschaubar - die Namen jedoch sind allesamt Hausnummern innerhalb der Gothic-Gemeinde. Und die Musiker halten ihrem Label die Treue.

Ein schönes Beispiel ist Rome. Seit dem Wechsel von Cold Meat Industry zu Trisol veröffentlichen die luxemburgischen Neo-Folker um den philosophisch beschlagenen Jerome Reuter mit schöner Regelmässigkeit hochwertige Alben, deren Konzepte sich überwiegend aus historischen Ereignissen speisen oder auf literarischen Grundlagen basieren. Mit dem aktuellen Longplayer "Hall Of Thatch" jedoch bricht er mit den gängigen Mustern, sowohl auf narrativer wie auch musikalischer Ebene. Inspiriert von seinem Thailand-Aufenthalt vor rund vier Jahren, setzt er sich auf künstlerische Weise mit dem Buddhismus auseinander - aber nicht dergestalt, wie man es bei den in sich ruhenden, friedvoll lächelnden Mönchen sieht, die ihre Erkenntnisreise größtenteils hinter sich haben. Hier ist der Glaubensweg als fortwährender Kampf mit den eigenen Dämonen dargestellt, die einen erst einmal daran hindern, den göttlichen Funken zu erblicken. Aus dem Erzähler Jerome ist ein Protagonist geworden, der die Distanz zu seinen Texten aufhebt und sie selbst durchlebt. Es ist das erste Mal, dass der Musiker uns einen Einblick in sein Innerstes gewährt. Dementsprechend verschiebt sich das Rome-Klangbild in Richtung eines progressiven Dark-Folk mit deutlichem Doom-Einschlag und verstärktem Sample-Einsatz (die verschiedenen Gesänge und Gebete stammen aus Aufnahmen, die der Sänger an unterschiedlichen Orten in Vietnam gemacht hat). Nicht zuletzt wandelt sich auch die Stimme des Frontmannes, schleicht bei "Hunter" in tiefen Regionen umher, explodiert in "Martyr" zu beklemmenden Schreien und verleiht einem augenscheinlich typischen Rome-Song wie "Keeper" eine neue Wendung durch intensive, lang gezogene Wörter, bis am Ende ein herzzereißendes Flehen übrig bleibt. "Hall Of Thatch" reißt das alte Rome-Gebäude ein, bis schließlich kein Stein mehr auf dem anderen steht. Das Album stellt eine bedeutende Zäsur im sonst eher homogenen Kanon der Gruppe dar.

Einen künstlerischen Einschnitt hat Sonja Kraushofer ebenfalls erfahren, als sie zu Beginn des neuen Jahrtausends zusammen mit Musikern aus dem Dunstkreis von Janus und Christian Death das Projekt Persephone aus der Taufe hob. Sonst als Chanteuse bei L'âme Immortelle aktiv, zeigt sie unter dem Alias der griechischen Fruchtbarkeits- und Totengöttin deutlich mehr Facetten ihres stimmlichen Könnens. Beide Bands veröffentlichen dieser Tage quasi zeitgleich neues Material. Sie offenbaren eine deutliche Prioritätsverschiebung der Österreicherin mit den feuerroten Haaren. Während sie auf dem erschreckend belanglosen L'âme-Immortelle-Machwerk "Hinter dem Horizont" eher lustlos ein pathetisches Pflichtprogramm für Thomas Rainers eindimensionales Elektronikspiel absolviert, treibt sie auf "Perle" - dem ersten Persephone-Album seit elf Jahren - ihre Sangeskunst zu neuer Blüte. Basierend auf dem nur mäßig bekannten, wiewohl sehr einflussreichen Roman "Die andere Seite" von Alfred Kubin aus dem Jahr 1908, entführt uns Persephone in eine albtraumhaft-surreale Welt. Vorbei der einstige Melancho-Chamber-Wave des überragenden Vorgängers "Letters To A Stranger". Auf "Perle" (benannt nach der Stadt, in der sich dieser Roman abspielt) treiben beispielsweise ein wehmütiges Cembalo und quirlige Synthesizer wahnwitzige Wechselspiele ("Phobia"). Da steigen aus der Tiefe beklemmende Piano-Akkorde hinauf ("Summer Rain") und latent dissonante Streicher in "Dig A Little Deeper" künden zusammen mit fordernder Schlagzeugbearbeitung von einer Apokalypse, die sich im Roman sowohl auf persönlicher wie auch gesellschaftlicher Ebene abspielt - und damit gar nicht so weit von unserer realen Lebenswelt entfernt ist. In "Downfall" schließlich lösen schrammelnde Celli und zitternde Geigen die dräuende Prophezeihung ein. Konsequent durchdacht ist auch das feine Artwork, das Elemente aus Wilhelm Bernatziks Spätwerk "Eingang zum Paradies" (es entstand zwei Jahre vor Veröffentlichung des Kubin-Romans) mit Art-Déco-Schrifttypen kombiniert und in dunklen Brauntönen gehalten ist. Sonja Kraushofer ist auf "Perle" wieder ganz bei sich angekommen, was man den Aufnahmen anmerkt - und befeuert einmal mehr die Diskussion, ob sie bei Persephone nicht grundsätzlich besser aufgehoben ist als bei den stets umstrittenen L'âme Immortelle.

