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EISFABRIK "WHEN WINTER COMES": ZZ TOP FÜR ELECTROHEADS

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Die virtuelle Kontaktstube der "sozialen" Medien hat das vormals distanzierte Verhältnis zwischen Künstler und Anhängerschaft nachhaltig beeinflusst: Mittlerweile kann der geneigte Enthusiast via Facebook, Twitter und Co. das Leben seiner heißgeliebten Idolen 24/7 begleiten – zumindest gefühlt. Für die Musiker bieten diese Personality-Portale im Gegenzug die Möglichkeit, Fans an bandinternen Prozessen oder sonstigen Ereignissen teilhaben zu lassen und sie so stärker an sich zu binden.

Doch hat es zur Abwechslung nicht auch seine Reize, wenn der Künstler sich ausnahmsweise mal in Schweigen übt und seiner Hörerschaft nicht jeden greifbaren Millimeter seines Alltags offeriert?


So ziehen die French-House-Oldies von Daft Punk ihr Publikum nicht zuletzt auch wegen der futuristischen Kostümierung an.

Anonymes Auftreten befeuert die Fantasie – das wird sich wohl auch das vermummte Trio von Eisfabrik gedacht haben.


Die drei Männer hinter dem Projekt sehen aus wie
Polarforscher auf dem Weg zur nächsten Expedition: Eingehüllt in dicke Daunenjacken, werden Gesicht und Identität unter Kapuzen, (Theater-) Bärten und dunklen Brillen versteckt.

Das Debüt "When Winter Comes" führt das arktische Erscheinungsbild auf musikalischer Ebene fort: Eisiger Synthie-Pop mit verwaschen-verhallten Flächen und drückender Rhythmik rollen über den Hörer hinweg wie eine wild gewordene Pistenraupe.

Kurzum: Eisfabrik sind ZZ Top für Electroheads.

Diese dürfen sich auf ein heiteres Rätselraten vorbereiten. Denn laut offizieller Biografie handelt es sich bei den Herren Dr. Schnee, Der Frost und °Celsius um etablierte Klangtüftler, die bereits mit "nicht ganz unbekannten" Gruppen Erfolge feiern konnten. Kein Wunder also, dass die kleinen, grauen Zellen auf Hochtouren arbeiten: Da wird jede Sequenz bereits im Ohr in seine Bestandteile zerlegt und einer scharfsinnigen Analyse unterzogen.

Allein: Es fällt wirklich schwer, die wahre Identität der drei Eisfabrikanten auszumachen.

Der Bandname und nicht zuletzt auch das getragene, bedächtige "Vor langer Zeit" am Ende von "When Winter Comes" lassen den Schluss zu, dass es sich um hiesige Musiker handeln muss. Aber welche? Mehrere Namen schießen einem da spontan durch den Kopf: Das einleitende "Eisfabrik" könnte direkt aus den tönernen Hochdrucköfen von [:SITD:] stammen, während die klaren, leicht melancholischen Songstrukturen bei "Ice Crystal" an die Schattentänzer von Diorama erinnern.

Sodann ertönt "Friends" mit der vielleicht treibendsten Bass-Figur der letzten zehn Jahre – und gleichsam erscheint der Name Rotersand vor dem geistigen Auge. Deren stringente und zugleich vielschichtige Elektronik schlug ja bereits kunstvoll die Brücken zwischen Synthie-Pop, Techno und Electronic Body Music. Bei Eisfabrik geschieht dies nun auch.

Doch wer ist Dr. Schnee?

Seine helle, markante Stimme trat noch nie in Erscheinung. Rasch durchforstet man die gesamte Sänger-Gilde der Electro-Szene; immer auf der verzweifelten Suche nach dem passenden Antlitz für das Organ. Am ehesten würden Ex-Funker-Vogt-Frontmann Jens Kästel oder Carsten Jacek von den bereits oben genannten [:SITD:] passen. Aber wie heißt es so schön: Nichts genaues weiß man nicht.

Bei aller angestrengten Grübelei und Spurensuche sollte jedoch nicht übersehen werden, welch ansprechendes Werk hier entstanden ist. Es sind wahre Eisblöcke von Songs geworden, denen aber jede Menge Gefühl innewohnt.

In der Eisfabrik geht es um Hoffnung ("Don't Be Afraid"), Erinnerungen ("Friends"), Liebeskummer ("Without You") – und nicht zuletzt auch um die Liebe ("Ice Crystal"). Klingt also irgendwie doch nach heimeliger Lagerfeuerromantik? Mitnichten!

Emotionen werden durch die arktische Strenge der Lieder regelrecht schockgefroren und senden nur noch schwache Lebenssignale aus.

Auch wenn das leicht uninspirierte Artwork eher an die typische Monsterstimmen-Combo von nebenan erinnert
(wie sie hierzulande leider immer noch viel zu häufig anzutreffen ist), kommt das Album erfreulicherweise ohne die üblich-lästigen Klischees computerbasierter Klangerzeugung aus.

"When Winter Comes" besitzt eine ungeheure Dynamik, die sich aus der Ambivalenz zwischen kompositorischer Unterkühltheit und textlicher Sehnsucht nach menschlicher Wärme speist.

So eiskalt-emotional wie Eisfabrik klingen noch nicht einmal Covenant – und bei denen meinte man schon, dem absoluten Nullpunkt zuwinken zu können.

||TEXT: DANIEL DRESSLER  | DATUM: 15.02.15 |  KONTAKT |  WEITER: SARA NOXX "ENTRE QUATRE YEUXX" >



Website
www.eismusik.de

COVER © EISMUSIK/BROKEN SILENCE.


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