"EMMI AID": IM SOUND GETRENNT, IN DER SACHE VEREINT
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Auch wenn es genügend Zweifler und Leugner gibt: Die Erde steuert auf eine globale Erwärmung zu, das Polkappeneis schmilzt schneller als prognostiziert und wir erleben Wetterextreme, die in Heftigkeit und Anzahl ständig zunehmen. 2024 war das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Mittlerweile ist also nicht mehr die Frage, wie wir den Klimawandel aufhalten, sondern wie wir mit ihm leben können.Dabei zählt die Versiegelung von Städten und Metropolen zu den größten zu bewältigenden Problemen. In einer Studie wurde Mannheim als problematischste Stadt in Deutschland aufgelistet, da ihre Menge an Beton und Asphalt besonders in den Sommermonaten die Stadt unerträglich aufheizt. Wohl dem also, der in der Nähe eines großen Parks oder kleinen Wäldchens leben kann.
Der Emmauswald ist so ein Glücksfall. Auf dem ehemaligen Friedhofsgelände hat sich die Natur ihr Territorium zurückerobert und bietet eine fast schon surrealistisch-märchenhafte Kulisse inmitten der Hauptstadt. Doch auch dieses Fleckchen Erde ist bedroht. Das Bauunternehmen BUWOG gedenkt schon seit einiger Zeit, die Hälfte dieses Biotops dem Erdboden gleich zu machen, um dort Wohnungen zu errichten - hauptsächlich für gut betuchte.
Vor zwei Jahren richtete sich organisierter Widerstand gegen diese Pläne in Form der Initiative "Emmauswald bleibt", das bis heute alles daran setzt, um Neuköllns grüne Lunge am Leben zu erhalten. Auch Umweltverbände wie der NABU plädieren für einen Erhalt des Waldes, der für viele bedrohte Tier und Pflanzenarten Heimat geworden ist.
Da die Baupläne immer noch nicht vom Tisch sind und der Senat dieses Vorhaben durchdrücken will, werden die Gegenstimmen lauter. Nun schaltet sich auch die Kunst ein: Unter dem Titel "Emmi Aid" findet am 22. Januar 2026 im Festsaal Kreuzberg ein Festival mit verschiedenen Musikerinnen und Musikern statt, darunter Bernadette La Hengst, Barbara Morgenstern, Dina Summer und Hackedepicciotto. Im Vorfeld erscheint nun unter dem gleichen Titel eine Benefiz-Compilation von epochalem Ausmaß.
Dass man sich bei der Benamung an das vielleicht bekannteste und auch gigantischste Pop-Benefiz-Ereignis Live Aid anlehnt, ist nur folgerichtig. Immerhin beinhaltet der Sampler sage und schreibe 57 Beiträge. Darunter finden sich neben den bereits genannten Festivalteilnehmern auch Namen wie Pet Shop Boys, Tocotronic und Bernard Sumner (New Order). Selbst Menschen mit nur rudimentär musikalischem Feingefühl werden bemerkt haben: Da geht es aber so wild zu wie in einem unaufgeräumten Wald.
Zugegeben: Sie alle mögen in ihren Stilen getrennt sein. Von psychedelischen Rock-Improvisationen von Krautfuzz über die folkige Akkordeonperle "Green Grow The Rashes" von Michaela Meise bis hin zu schummrige Spoken-Word-Poesie bei Jochen Arbeits "Message To Young People", entspannten Field-Recording-Miniaturen ("Little Forest" von Kota No Uta), einem Tom-Waits-Soundalike ("Emmy Says" von The Healthy Boy) sowie Drone-Schönheiten wie in "Emmbient" von Lawrence und Hip-Hop-Eskapaden bei Mouse On Mars' "Uban", enthält "Emmi Aid" - eingedenk der bereits oben genannten bekannten Namen - eine bunte Mischung aus Pop- und Alternativkultur. Was sie aber eint, ist der Kampf um eine lebenswerte Zukunft und den Erhalt der noch vorhandenen Natur.
Denn auch wenn der Emmauswald mit nur vier Hektar ein vergleichsweise kleines Areal einnimmt, so wird hier durch den konstanten bürgerlichen Aufruhr ein Exempel statuiert. Wie bereits bei den heftigen Protesten zum Erhalt des Hambacher Forsts, zeigt sich auch bei der Frage um die Zukunft des Neuköllner Wäldchens, dass rein profitorientierte Bauvorhaben nicht einfach hingenommen werden.
Mit "Emmi Aid" gelingt den Machern dieses Kompendiums eine stimmungsvolle Revolte. Die Energie, die von dieser Initiative ausgeht, ist dabei fast vergleichbar mit den Protestmärschen verschiedener Umweltverbänden in den frühen 80ern, aus denen sich später die Grünen formiert haben - und die übrigens im Berliner Senat bereits einen Antrag gestellt hatten, das Bauvorhaben im Emmauswald zu stoppen. Doch die schwarz-rote Senatsleitung hat diesen Antrag abgeschmettert. Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen. So lange bleiben die Freunde des Emmauswald weiter laut - und gelangen durch "Tree Aid" noch stärker in die kollektive Wahrnehmung. Eine richtige und wichtige Aktion - mit einer Menge guter Musik im Schlepptau.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 31.10.25 | KONTAKT | WEITER: TRISTAN BRUSCH VS. ALLES EXHAUSTED>
Webseite:
www.emmauswald-bleibt.de
Webseite:
www.emmauswald-bleibt.de
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