BROR GUNNAR JANSSON "THEY FOUND MY BODY IN A BAG" VS. FREDDIE DICKSON "BLOOD STREET": ABGRÜNDIGES ZUR ABENDSTUNDE
Manche machen einfach nur Musik, manche leben sie mit jeder einzelnen Faser ihres Körpers. Ihre Lieder sind daher folgerichtig nicht einfach konsumierbare Klanghappen, sondern anspruchsvolle Oden, die entdeckt und erschlossen werden wollen.
Bereits zu einem früheren Zeitpunkt hat UNTER.TON die ersten Alben von Bror Gunnar Jansson präsentiert, da der Schwede ein imposantes Gesamtkunstwerk abgibt. Das liegt zum einen an seinem Talent als Multiinstrumentalist, sodass er sich als Ein-Mann-Band auf der Bühne präsentieren kann. Doch von größerer Bedeutung ist sicherlich sein markerschütterndes Organ. Denn setzt Bror zum Singen an, scheint es fast so, als ob sich der Orkus auftut. Brüchig-schneidend trägt der Mann aus dem Hohen Norden seine rumpeligen Blues-Nummern vor. Würde man ihn nicht sehen, man könnte auch glauben, ein vom Leben gebeutelter und von Drogen zerfressender Afroamerikaner singt all seinen Schmerz und seine Pein heraus.
Sein künstlerischer Background - Bror entstammt einer Musikerfamilie - befähigt ihn aber, eine stilistische Vielfalt anzubieten. Waren die Werke "Bror Gunnar Jansson" und "Moan Snake Moan" noch eine authentische Blues-Verhandlungen mit respektvollen Neuinterpretationen fast vergessener Nummern, ändert sich der Ton bei "They Found My Body In A Bag". Zwar greift "Machine" mit seinem schleppenden Rhythmus noch einmal den Südstaaten-Sound der Sklaven auf den Baumwollfeldern auf, doch poltert es bereits ordentlich auf dem Titelsong. Der spröde, auf Rhythmus und Gitarre reduzierte Rocksong hätte genausogut ein Stück aus dem Spätwerk von Tom Waits sein können.
Fast scheint es so, als wolle Jansson die Rockgeschichte von den Blues-Anfängen bis in die Gegenwart in Lichtgeschwindigkeit durchleben. Denn bereits "Stalker" zeichnet sich durch massive Riffs und präsentem Schlagzeug aus. Hier vereinigt sich das geschmeidig-erotische Mainstream-Rockertum eines Lenny Kravitz mit der hypnotischen Kraft diverser Hard-Rock-Combos aus den frühen 1970ern. Auch "Stay Out All Night Long", eine Hommage an John Lee Hookers "Boogie Chillen", schickt den schwermütigen Gitarren-Sound durch einen Durchlauferhitzer und lässt im exponierten Saitenspiel Jimi-Hendrix-Zitate vermuten. Zum Schluss erahnt man im Zeitlupentempo vom psychedelischen Elfminüter "Driving Through Norland, Listening To Earth", eigentlich eine Hommage an die gleichnamige Drone-Doom-Band aus Seattle, die magische Erhabenheit der skandinavischen Steppe.
Seinen Hang zum Morbiden hat Bror bereits bei seinen früheren Werken durchscheinen lassen; die Auswahl seiner Stücke beinhalteten nicht selten Mörderballaden. Für "They Found My Body In A Bag" hat der Blondschopf in den Krimiarchiven, überwiegend aus seinem Heimatland, gestöbert und die skurrilsten Fälle ausgesucht. Zerstückelte Leichen wie in "Machine" und "Body In A Bag", eine obsessive Frau, die in "Stalker" den Mann psychisch terrorisiert oder ein freilaufender Mörder in "There's A Killer On The Loose" verhandelt der Musiker einerseits respektvoll, andererseits aber auch von einem feinen schwarzen Humor durchzogen (vor allem, wenn Bror nach dem ganzen Mord und Totschlag einen Quasi-Lovesong namens "Will You Help Me When I'm Old?" aus dem Hut zaubert).
Die Stilvielfalt des Mannes aus Göteborg ist wahrlich beeindruckend, ihm auf seinem neuesten Album zu folgen indes vielleicht nicht immer ganz einfach. Vor allem, wenn er beispielsweise in "Det Stora Oväsendet", einem Instrumental zur Hexenverfolgung in Schweden, eher so klingt, als wäre der Stoner-Rock in einem Take und aus der Improvisation heraus entstanden. Was aber letzten Endes "They Found My Body In A Bag" zusammenhält, ist die morbide Grundstimmung, dieses "Nordic Noir", wie es nur ein Mann fühlen und vorleben kann, der aus einer Region stammt, die stark von Naturextremen beeinflusst ist. Wobei dieses Album eher dann gehört werden sollte, wenn die Wintersonne sich nur wenige Stunden am Tag über den Horizont wagt. Das macht das ganze noch ein bisschen schauriger.
