TRISTAN BRUSCH "AM ANFANG" VS. ALLES EXHAUSTED "ALLES EXHAUSTED": VON ENDLICHKEITEN UND ERSCHÖPFUNGEN
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Er ist ein Meister der Quer- und Selbstverweise. Bei Tristan Bruschs Album "Am Anfang" wird jeder intertextuelle Trüffelsucher leuchtende Augen bekommen. Das fängt mit dem Opener "Grundsolider Schläger" an, der am Ende Chris Isaaks "Wicked Game"zitiert, während Tristan das letzte Wort "obendrein" lang zieht, und geht bei "Die lange Nacht" weiter, das in seiner bildhaften Lyrik einem Rio Reiser deutlich und dennoch intelligent nacheifert. Schließlich wird "Danke, dass Du nicht aufhörst, mich zu lieben" alle hellhörig werden lassen, die Bruschs Vorgängerwerk "Am Wahn" besitzen und das Stück "Wahnsinn mich zu lieben" noch im Ohr haben. Auch hier wird die Frage aufgeworfen, wie sich Zweisamkeit aufbauen lässt, die toxische Momente überleben kann.Damit sind wir schon mittendrin in der schwerwiegenden Gedankenwelt von Tristan Brusch, der sich zwischen "grundsolidem" Liedermacher und kunstvollem Pop-Arrangeur mühelos hin- und herbewegt. "Am Anfang", der Abschluss seiner "Am"-Trilogie, kommt mit ruhigen, teils jubilierenden Song-Miniaturen um die Ecke, in denen die teilweise grausamen Wahrheiten sanft aufgefangen werden.
Denn in den anheimelnden, perlenden Nummern verbergen sich Themen, die man gerne unter dem Banner "Coming of age" steckt. Es geht natürlich um Liebe. Aber diese ist nicht rosarot gefärbt, sondern von einer Nüchternheit durchzogen - und mit der Gewissheit betrachtet, dass diese endlich ist. Von der Endlichkeit der Liebe wird die Analogie zur Existenz gezogen und kulminiert in dieser für das Album zentralen Aussage. "Wir sind geboren um zu sterben. Und es gibt auf dieser Erde genau zwei Dinge zu lernen: lieben und geliebt zu werden" ("Geboren um zu sterben").
Doch gerade dies ist die scheinbar unüberwindbare Herausforderung. So wird bei "Liebe in Maßen" die Unfähigkeit des lyrischen Ichs verhandelt, dem Gegenüber Luft zum Atmen zu gewähren. Schließlich findet sich bei der Schlussnummer "Tristan und Elise" mutmaßlich autobiografische Züge über eine bereits vergangene Liebe. Im Einklang mit nostalgisch-wehmütigen Zeilen über die vergangene Jugend, die selten so emotional tiefgreifend auf Papier gebannt wurden wie bei "Vierzehn", verdichtet sich "Am Anfang", entgegen des Titels, zu einem Album über das Ende. Der Liebe, der Jugend, des Lebens.
Der 1988 in Tübingen geborene, in Berlin lebende Musiker war bislang nur einem eingeweihten Publikum und der Presse bekannt und avancierte seit seiner ersten Veröffentlichung anno 2008 schnell zu einem Geheimtipp. "Am Anfang" sollte ihn endlich über die erlesenen Zirkel hinaus bekannt machen, denn so anschmiegsam und gleichzeitig durchdacht klingt deutschsprachige Musik sehr selten.
Reden wir von deutschsprachiger Musik, kommt man an Österreich einfach nicht vorbei. Natürlich hat auch das Alpenvölkchen seine streitbaren volkstümelnden Helden wie Andreas Gabalier - aber sie besitzen auch eine prosperierende Austro-Pop-Szene, in der sich so ziemlich alles tummelt, vom Liedermacher bis zum Punker. Hauptsache in deutscher Sprache, idealerweise dann auch noch dialektal gefärbt. Und mit jeder Menge "Schmäh" und schwarzem Humor.Und dann ist da noch die Indie-Szene, die sich scheinbar ebenfalls von der hiesigen unterscheidet. Vielleicht ist es deren Überschaubarkeit, die dazu führt, dass sich die Künstlerinnen und Künstler oft zusammenkommen und über kurz oder lang gemeinsame Sache machen. Alles Exhausted ist jedenfalls so ein Projekt. Sophie Löw (Sophia Blenda, Culk), Johannes Blindhofer (Culk), Martin und Anna Rupp (Jansky), Romy Jakovcic (Pauls Jets) und Benjamin Steiger (Fuzzybrains) kamen zusammen und fingen erst einmal an, jeder für sich an Musikstücke zu schreiben und die Ideen über das weltweite Netz den anderen Kollegen zukommen zu lassen.
Soweit zur grauen Theorie. Tatsächlich ist aus dem Seitenprojekt, das eigentlich nicht so viel Zeit in Anspruch nehmen sollte, eine richtige Band geworden, die auch Ambitionen hat, ihre Songs live zu spielen. Das macht durchaus Sinn, denn der fluffige Shoegaze des Sextetts schreit gerade danach, auf die Bühnen gebracht zu werden.
Gemäß ihrem Bandnamen geht das musikalische Kollektiv in den quälenden Erschöpfungszustand, in dem sich nicht nur die Künstlerinnen und Künstler teilweise befinden, sondern gefühlt die gesamte Erde. Unter sich öffnenden Gitarrenklängen, die ihren Hang zum Wall Of Sound nicht verstecken, wirken die Songs einerseits wie ein in Noten gegossener Fatalismus, und doch zeigen sich in diesen Momenten größten ausgebrannt seins auch Spuren von Aufbruch und Neuanfang. Keine Situation kann so final sein, dass sie nicht auch weitere Wege für einen bereit hält.
Und doch wirken "Zu Asche zu Staub", "Alles verbraucht" und "Genug von Vampiren" wie Sinnbilder einer jungen Generation, die scheinbar aufgerieben wird zwischen autokratischen Systemen, intoleranten Konservativen und bedrohlich näher kommenden Kipppunkten. Mit anderen Worten: nicht gerade die beste Zeit für Adoleszenten. Alles Exhausted stellt aber ihre Musik und auch das gemeinsame Momentum dagegen.
Das besondere Merkmal der Gruppe besteht in ihrer Gruppenstärke. In jedem Song singt ein anderer, in "Genug von Vampiren" gehen die Stimmen (Sophia und Anna) fast schon unmerklich ineinander über. Wie eine harmonische musikalische WG mutet Alles Exhausted an, die sich nach ihren eigenen Aussagen mit diesem Projekt freischwimmen, weil sie nicht an Erwartungen gebunden sind. Vielleich ist deswegen dieses Debütalbum, trotz seiner Kürze (nur sieben Songs mit einer Gesamtlänge von etwas mehr als 20 Minuten), ein sehr befriedigendes geworden. Alles Exhausted ist fürwahr eine Supergroup.
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COVER © WASSER UND LICHT/SONY (TRISTAN BRUSCH), SILUH RECORDS (ALLES EXHAUSTED)
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