Mit ähnlichen Daseinsberechtigungsdebatten dürfte sich Martin Schindler auch bestens auskennen. Denn nur selten hat die Szenepresse sich euphorisch und überschwänglich gezeigt, wenn er mit seinem Projekt Mantus Neues veröffentlichte. Bisweilen als Lacrimosa für Arme verspottet, ist der Musiker seinen Weg dennoch unbeirrbar weitergegangen. Auch dank der Treue vom Trisol-Label, das nie Zweifel an der musikalischen Wertigkeit ihres Schützlings gehegt hat, konnte sich der Mann mit der tieftraurigen Stimme mit jedem neuen Album weiterentwickeln und an Selbstbewusstsein gewinnen. Nach mittlerweile 20 Jahren steht Mantus als etablierte Größe in der Szene-Landschaft da, auch weil sie sich nicht von aktuellen musikalischen Strömungen beeinflussen lässt und der so genannten "Neuen Deutschen Todeskunst" wieder Leben einhaucht. Bedrohliche Geigen, melodisch-harte Gitarrenriffs und versprenkelte Elektronik sind die wenigen, aber griffigen Zutaten für den typischen Mantus-Sound, der sich auch auf "Staub & Asche" wieder zur Gänze entfaltet. Im Vergleich zu den letzten, stark von gesellschaftspolitischen Fragen durchdrungenen Alben, finden Martin und seine Mitstreiterin Chiara Amberia zur Innerlichkeit zurück. Schindlers Schaffenskraft ist derart gewaltig, dass er "Staub und Asche" auch noch das vollwertige Album "Blumen aus der Hölle" anhängt. Es handelt sich hierbei um ein Kompendium von Poeme, die Martin während der kurzfristigen Ad-acta-Legung des Projekts zwischen 2006 und 2008 verfasst hat. "In recurrent phases of quiet contemplation and self-discovery" seien diese Gedichte laut Booklet entstanden. Dementsprechend wandelt Mantus etwas abseits der gewohnten Pfade und bewegt sich in Richtung einer experimentelleren Collage aus Klängen und Wörtern. Ein spannender Beweis für Martins ehrlicher Liebe zur Poesie und der furchtlosen Darlegung seiner Gefühle, die ihn im Innersten bewegen - gleich, welche Reaktionen sie auch bei den Menschen hervorrufen werden.