Das Nächtliche in der Musik hat auch der Brite und mittlerweile Wahlberliner Freddie Dickson auf seinem neuesten Werk "Blood Street" deutlich herausgearbeitet. Passend dazu verhandelt er auf seinem zweiten Album melancholische Großstadtszenarien, die mit slidigen Gitarren, sanfter Elektronik und dezentem Halleffekt so schummrig wirken wie der Blick von einem Hügel auf die Lichter einer Metropole.
Dicksons Stücke sind dabei stark von seiner aktuellen Lebensphase geprägt. Während "Blood Street" entstanden ist, hat sich der Musiker entschlossen, seine alte Heimat London aufzugeben, um in Berlin neuen Input für seine Kunst zu erhalten. 2014 erstmals mit der - noch stärker vom Synthesizer geprägten - EP "Shut Us Down" auffällig geworden, gelingt ihm drei Jahre später mit "Panic Town" eine Perle von einem Dark-Pop-Album - das allerdings hierzulande nur wenig Beachtung findet. Sein dunkelromantischer Sound, der ihn übrigens auch dazu befähigt hat, eine ausgesprochen gute Coverversion des berührenden Top-Hits "Human" vom Rag'n'Bone Man zu verfassen, machte ihn aber schnell in Englands Hauptstadt berühmt.
Er selbst zeigt sich aber kritisch ihr gegenüber. Offensichtlich wird dies im Titelsong des neuen Albums, bei dem er das Problem des Auseinanderdriften der sozialen Schichten betrachtet. Mehr aber noch symbolisiert "Blood Street" Freddies persönlicher Entschluss, in den Sack zu hauen und ein neues Leben im Ausland zu beginnen. Die Wahl dieses Stückes als Titelgeber für das Album begründet er daher auch mit dem Fakt, dass die Songs zwar noch in London entstanden sind, die letzten Aufnahmen und das Mastering aber bereits in Berlin stattgefunden haben.
Der Wunsch nach Veränderung und die damit verbundene Erneuerung scheint durch jeden seiner Stücke durch. Zwar ist Dicksons fistelige Stimme und der ruhigen Duktus seiner Nummern unverkennbar, doch wirken sie noch konzentrierter und fokussierter. Laut Pressetext seien vor allem Neil Young und Portishead zwei große Vorbilder für seinen musikalischen Werdegang. Bei "Panic Town" überwog noch mehr der TripHop-Gedanke und das wuchtig-dunkle Moment. "Blood Street" zeigt deutlicher die Singer/Songwriter-Qualitäten des Mannes auf, der scheinbar nicht viel Gewese um seine Person macht.
Das sollte er aber! Schließlich schafft Dickson es, trotz der vielen ruhigen Nummern nicht zu einer tönernen Schlaftabletten zu verkommen. Im Gegenteil: Man lauscht ihm gebannt und seinen Liedern über das Treiben in den Großstädten. Ähnlich wie Ryan Adams' Spätwerk trägt auch "Bloodstreet" eine gewisse innere Ruhe. Man glaubt zu hören, dass Dickson ein Stück weiter bei sich angekommen ist. Das wird vor allem bei "When I Needed Her The Most", das in einer wunderbar einprägsamen Weise vorgetragen wird und so ziemlich alles richt gmacht, was so ein Singer/Songwriter-Stück nur richtig machen kann. Es ist aber nur eine funkelnde Spitze in einem Meer von dunkel schimmernden Nummern, die so warm und wohlig durch unsere Hörwindungen wandern wie nur was.
Es sind eben doch die kleinen und großen Abgründe, die intensiv ausgebreiteten Dramen, welche einen guten Song zu einem perfekten machen. Bror Gunnar Jansson und Freddie Dickson schenken sich in dieser Hinsicht nichts, auch wenn ihre musikalischen Ansätze grundverschieden sind.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 02.10.19 | KONTAKT | WEITER: DIE SAUNA VS. DIE KERZEN>
Website
www.brorgunnar.com
www.freddiedickson.com
COVER © PLAYGROUND (BROR GUNNAR JANSSON), ZART RECORDINGS (FREDDIE DICKSON)
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