LISET ALEA "HEART-HEADED" VS. MÉLANIE PAIN "PARACHUTE": CHERCHEZ LA FEMME - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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LISET ALEA "HEART-HEADED" VS. MÉLANIE PAIN "PARACHUTE": CHERCHEZ LA FEMME

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Die beiden Damen hier parallel zu besprechen, ist eigentlich nur logisch. Schließlich kennen sich die Kubanerin Liset Alea und die aus dem französischen Caen stammende Mélanie Pain bereits einige Zeit. Beide liehen sie ihre unterschiedlichen Stimmen dem bekannten Lounge-Projekt Nouvelle Vague, das auf die tolldreist zu nennende Idee gekommen ist, Songs unter anderem von Depeche Mode, The Clash oder The Undertones als tiefenentspannte Cocktail-Pop-Nummer umzuschreiben. Wie wir aus der Geschichte wissen, ging die Rechnung durchaus auf.

Sich nach solchen Erfolgen von den gewohnten Pfaden loszulösen und seine selbst ausgesuchten Wege zu beschreiten, ist auch immer mit dem Risiko des Scheiterns verbunden. Allerdings ist im Fall von Liset Alea das Engagement bei Nouvelle Vague nur eines von vielen gewesen. Rund zwei Dekaden lang war sie mehr oder weniger Zulieferer für andere Künstler wie beispielsweise Alexkid. Nach ihrem 2005er Debut "No Sleep" und einem nie veröffentlichten Album in spanischer Sprache, kommt sie nun mit "Heart-Headed" um die Ecke, einem Album, das den intensiven Geruch von verrauchten Nachtlokalen und verlassenen Hotelbars versprüht.

Liset Alea verdreht einfach mal die Vorzeichen und lässt nun ihre musikalische Weggefährten für sich arbeiten. Unter anderem sorgt Marc Collins (Nouvelle Vague) für aufregend elektronifizierte Nummern, die wie bei "Hunter And Tiger" sogar an die üppigen Synthie-Rock-Nummern von Depeche Mode erinnern, die sie auf "Songs Of Faith And Devotion" und "Ultra" zu perfektionieren wussten. Alle Stücke wurden passgenau auf Lisets Organ zugeschnitten, sodass sie sich nach Herzenslust über den Klangteppichen austoben konnte.

Dass "Heart-Headed" bei aller Mithilfe derart authentisch nach der Sängerin selbst klingt, mag auch an Lisets eigenem Werdegang liegen, der alles andere als eben und geradlinig war. Häufige Ortswechsel und Repressionen ihrer früheren Labelmanager führten dazu, dass sie teilweise fast mittellos in den übelsten Clubs für mickrige Gagen auftrat. All der Schmerz, aber auch all ihre Wünsche und Dämonen, die sie umgeben, bändigt sie in ihren zehn Songs, um sie in ihren angedunkelten Pop-Nummern loslassen zu können.

Es ist defintiv ihr Album, weswegen Liset auch auf dem Cover in Nahaufnahme zu sehen ist - ungeschminkt, mit Grübchen an den Mundwinkeln. Ihr von ihrer wallenden Mähne verdeckter Blick birgt immer noch etwas rätselhaftes, vielleicht auch etwas verruchtes, aber nicht gebrochenes. Auch wenn bereits die ersten angezupten Noten auf der E-Gitarre in "Jerusalem" deutlich die Hinwendung zum Moll-Akkord signalisieren, bleiben die Stücke aber angenehm schwebend.

Die Simmung auf "Heart-Headed" ist durchweg kontemplativ, verliert sich in "Serenade For Dogs And Mermaids" in einem wunderbaren Refrain über die "blaue Donau", lässt in "Alexander" Singer-/Songwriter Maniersimen aufblitzen und punktet in "Asphalt Flowers" mit psychedelischem Einschlag. Ihre größten Momente besitzt die Platte aber dann, wenn sich die Sängerin in ein stimmliches Kokon einwickelt und es den Anschein hat, als würde sie ganz nah in das Ohr des Hörers singen. Diese Intimität klingt besonders in dem sehnsuchtsvollen "Tidada (Nada Es Igual)" an, in der auch ihre Kindheit, die sie in Havanna verbrachte, durchscheint. Mit dem fatalistischen Finale "Count The Stars" stimmen schwerfällige Pianolinien, unterstützt von einem nachdenklichen Saxophon einen Schwanengesang an, der alle Hoffnung unter sich begraben zu scheint. Selbst, wenn die letzte Note bereits erklungen ist, verharrt dieses Stück in der Stille weiter und stirbt schließlich in Schönheit.