Aber wird Kunst nicht erst dann gut, wenn sie wahrhaftig ist? Wenn jeder Pinselstrich, jede Geste oder jede Note aus den tiefsten Tiefen einer bewegten Seele heraus entsteht? Zumindest wirkte das Debüt "Crossing all Over" des amerikanischen Ein-Mann-Projektes We Are Temporary erstaunlich ehrlich. Nur ein Jahr später bestätigt der Nachfolger "Embers" diesen Eindruck: Mark Roberts Gedanken über Verlust und Neubeginn speisen sich aus seinen persönlichen Lebenskrisen, allen voran der zeitweiligen Trennung von seiner Frau Mary, dem dann aber doch das Happy End inklusive bezauberndem Nachwuchs folgte. Natürlich verklausuliert er diese Gedanken in seinen Stücken, die er ein weiteres Mal mit extrem spannenden, äußerst progressiven Electro-Sounds unterlegt. Trotz des enormen Spektrums, das zuckersüße Pop-Strukturen bei "Universe" zitiert und an anderer Stelle afrikanische Rhythmen ("Earth") und nahöstliche Saiteninstrumente ("Echoes") in die Kompositionen verwebt oder Gesangsspuren gefühlt arhythmisch übereinanderlegt ("Animals"), bleibt "Embers" erstaunlich homogen. Und Marks Organ zeigt sich auch dieses Mal wieder von Emotionen durchwirkt, die ihn furchtlos durch die Höhen und Tiefen seines Stimmumfangs leiten. Unüberseh- und -hörbar ist dieses Album Roberts' absolute Herzensangelegenheit. Schließlich referiert das dunkelbunte, extrem liebevoll gestaltete Artwork (mit sogar zwei Booklets: eines mit den Texten, das andere mit ausführlichen Liner Notes von Mark) auf das, was uns We Are Temporary begreifbar machen wollen. Das Leben ist nicht immer ein Regenbogen, es ist aber auch nicht stets tiefste Nacht. Beides greift ineinander. Und wenn in "Heaven" der finale Akt beginnt, dann soll dies nicht ohne Kampf geschehen. "Fight The Dying Light" prankt in blauer Neonschrift über ganzer Länge des Innenteils des Albums. Zweifelsohne versucht Mark auf "Embers" dem Sinn des (eigenen) Lebens nachzugehen und seine Existenz voll auszukosten. Und wir dürfen ihn begleiten - um am Ende dieses inkommensurablen Albums vielleicht auch wieder ein bisschen mehr bei sich angekommen zu sein.

Unter den großen Förderern von We Are Temporary gehört übrigens Peter Spilles von Project Pitchfork. Dieser zeigt sich seit längerer Zeit extrem produktiv: Neun Alben in sieben Jahren. Das bei dieser überdimensionalen Menge an düster-elektronischen Liedgut einige schwächere Stücke auftauchen, ist eine Gefahr, die sich der Norddeutsche regelmässig stellen muss. Besonders die "NUN-Trilogie" wurde von der Fangemeinde nicht unisono euphorisch aufgenommen. Auf der anderen Seite darf sich Peter, der nun fast schon 30 Jahre Musik macht, eine gewisse Narrenfreiheit erlauben. So ist das neue Werk "Akkretion" beispielsweise ohne größere Vorankündigung erschienen, bildet aber den Startpunkt einer neuen Trilogie, wie aus dem Hause Pitchfork zu erfahren ist. Und ähnlich wie beim Schützling Mark Roberts von We Are Temporary, befasst sich das Trio mit nicht weniger als dem Werden und Vergehen. Allerdings richten sie den Blick dabei nicht auf das irdische Leben, sondern denken in Astro-Dimensionen: "Akkretion" bezeichnet nämlich die gravitationsbedingte Ansammlung von Materie bei kosmischen Objekten. Das klingt erst einmal nach sehr schwerer Kost, die den Verstand bis Ultimo ausreizt, und auch das extrem stilvolle, silberschwarze Digipak lässt eher Sinnschwere gepaart mit bleiernen Klängen vermuten. Doch das Gegenteil ist der Fall. Seit einer gefühlten Ewigkeit darf sich ein Project-Pitchfork-Album wieder "poppig" im Sinne einer unmittelbaren Eingängigkeit nennen. So eröffnet der Titelsong mit einer einzelnen Pianolinie, die um sich kreisend immer weitere Instrumente und Klänge ansammelt und so zu einer großen Nummer anschwillt, quasi eine tönerne Akkretion. Selbst finale Gedanken in "Good Night Death" werden von einnehmenden Melodiebögen und einem beschwingten Drievierteltakt untermalt und so seiner thematischen Mächtigkeit teitweise entbunden. Dann und wann zeigt sich Project Pitchfork extrem transparent wie bei "And The Sun Was Blue" und verliert selbst im etwas aggressiver vorgetragenen "Circulation" nicht den Blick für die "catchyness" ihrer Stücke. Das macht "Akkretion" unter dem Strich zu einem unerwarteten Glücksmoment.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 14.02.2018 | KONTAKT | WEITER: TAMPLE VS. ORPH VS. CLUB 8>

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Webseiten:
www.rome.lu
www.persephone-home.de
www.mantus.de
www.wearetemporary.com
www.project-pitchfork.eu


Covers © Trisol Music Group/Soulfood

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