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Das Ende des Musikjournalismus könnte man folgendermaßen inszenieren: Ein Mann sitzt im Kämmerlein zu später Stunde am Schreibtisch und hackt abschließende Worte seines letzten Artikels, womöglich eine Chronik über eine für die Pophistorie ungemein wichtige Band wie Kraftwerk, Nirvana oder den Beatles, in seinen Laptop. Die Rotweinflasche zu seiner Linken ist bereits zu drei Vierteln leer, im Hintergrund läuft Skeeter Davis' Depri-
Zugegeben steckt jede Menge "Drama, Baby!" in dieser Szenerie. Im Grunde jedoch fürchten alle Musikkritiker genau diesen Moment: Sie schreiben eigentlich für die Tonne; ihr Wort hat kein Gewicht mehr. Mittlerweile sind solche Ängste nicht mehr unberechtigt angesichts der tragisch zu nennenden Entwicklungen auf dem Musikzeitschriftenmarkt. "The year the Musik-
Gleich vier honorige Musik-
Doch sinkende Reklamegelder und wegfallende Leserschaften sind nur ein kleiner Teil des langsamen Dahinsiechens des Musikjournalismus. Vielmehr haben sich die Vorzeichen geändert, unter denen die Menschen Musik hören. Lange Zeit konnte man Klängen nur über die stationäre Stereoanlage lauschen, in den 80ern und 90ern wurde Musik dank Walk-
Bereits vor zwei Jahren haben wir in einem Artikel zur Lage der Popmusik Ben Ratliffs Idee des "curational me" aufgegriffen, den er in seinem Buch "Every Song Ever" definierte. Demnach führt die allgemeine Verfügbarkeit von Musik dazu, dass der Hörer unmittelbar sich selbst kuratiert. Sprich: Aus der Vielzahl der digitalen Angebote steht es ihm frei, seine Lieblingslieder auszusuchen. Die Instanz des Musikjournalisten, der ehemals darüber entschied, welche Bands und Musiker(innen) erwähnenswert und relevant seien, wird einfach umgangen. Der Einzug der sozialen Medien führte überdies dazu, dass Bands in unmittelbarem Kontakt zu den Fans stehen, ihnen Vorabauszüge aus den Alben präsentieren können und Einblicke beispielsweise in das Stuio-
Grundlegend eine zu befürwortende Entwicklung, denn sie demokratisiert die Musik in erheblichem Maße und gibt einigen kleinen Bands die Möglichkeit, eine größere Hörerschaft durch digitale Selbstvermarktung zu generieren. Doch ist es wie in der Politik: Was nützen Freiheit und Demokratie, wenn Sie nicht sinnvoll genutzt werden können? Anstatt sich der nun vorherrschenden Vielfalt bewusst zu werden, scheint die Musik zu einem kulturellen Fast-
Das ist nicht die Meinung eines beleidigten Musikjournalisten, sondern eine amtliche Studie der Universität Ohio (https://www.eurekalert.org/pub_releases/2017-
Festzuhalten bleibt: Die Musik hat sich aus den Tonträgergeschäften ins Internet verlagert. Etwaige Umsatzsteigerungen der Vinyl-
Die schreibende Zunft indes hat den distributiven Wandel, ähnlich wie die Musikindustrie, ordentlich verschlafen. Nun hinkt sie hinterher. Ein Umstand, den auch Musikexpress-
Zudem füllen nun Privatpersonen mit ihren nicht vorhandenen journalistischen Kenntnissen die feuilletonistische Lücke in der digitalen Welt aus. Der Kritiker wird durch Blogger und Influencer zurückgedrängt. Der neutral-
Zusätzlichen Antrieb erhält diese Entwicklung durch die immer noch vorherrschende Gratiskultur des Internets, was eine bezahlte journalistische Tätigkeit nahezu unmöglich macht. Nur die wenigsten Magazine schalten ihren Content erst durch entsprechende Gebühr frei. Demzufolge fehlt das Budget, um qualifizierte Schreiber anzuheuern. Abgesehen von den oben bereits erwähnten digitalen Ablegern absatzfester Printmedien wie Rolling Stone und dergleichen, können wohl die wenigsten Online-
Bei all der Schwarzseherei bleibt aber festzuhalten, dass die Auseinandersetzung mit Kunst im öffentlichen Raum erst dem Objekt seine Bedeutung verleiht. Oder um abermals Albert Kochs Artikel heranzuziehen: "Das (...) Zitat, über Musik zu schreiben wäre wie über Architektur zu tanzen, ist von einer seltenen Dämlichkeit. Wäre es wahr, würde sich auch jegliche Diskussion über Film, bildende Kunst, Fotografie und Mode verbieten." Letzten Endes, und das ist aus persönlicher Erfahrung, sind es die Musiker selbst, die natürlich möchten, dass man sich mit ihrem Werk kritisch auseinandersetzt. Denn das verleiht ihrem Schaffen tieferen Sinn und gibt ihrer Musik einen Mehrwert, der über die reine harmonische Schallabsorbierung hinausgeht.
