ANDREAS KÜMMERT: DER MAINSTREAM-MÄRTYRER - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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ANDREAS KÜMMERT: DER MAINSTREAM-MÄRTYRER

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Wer auch immer am 23. Mai in Wien den"Eurovision Song Contest" gewinnen wird, dürfte hierzulande nur mehr vereinzelte Enthusiasten interessieren. Denn der perfekt inszenierte Vorentscheids-Skandal der vergangenen Woche sorgt für weitaus mehr Diskussionsstoff, als es der eigentliche Sieg bei diesem stets etwas hüftsteif präsentierten Wettbewerb je schaffen könnte.

Zu verdanken haben wir dies einem Mann, der auf den ersten Blick so gar nicht ins Hochglanz-Bild der ecken- und kantenlosen Pop-Sternchen passen will: Andreas Kümmert.


Seine furiose Teilnahme an der Casting-Sendung "The Voice Of Germany", bei dem bereits seine erste Darbietung (die klassische
Elton-John-Nummer "Rocket Man") keinen Zweifel an seinem unaufhaltsam-unterhaltsamen Siegeszug zuließ, machte ihn bundesweit bekannt. Sympathisch-schüchtern kam er damals daher; ein wahrer Meister des Understatements, dessen unaufgeregte, ja wie selbstverständlich wirkende und gleichzeitig kraftstrotzende Performance nur noch mehr Fans um ihn herum scharte.

Doch der launige Bartträger ist ein schwieriger Kandidat.


Nach seinem umjubelten Sieg bei "TVOG" ließ Kümmert gleichmal seine anstehenden Promo-Auftritte platzen – aus gesundheitlichen Gründen, wie es ganz offiziell hieß. Trotz grandios-herausragender Stimme und jeder Menge Fans zeigte sich der Sänger seit dem Casting-Sieg überaus medienscheu.

Umso mehr verwundert es, dass Andreas Kümmert
sich dazu entschlossen hat, am Vorentscheid zum Eurovision Song Contest teilzunehmen – einer Großveranstaltung par excellence.

Man musste keine Kristallkugel befragen, um vorauszusehen, dass er auch hier wieder alle anderen Künstler gnadenlos an die Wand singen würde. Und so geschah es dann auch: Fast 80 Prozent aller Stimmen konnte Kümmert beim abschließenden Telefon-Voting für sich verbuchen.

Aber Andreas Kümmert nahm die Wahl nicht an.


Seine Nicht-Begründung: Er sei nur ein kleiner Sänger. Dies führte in der Schlagerhalle zu Hannover - verständlicherweise - zu Buhrufen im Publikum, mündete später in einem Social-Media-Shitstorm  – und führte seitens der Presse tags darauf zu einigen seltsamen, emotionalen (Übersprungs-) Handlungen.

So stilisierte die "Zeit"
den rotbärtigen Musiker zu einer Art Künstler-Freigeist, der sich nicht verbiegen lasse und "die Menschenverheizungsmaschine Showbusiness für einen Abend kurz angehalten hat". Und auch spiegel.de hofierte Kümmert - "als den unabhängigen, eigensinnigen, wahren Künstler, der gerade noch rechtzeitig doch lieber nichts mit der Unterhaltungsmaschinerie ESC zu tun haben will."

Kümmert als Märtyrer unserer makellos-massentauglichen Musikindustrie? Irgendwie passt das vorne und hinten nicht zusammen!

Wenn ein Künstler tatsächlich nichts mit derlei breitwandig inszenierten Unterhaltungssendungen zu tun haben will, warum zieht es ihn dann immer wieder an den hassgeliebten "Tatort" zurück?


Vielleicht handelt es sich bei dies
em leicht untersetzten, betont unsicher dreinblickenden Musiker in der legeren Jeans-Kapuzen-Kombi tatsächlich eher um einen Mann, der am Ende nur vorgibt, eine "zarte Seele" (spiegel.de) zu sein.

