"MUSIK, MUSIC, MUSIQUE 3.0" VS. SVEN VÄTH "WHAT I USED TO PLAY": AUS DEN WILDEN JAHREN DER ELEKTRONISCHEN KLANGERZEUGUNG - UNTER.TON | MAGAZIN FÜR KLANG- UND SUBKULTUR

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"MUSIK, MUSIC, MUSIQUE 3.0" VS. SVEN VÄTH "WHAT I USED TO PLAY": AUS DEN WILDEN JAHREN DER ELEKTRONISCHEN KLANGERZEUGUNG

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Die Gitarre ist tot! Lang lebe der Synthesizer! Wirft man ein Blick auf die deutschen Jahrescharts anno 1982, ist der Trend deutlich: Elektronische Musik hat sich im Pop-Business etabliert. Bands wie OMD oder Human Lague gehören nun nicht mehr zu der Gruppe obskurer Künstler, sondern werden von Major Labels hofiert und mit allen Freiheiten und finanziellen Mitteln gefördert, weil diese natürlich das große Geschäft wittern.

Dewegen ist die dritte Ausgabe der superben Reihe "Musik, Music, Musique" mit dem Zusatz "Synth Pop On The Air" versehen. Tatsächlich füllte sich der Äther in dieser Zeit mit immer futuristischeren Liedern, die der in Fahrt genommene Technologisierung und Computerisierung des Alltags das klangliche Pendant überantwortete. Wie es sich für die über jeden Zweifel erhabenen Cherry-Red-Zusammenstellungen gehört, wollten die Kuratoren nun aber nicht die bereits bekannten Gassenhauer auf die drei Silberlinge pressen, sondern eine Schicht weiter unten graben, um ein Mehrwert zu erhalten und um bekannte Bands in ihrer stilistischen Bandbreite zu präsentieren.

Talk Talk, die mit "The Party's Over" in diesem Jahr ihren Durchbruch schafften und erste Hits in Form der Singles "Talk Talk" und "Today" veröffentlichten, sind hier mit dem nicht minder schönen "Mirror Man" vertreten. Apropos: "Mirror Man" hieß auch die erfolgreiche Single von The Human Lague, die einen ganz eigenwilligen Electro-Motown-Sound kreierte. Für den Sampler haben sich die Macher für die B-Seite "You Remind Me Of Gold" entschieden - eine Gute Wahl, denn der Song zeigt die Gruppe enigmatischer und klanglich kantiger und experimentierfreudiger als es die bekannten Songs vermuten lassen (was ja den Reiz der B-Seiten weiland ausgemacht hat).

Die Zusammenstellung vermeidet also, die großen Songs zu präsentieren, sondern will mit der Auswahl der Stücke das reichhaltige Angebot und auch die damals vorherrschende künstlerische Freiheit zeigen. Soft Cells schwül-erotisches "Sex Dwarf" wirkt dabei ebenso extravagant wie die noch rudimentärer klingenden Nummern von Thomas Leer ("Mr. Nobody") und 100% Manmade Fibre ("Green For Go").

Wie der Titel es andeutet, erhebt die Zusammenstellung einen transkontinentalen Anspruch. Dieser manifestiert sich auch in deutschen Beiträgen: "Maschine Brennt" von Falco, einem "Kommissar"-Soundalike, und "Goldfinger" von den Krupps, die damals vom Proto-EBM der Deutsch Amerikanischen Freundschaft deutlich beeinflusst waren. Aber auch die Schweizer Avantgardisten von Yello dürfen in dieser Auflistung nicht fehlen, "Heavy Whispers" gehört ebenfalls zu den eher unbekannteren, aber nicht minder attraktiven Songs ihres umfangreichen Repertoires.

Dazwischen finden sich einige Kuriositäten wie "Conversations" von Arthur Brown. Der Mann ist eigentlich für seinen Song "Fire" Ende der 60er bekannt. Hier hat er eine erstaunliche künstlerische Verwandlung hin zu einer Mensch-Maschine vollzogen. Und dass Berlin vor ihrer Edel-Schnulze "Take My Breath Away" für den Air-Force-Schinken "Top Gun" wesentlich kantiger und vor allem rein elektronisch klangen, zeigt "Sex (I'm A...)" mit seinen Giorgio-Moroder-Bassläufen.

