B. ASHRA, PSYCHOTIKUM: SOUNDS FÜR SELTSAME PFLÄNZCHEN
In sämtlichen Lebenslagen ist es immer die Musik, die uns begleitet. Unbestritten die Tatsache, dass den Tönen eine emotionale Kraft innewohnt. Doch was geschieht, wenn man sich von den bekannten, abendländischen Harmonien und kulturellen Überbauten löst, um zum Ursprung des Klangs zurückzukehren? Der reine Ton präsentiert sich dann als mathematisch-physikalische Variable, die in engster Verbindung zum gesamten Klangspektrum des Universums steht.
Hört sich stark nach Meditations-Manierismen und Räucherstäbchen-Romantik an; nennt sich aber, ganz amtlich, "kosmische Oktavierung". Der Künstler B. Ashra gehört zu den wichtigsten Vertretern auf diesem Gebiet. Sein aktuelles Werk "Music For Growing" wagt sich nun auf außergewöhnliches Terrain: Die von ihm produzierten Klänge sollen Einfluss auf das Wachstum einer ganz bestimmten Pflanzenart haben.
Weniger abgehoben, dafür stark industrial-affin mutet dagegen sein Seitenprojekt Psychotikum an, das B. Ashra zusammen mit Sigyn M. betreibt. Ihr Dark-Ambient-Werk "Sadhu" steht auf einer Linie mit Throbbing Gristle und Konsorten.
Sprechen wir aber zunächst über die "Oktavierung": Kurz zusammengefasst, handelt es sich dabei um ein mathematisches Verfahren des Schweizer Wissenschaftlers Hans Cousto aus dem Jahre 1978. Es ermöglicht, dass extrem nieder- und hochfrequente Schwingungen für menschliche Ohren hörbar werden. Die Rotation der Planeten, welche bereits seit der Antike erforscht werden, können auf diese Weise musikalisch dargestellt werden. Aber auch molekulare Schwingungen erhalten ein adäquates Klang- und sogar Farbbild. Einen ersten Einblick in diese Materie bietet das Berliner Label Klangwirkstoff auf seiner Website. Klar, dass diese Plattenfirma nun auch B. Ashras "Music For Growing" veröffentlicht.
Startpunkt für diese exzeptionelle Klangreise bildete die Frage: Wie klingt eigentlich THC, jener berauschende Wirkstoff der Hanfpflanze?
Um dies zu beantworten, wendet B. Ashra die Oktavierung sowie eine spezielle Hemisphären-Synchronisation an. Ausgehend von einem tiefen, sinus-reinen Basston, breiten sich während der 74 Minuten Laufzeit allmählich Klangteppiche aus, die, einem Wellenschlage auf dem Meer nicht unähnlich, auf- und abbrausen und leise nachhallen. Ein flirrendes Windspiel, das die sechs Spektren des Moleküls widerspiegelt, begleitet diese ungewöhnliche Ton-Melange. Alles wabert, alles schwingt – frei von rhythmischen Zusätzen.
Diese so genannten "THC-Tunings" sollen demnach helfen, die Cannabis-Zucht voranzutreiben (empfohlen wird übrigens eine Beschallung in den Lichtphasen). Wer solchen kleingärtnerischen Ambitionen nicht nachgeht, kann sich die Klänge auch selbst verabreichen. Vorausgeschickt sei noch, dass "Music For Growing" während des Autofahrens nicht gehört werden sollte!
Was hier geschieht, lässt sich nicht in wenigen Worten zusammenfassen. Nur so viel sei gesagt: Die mantra-gleich aufgebaute Komposition versetzt den Hörer tatsächlich in einen tranceähnlichen, tiefenentspannten Zustand.
Die Umwelt beginnt unter den atmosphärischen Klängen sich langsam in Wohlgefallen aufzulösen; sämtliche Alltags-Gedanken rücken in weite Ferne: Man ist auf sich selbst zurückgeworfen.
Selbst hartgesottene New-Age-Gegner, die in der spirituellen Bewegung bloße Geldmacherei auf Kosten gutgläubiger Menschen sehen, sollten sich auf dieses Experiment einlassen und "Music For Growing" eine Chance geben. Schließlich stehen B. Ashra sowie Klangwirkstoff-Records nur bedingt in Verbindung zu Meditationszentren, Chakrensäuberungen und Klangschalenkollektiven.
Der Ansatz, mittels elektronischer Instrumente auf die "Ur-Töne" des Universums zurückzugelangen, übersteigt das starre Denken vieler Yoga-Fetischisten.
Einzige Voraussetzung für die totale Kraftentfaltung dieses überlangen Stückes ist eine gute Anlage mit einem klaren Bassklang. Denn dieser ist essentiell, um die berauschende Wirkung von "Music For Growing" in vollem Umfang zu erleben.
Wem dies aber doch zu abgehoben ist, landet nur einige gedankliche Meter entfernt bei Psychotikum – und steht damit auf verhältnismäßig konventionellem Boden. Hier arbeitet B. Ashra zusammen mit Labelkollege Sigyn M. (tätig bei der Formation Devas).
Wie fast nicht anders zu erwarten, durchzieht auch "Sadhu" eine spiritueller Faden.
Psychotikum nehmen uns mit auf eine gedankliche Reise nach Indien: Sadhu ist ein hinduistischer Mönch, der stark asketisch lebt und sein ganzes Dasein allein der religiösen Erleuchtung gewidmet hat.
Psychotikum versuchen, diesen Gedanken musikalisch nachzugehen. Durch eindringliche Rhythmen, opulent übereinander geschichtete Drones und bewusst undeutlich gehaltenen Sprachsamples entstehen beschwörende Rituale, die sich über zwei CDs mit rund zweieinhalb Stunden Laufzeit erstrecken.
Deutlich sind die stilistischen Parallelen zu Bands wie Throbbing Gristle oder Lustmord zu erkennen – vor allem durch den atmosphärisch dichten Aufbau, der die Initialzündung für ein zerebrales Lichtspiel bildet.
Erstaunlich: "Sadhu" wurde bereits 1999 von den beiden Klangforschern erdacht. Ihrer Vielschichtigkeit ist es aber zu verdanken, dass die Platte auch 15 Jahre später nichts von ihrem Charme verloren hat. Heutzutage erreichen diese dunkel-ruhigen Klänge mit Sicherheit noch mehr Ohren als zuvor: In einer Welt der Gleichzeitigkeit, geprägt von einem unbarmherzigen Alltagstakt, verliert das Individuum immer stärker seine eigene Mitte.
B. Ashra eröffnet uns auf musikalischem Wege – mal wissenschaftlicher, mal intuitiver – die Möglichkeit, den inneren Halt zurückzugewinnen. Er stößt für uns Türen auf – durchgehen müssen wir aber schlussendlich selbst.
|| TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 25.11.2014 | KONTAKT | WEITER: DVD "DEPECHE MODE: LIVE IN BERLIN" BOX >
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Websites
https://klangwirkstoff-records.bandcamp.com/album/music-for-growing-kw010
https://separatedbeats.bandcamp.com
BILDQUELLE © KLANGWIRKSTOFF/SILENZIO (B. Ashra); © SEPARATED BEATS/KLANGWIRKSTOFF (Psychotikum).
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