Es war aber auch Gerhardt selbst, der in einem Editorial über das Ende von Spex geschrieben hat, dass der Pop-
Die Zeiten ändern sich, und mit ihnen auch die Rezeption von Kunst. Am Ende jedoch bleibt die Musik immer noch ein Spiegel der Gesellschaft. Neben den harten Fakten über Veröffentlichungstermine und klanglicher Beschreibung eines Albums, das man in kurzen Rezensionen dem Leser an die Hand reichen kann, bleibt die wichtigste Frage des Musikjournalisten, warum der Musiker ausgerechnet jenes Album zu jener Zeit gemacht hat. Das kritische Gespräch mit den Kunstschaffenden offenbart dabei mehr Informationen, als es eine von der Band selbst zusammengeschusterte Story auf ihrer Homepage jemals zu schaffen vermag.
Solche Artikel, seien es nun Interviews, Reportagen oder einfach nur Kritiken, erfordern aber, wenn sie gut und gehaltvoll werden sollen, Zeit für Recherche, Überlegungen und sprachlicher Ausformung. Letzteres scheint allerdings am wenigsten Aufmerksamkeit seitens der Schreiber zu erhalten. Zumindest lassen die teilweise haarsträubenden Rechtschreib-
Schlussendlich muss aber auch den so genannnten Usern, die tagtäglich auf solche Contents zurückgreifen, endlich bewusst werden: Eine Webseite kostet nicht nur Zeit, sonern auch Geld. Das System einer freiwilligen Spende funktioniert leider nicht. Vor einem Bezahlsystem für die Artikel schrecken viele noch zurück. Es wäre aber gleich in mehrerer Hinsicht eine sinnvolle Handlung. Schließlich bedeutet das für die schreibende Zunft einen (wenn auch immer noch geringen) monetären Ausgleich für ihre Arbeit, verpflichtet sie aber auch zu guten Artikeln oder exklusiven Berichterstattungen, die solche Bezahlugen rechtfertigen. Der Leser indes hat immer noch die freie Entscheidung darüber, ob er dafür Geld ausgeben will oder nicht, kann sich aber dann auch sicher sein, eine entsprechende Leistung zu bekommen, die es in anderen Medien nicht zu finden gibt.
2018 wird als sicherlich schwärzestes Jahr in die Annalen des Musikjournalismus eingehen, aber gleichzeitig auch eine Zeitenwende markieren, in der sich neue Wege der kritischen Auseinandersetzung mit Musik ausformen, die über kurz oder lang den Musikjournalisten und -
Und die klassischen Musikmagazine? Sie weden überleben, wie auch die bereits totgesagte Schallplatte überlebt hat. Vielleicht besitzen sie nicht mehr diese Relevanz, aber sie können sich einen kleinen erlauchten Leserkreis erhalten, der es immer noch vorzieht, in gebundenen Ausgaben zu schmökern, als auf einen flackernden Monitor zu starren.
||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 19.03.2019 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 3/19>
Foto © UNTER.TON/Daniel Dreßler
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