"ELECTRI_CITY 2" VS. "TRANSMISSION WAVE WEST": AUSTAUSCH DER SUBKULTUREN - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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"ELECTRI_CITY 2" VS. "TRANSMISSION WAVE WEST": AUSTAUSCH DER SUBKULTUREN

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Das goldene Pop-Jahrzehnt – die 80er – erfährt dank regelmäßig ausgestrahlter televisionärer Nostalgiesendungen eine starke Verankerung im kollektiven Gedächtnis. Allerdings bringen die x-te Veröffentlichung von Nenas "99 Luftballons" oder "Relax" von Frankie Goes To Hollywood keine Erkenntnis mehr über das Befinden der jungen Generation zu dieser Zeit – zumal sich dieses Befinden auch von Land zu Land unterschieden.

Deutschland kam damals eine besondere Rolle zu. Als direkter Nachbar zu den sozialistischen Ländern und mit einem, heutzutage surreal erscheinenden, geteilten Berlin, schien der Kalte Krieg stets ein bisschen präsenter als anderswo zu sein. Dies, und die verstärkte Suche nach neuen Ausdrucksformen in der Kunst, die sich gegen das dumpfe und immer noch von rechten Ideologie durchzogene Spießbürgertum wendeten, waren sicherlich ausschlaggebend für die Definition einer neuen Deutschen Popmusik, die auf dem zweiten Teil der "Electri_City"-Reihe ein weiteres Mal eruiert wird.

Begonnen hat diese Zusammenstellung im Zuge der Veröffentlichung des gleichnamigen Buches von Krupps-Bassisten Rüdiger Esch, der sich chronologisch durch die Ereignisse in Düsseldorf zwischen 1970 und 1986 mit seinen Interviewpartnern (unter anderem Ex-Kraftwerker Wolfgang Flür, NEU!-Mitglied Michael Rother, DAF-Frontmann Gabi Delgado und viele andere) arbeitete.

Die aktuelle Folge wartet erneut mit einer Fotografie der Kunstmetropole aus den späten 50ern oder frühen 60ern als Cover auf. Das Bild, Ruhe und Sicherheit vermittelnd, steht so ganz im Gegensatz zu den eruptiven Klangexplosionen, die von den Düsseldorfer Musikern und ihren elektronischen Instrumenten ausgingen und nach Revolution klangen.

Zunächst noch hymnisch beginnt "Electri_City 2": "Abendlicht" beweist ein weiteres Mal Wolfgang Riechmanns feines Gespür für gute Melodien. Seine Synthesizer-Instrumental bildeten die Blaupause für alle nachkommenden New-Romantic-Combos angelsächsischen Gepräges. Um so trauriger, dass dieser Mann bereits 1978 durch ein Messerattentat getötet wurde. Kaum auszumalen, welche Lieder er für die Republik noch gezaubert hätte.

Dem gegenüber stehen solche Unikate wie Teja Schmitz. Er hatte nur eine einzige EP im Eigenvertrieb herausgebracht: "Säuren ätzen und zersetzen". Der Titelsong zierte bereits die erste "Electri_City" folge. "Studieren", ein rumpeliges, fast schon psychedelisches Stück, zeigt ein weiteres Mal den Experimentierwillen einer ganzen Generation, die der Pop-Maxime "Anything Goes" bereitwillig folgten. Teja machte sich eigentlich als Stammfriseur für die Düseeldorfer Musiker (unter anderem auch für die Mensch-Maschinen von Kraftwerk) einen Namen. Das hinderte ihn aber nicht daran, auch mal an den Schräubchen eines Moogs oder Rolands zu drehen. Das Ergebnis: Nicht Teja beherrscht die Technik, die Technik beherrscht ihn. Sein offensichtlich rudimentäres Wissen macht gerade eben die Spannung seiner Stücke aus.

Ebenfalls in die gleiche Kategorie der "genialen Dilletanten" fällt "Mustafa" von den Topolinos aus dem Jahre 1983: Morgenländisch angehauchter Kinderzimmer-Elektro mit Casio-Rhythmen und fiependen Synthesizern trifft auf leicht schräg intonierten Mädchengesang. Wer hätte gedacht, dass sich hinter dieser Nahost-Variante eines "Fred vom Jupiter" keine geringeren als Claudia Brücken und Susanne Freytag verbargen. Sie sollten nur einige Jahre später als Sängerinnen von Propaganda die Pop-Geschichte mitschreiben.

Neben diesen absoluten Raritäten gibt es auch wieder Altbekanntes: "Fluss" von Rheingold, "Kebabträume" von DAF und "Gummitwist" von Der Plan, "Zwei Herzen, ein Rhythmus" von den Krupps. Sie sind die Aushängeschilder und Düsseldorfer Exportschlager (allen voran letztgenannte, die bis heute den gesamten Erdball mit ihrem maschinellen Metal-Sound bespielen und erst im vergangenen Jahre eine weitere Platte veröffentlichten).

Doch man spricht nicht immer deutsch: Liaisons Dangereuses beispielsweise, die durch ihren Electro-Stampfer "Los Ninos Del Parque" einen perfekten Prototypen elektronischer Körpermusik veröffentlichten, brachten mit "Etre Assis Ou Danser" (zu deutsch: sitzen bleiben oder tanzen) ein fiebriges Wave-Kleinod in französischer Sprache heraus.

Auf linguistischer Ebene scheint die deutsch-französische Freundschaft übrigens fruchtbar in Kraft zu treten. So findet sich auf dem superben "Transmission Wave-West", einer Zusammenstellung westfranzösischer Underground-Bands, die zwischen 1980 und 1991 aktiv waren, eine Gruppe namens Frakture, die mit "Nagasakind" einen etwas schrulligen Versuch unternommen haben, in Deutsch zu singen. Für einheimische Ohren sicherlich amüsant, war dieser Song in Frankreich zumindest derart exotisch genug, um als Szene-Hit zu avancieren.