Immerhin melden sich nach anfänglichen Sympathiebekundungen im großen Stile auch einige kritische Stimmen zu Wort, wie beispielsweise Schlagerinstitution Ralph Siegel. Am vergangenen Samstag ließ er in einem Gastkommentar auf focus.de das Gedankenspiel zu, dass die Nichtannahme seiner Wahl schon vorher geplant gewesen sein könnte - verpackte diese Kritik aber immer noch in watteweiches Verständnis für den sensiblen Musiker.

Interessanterweise sind sowohl Kümmert, als auch die Zweitplatzierte, Lena-Look-Alike Ann-Sophie, gleichermaßen bei Universal unter Vertrag.

Auch wenn der Major-Riese in einer hastig nachgeschobenen Presseerklärung beteuert, man wäre von Kümmerts Entscheidung vollkommen überrascht gewesen, bedeutet dies - sei es nun Schein oder Sein - eine lukrative Win-Win-Situation für die Plattenfirma.

Die gerade startende Ann-Sophie wird durch ihre Teilnahme am Ex-Grand-Prix eine größere Bekanntheit erlangen, während der "Rocket Man" mit dieser Aktion sein Image als unangepasster Musiker unterstreichen kann, der im Zuge dieses gerne genommenen Aufregers natürlich gleich noch weitere ausstehende Konzerte absagen ließ.

Zu viele Zufälle; zu viele Ungereimtheiten - die durchaus den Schluss zulassen könnten, dass dieser Authentizitäts-Eklat am Ende doch nur wieder Teil eines von Label und Künstler wohl durchdachten Planes ist, mit dem Aufmerksamkeit generiert und die Plattenumsätze angekurbelt werden sollen.

Immerhin steht das mit den Vorentscheid-Songs angereicherte Re-Release von "Here I Am" mittlerweile auf Platz eins der Amazon-MP3-Verkaufscharts  – und dürfte nach dem medialen Dauer-Hype sicherlich noch einige Zeit an dieser Spitze verweilen.

Wenn wir es hier aber tatsächlich mit einem zartbesaiteten Feingeist in Holzfäller-Optik zu tun haben - stellt sich dann nicht auch die Frage, warum das Label seinem Künstler nicht von der Teilnahme abgeraten hat? Wiegen auch hier wieder die Umsatzzahlen mehr als die vermeintlich labile Psyche eines Musikers?


Letzten Endes steht auch noch eine Anzeige wegen sexueller Beleidigung einiger Frauen während eines Konzertes am 28. Februar in Eppingen im Raum. Auch dieser Umstand wird von einigen Journalisten als Argument für die ESC-Absage ins Feld geführt.

Fakt ist: Allein Kümmert kennt die Antwort auf all diese Fragen.

Doch dass er laut eigener Aussage "nur ein kleiner Sänger" ist, der eigentlich nichts mit der Musikindustrie zu tun haben will, das kauft ihm wirklich keiner mehr ab: Casting-Teilnahme und begleitende Mitleids-Interviews im Massen-TV; Vertrag mit einem Platten-Riesen. Understatement sieht anders aus; davon kann jeder freie Künstler ein Liedchen singen.

Wer in seinem Leben tatsächlich nach Alternativen sucht, kann den großen Strom auch mit wenig Mut und Selbstbewusstsein jederzeit problemlos verlassen.

Natürlich nur dann, wenn persönliche Freiheit und Authenzität als die wahren Werte geschätzt und erkannt werden - und am Ende nicht doch wieder zu Gunsten bequem-vergänglicher Reize der Marken Bankkonto, Blitzlicht oder TV-Bühne in die Wüste geschickt werden.


||EIN KOMMENTAR VON DANIEL DRESSLER  | DATUM: 11.03.15 |  KONTAKT |  WEITER: REVIEW ANDREAS KÜMMERT "HERE I AM" >


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