Wieder einmal gerät "Musik, Music, Musique" zu einem fabelhaften Kompendium und musikalischen Brennglas eines ganzen Jahres, das sich als wichtigen Zusatz versteht, um den starken Einfluss der elektronischen Musik für die damalige Generation begreiflich zu machen.

1982 wurde Sven Väth aus Frankfurt gerade volljährig und begann, nachdem er eine Schlosserlehre hingeschmissen hat, seine ersten Schritte als DJ zu unternehmen, und zwar für keine geringere Diskothek als das "Dorian Gray" in Frankfurt, welches schon damals der "place to be" war. Er war maßgeblich daran beteiligt (zusammen mit seinem Kollegen Talla 2XLC), dass hier die deutsche Techno-Szene ihren Anfang genommen hat. Der Rest ist mittlerweile Geschichte: Väth gehört zu den wichtigsten Discjockeys Deutschlands und hat auch als Musikproduzent die "Raving Society" maßgeblich mitgestaltet (immer noch hörenswert: Das Album "The Harlequin, The Robot and The Ballet Dancer" von 1994).

Nach also mehr als vier Dekaden im Musikbusiness zieht Väth Bilanz in Form einer zwölf Vinyl, respektive drei CD starken Box, auf der er Songs vereinigt, die zu seinen Favoriten seiner DJ-Sets zählen. Sie erzählen auch die Geschichte der musikalischen Sozialisation Väths und präsentieren den Hessen als Eklektiker mit der größtmöglichen Bandbreite. So findet sich auf seiner Zusammenstellung neben den fast schon erwartbaren eigenen Songs "Electrica Salsa" und "Where Are You", die er zusammen mit Michael Münzing und Luca Anzelotti unter den Monikern OFF und 16 Bit veröffentlichte, auch fast schon "genrefremde" Songs wie "Stranger" der Gothic-Kapelle Clan Of Xymox oder "Magics Wand", einer frühen HipHop-Nummer von Whodini.

Dagegen schon wieder konsequent ist die Hereinnahme von "Pili Pili" von Jasper van't Hof und Guem Et Zakas "Le Serpent", da Weltmusik, insbesondere Tribal, ein nicht unerheblicher Teil der Techno-Bewegung ausmacht und das Genre auch deutlich beeinflusst hat. Das nachfolgenden "Don't Go Lose it Baby" von Hugh Masekela wirkt wie das "quad erat demonstrandum" der vorher aufgestellten musikalischen These.

Sven Väth hat sich bei Auswahl und Zusammensetzung von "What I Used To Play" unübersehbar Gedanken geacht. Dabei vermied er es, in einen drögen Chronologismus zu verfallen, sondern versuchte, die Stücke nach Stimmung und Groove zusammensetzen. So ergeben sich spannende Genrewechsel und ein Wiedersehen mit alten Bekannten wie Frankie Knuckles, Model 500, M/A/R/R/S - sogar Kraftwerk hat für "What I Used To Play" sein Okay gegeben, das ihr Stück "Computerwelt" verwendet werden durfte. Das zeigt die Reputation Väths, denn bekanntermaßen sind die Ur-Väter des Electro-Pop mit Samplerbeiträgen eher sparsam.

Überdies ist Väths Kompendium, wie auch "Musik, Music, Musique 3.0", ein allgemeingültiger Anschauungsunterricht über die wilden Jahre der elektronischen Klangerzeugung. Denn vergleicht man die damaligen Produktionen mit den heutigen Standards, ist es schon erstaunlich, wie sich Synthesizer und Co. im Laufe der Dekaden weiterentwickelt haben. Der raue, anarchistische Charme mag vielleicht das sein, was den aktuellen Songs aus der Technoszene und ihren Artverwandten fehlt und im Umkehrschluss die alten Songs weiterhin hörenswert macht.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 21.02.23 | KONTAKT | WEITER: KURZ ANGESPIELT 4/23>

Webseite:
www.cherryred.co.uk

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COVER © CHERRY RED RECORDS/ROUGH TRADE ("MUSIK, MUSIC, MUSIQUE 3.0"), COCOON RECORDS (SVEN VÄTH)

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