Wirklich verständlich ist der Text zwar nicht, aber diese beiden Stücke belegen, dass das Interesse für die Sprache des anderen (oder zumindest dessen Sprachmelodik) nicht gering ist. Hier erschöpft sich aber schon die Schnittmenge zwischen den beiden Kompendien.

"Transmission Wave West" verweist bereits im Titel auf die musikalische Marschrichtung: Die Nähe zum Song "Transmission" von Joy Division ist sicherlich nicht rein zufällig. Denn wie diese Zusammenstellung beweist, war gerade der Westen unseres Nachbarlandes, insbesondere die Bretagne, nicht nur geologisch, sondern auch musikalisch stark mit den geliebt-gehassten Insulanern verbandelt. Der Output, den die subkulturellen Künstler dieses Landstriches aber erzeugten, kann nach Durchhören dieses Samplers durchaus als mehr als beachtlich betrachtet werden.

So will Brumes "Un Visage Sans Vie", das Eröffnungsstück von "Transmission Wave West" gar nicht abstreiten, den Gothic-Rockern von Sisters Of Mercy oder The Mission zu huldigen, lässt aber beim klaren Gesang sehr viel vom französischen Chanson durchscheinen. Ebenso spielt das schon selbsterklärende "Quelque Chose, Noir" ("Etwas, Schwarz") von Marc Seberg, das durch seine fatalistischen Grandezza auffällt, in einer Liga mit Gruppen wie Theatre Of Hate mit, bleibt aber gleichzeitig deutlich frankophil und heimatverbunden. Dass eine Vermischung beider Sprachen perfekt funktionieren kann, belegen Marquis De Sade mit ihrem "Final Fog (Brouillard Définitif)", einem kraftvollen Stück Gothic-Rock, dessen Dynamik vor allem zwischen den französisch gesungenen Strophen und dem englischsprachigen Refrain entsteht.

Das ist vielleicht der größte Reiz an dieser Kompilation: Sie spielt das französische Pop-Erbe gegen die britische Wave- und Rock-Strukturen aus. Im Falle eines Dominic Sonic und seinem "When My Tears Run Cold" treibt dieses Spiel besondere Blüten. Der Song ist purer Südstaaten-Rock mit einem Hauch Blues-Melancholie.


Weniger überraschend dagegen ist die Hinwendung zum elektronisch unterfütterten Alternativ-Klang. Mit Jean-Michel Jarre als französisches Pendant zu Kraftwerk und Co. führte das Land relativ schnell den Synthesizer in ihre Popkultur ein. End Of Data nutzt bei "Dans Votre Monde" dieses Wissen, reduziert den Maschinen-Fuhrpark aber auf das Wesentliche. Der so entstandene Song erinnert in seinem Minimalismus bisweilen an Profils "Berühren".

Bass erstaunt und nachgerade fassungslos erscheint einem die nachfolgende Nummer "Your Dimension" der Evening Legion. Aber nicht, weil die Aufnahme derart mies wäre oder die Talente der Musiker verschwindend gering seien. Im Gegenteil: Dieses Lied zählt zu den vielleicht schönsten auf "Transmission Wave-West". Ihr energetischer, mit ansprechendem Gitarren- und Bassspiel angereicherter Synthie-Pop erinnert stark an die Simple Minds, während die Gesangsführung der von Marian Gold (Alphaville) nicht unähnlich ist. Eine Schande eigentlich, dass es diese Band nicht mehr als eine EP auf die Beine stellen konnte.

Ebenso braucht Franz Kultur Et Les Kramés, deren feiner Witz auch über die Sprachbarrieren hinweg funktioniert, gesonderte Betrachtung. "Ultime Atome" dealt offensichtlich mit den Melodieläufen von Cures "A Forest", während der punkig-explodierende Gesang geschickt die mystische Atosphäre bricht. Ein Blick auf ihr weiteres Repertoire zeigt, dass sie das Pop-Zitat als Stilmittel gerne einsetzten. Auf ihrem Album gibt es unter anderem "I Wanna Be Your Pig" zu hören, eine eigenwillige Hommage an die Stooges und ihrem "I Wanna Be Your Dog".

Deutschlands und Frankreichs Subkultur ist das Ergebnis aus der jeweiligen Geschichte. Hierzulande war der Drang groß, sich vom deutschtümelnden Schlager und der daraus resultierenden Pseudo-Idylle einer prosperierenden Nachkriegswirtschaft zu distanzieren. Als ein Land, das ab 1933 auch kulturell beschnitten wurde, suchte es wieder Anschluss an die Kunst in den expressiven Gestaltungsmittel, die vor der NS-Übernahme Mode waren. Ganz anders der französische Chanson, welcher sich ungehindert und organisch über die Jahrzehnte weiterentwickeln konnte. Als Teil der Pop-Kultur respektiert, konnte er sich problemlos mit den Jugend- und Gegenkulturen vermengen und blieb durchlässig für englische und amerikanische Stile wie Beat, Rock'n'Roll – oder in diesem Falle eben Wave. "Electri_City 2" und "Transmission Wave-West" fungieren als seriöse Zeitdokumente der küntlerischen Gegenkultur ihres Landes.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 27.07.16 | KONTAKT | WEITER: TOP 5 FAD GADGET >

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COVER © GRÖNLAND RECORDS (ELECTRI_CITY 2), INFRASTITION RECORDS (TRANSMISSION WAVE WEST)

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