Von solch zentnerschwerem Weltschmerz ist Mélanie Pain ziemlich weit entfernt, obgleich ihr drittes Album "Parachute" nicht weniger emotional aufgeladen ist. Im Vergleich zu den Vorgängern "My Name" und "Bye Bye Manchester" lässt die Sängerin mit der leicht rauchigen Lolita-Stimme ihre Folk-Wurzeln endgültig hinter sich. Statt erdiger Gitarren, treten nun Klavier und leichtfüßige Elektronik in den Vordergrund. Das verleiht "Parachute" einen gewisse Theatralik, die aber dank Pains Gesang nie zu überkandidelt wirkt.

Für den reibungslosen Stilwandel hat sich die Französin gleich mal Gael Rakotondrabe ins Studio geholt. Sein Tastenspiel verlieh bereits den Stücken von Anthony And The Johnsons sowie CocoRosie eine eigenartige, leicht der Realität entrückte Eleganz. Erstmals deutlich tritt dies in Erscheinung bei "Dans une boîte". Die elegischen Piano-Passagen tragen Mélanies Gedanken über den Umgang mit Trauer mühelos durch den Song. Und die fliegenden Arpeggis in "On dirait" gehören mit zu den schönsten Momenten dieses Albums, das aber nicht nur in theatralischer Pose verharrt.

Gerade mit dem schüchternen "Comme une balle" auf der einen Seite und dem ungebändigten "Pristine" auf der anderen, verdichten sich fliegende Rhythmen, dezente Pianobearbeitung und Synthesizereinsprengsel zum modern-anspruchsvollen, tönernen Konstrukt, das sich nur noch entfernt auf den französischen Chanson beruft. Allenfalls wird er wie bei "Le mot" durch den Dreivierteltakt un einer Tiersen'schen Melodieführung auf dem Klavier zu Beginn angedeutet, um ihn im Refrain mit leicht spacigen Keyboardsounds wieder zu relativieren.

Wie bei der kanadischen Sängerin Coeur de Pirate, wechseln auch bei Mélanie Pain die lichten, beschwingten Momente mit introvertierten, melancholischen Augenblicken ab, sodass "Parachute" eine ziemlich exakte Empfindungsbeschreibung abliefert. Mit gerade mal 30 Minuten recht kurz gehalten, bildet das Album die Quintessenz einer Musikerin, die nicht nur annehmbare Coverversionen zu intonieren vermag, sondern auch als künstlerisches Individuum selbstsicher in Erscheinung tritt. Ihre Arbeit bei Nouvelle Vague in allen Ehren: Erst als Mélanie Pain wird ihr ganzes Können sichtbar.

Auf "Parachute" gelingt ihr das Kunststück, in ihren Nummern eine surrealistische Ebene einzubauen. Selbst das lasziv-schwüle "Rio" wirkt durch das gesamte Arrangement nie vordergründig erotisch, sondern seltsam somnambul. Und "Jette" gerät schon beinahe zum monumentalen Klassik-Pop, der an die überbordenden Stücke eines Woodkid gemahnt, um aber kurz darauf wieder in sich zusammenzufallen und nur das Piano vortreten zu lassen. Dass Mélanie übrigens aus diesem Klangmeer immer noch glasklar hervortritt, ist weniger einer guten Aufnahme geschuldet, sondern allein der Tatsache, dass sie mit wenig Kraft das Maximum aus ihrem Organ rausholen kann.

Das ist es nämlich, was Liset Alea und Mélanie Pain so besonders macht: Ihre aktuellen Alben strahlen eine handwerkliche Mühelosigkeit aus. Keine unnötigen Vokalgirlanden, kein überemotionales Geschrei oder dergleichen Effekte mehr, wie sie bei den aktuellen Pop-Sternchen erschreckenderweise Usus geworden sind, finden sich in ihren Nummern. Stattdessen konzentrieren sie sich ganz auf das Gefühl, das in ihnen wohnt und lassen somit die Luft stärker vibrieren als alle momentan angesagten Chanteusen. Denn in ihren Liedern ist die weibliche Seele beheimatet.


||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 13.03.17 | KONTAKT | WEITER: WAS MACHT EIGENTLICH CHRISTIAN PURWIEN (SECOND DECAY)?>

Webseite:
www.facebook.com/LisetAlea
www.melaniepain.com


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