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EWIAN "OF THOSE WHO DROWN TO LIVE" VS. UNPLACES "CHANGES": SINN UND SINNLICHKEIT

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Es sind zwei herausragende Alben, weil sie bandinterne Meilensteine sind. Während Unplaces, die früher als NRT firmierten, mit "Changes" ein neues Kapitel anfangen, hat Ewian Christensen, den UNTER.TON seit dem Debüt "Good Old Underground" mit Leidenschaft verfolgt, angekündigt, ein wenig kürzer zu treten.

Vielleicht ist das der Grund, warum "Of Those Who Drown To Live" eine ganz eigene, knisternde Spannung besitzt. Ewian wird nicht komplett von der Bildfläche verschwinden, soviel ist sicher. Und doch mutet dieses Werk ein bisschen wie ein klassischer Schwanengesang an. Besonders gegen Ende scheint das Ensemble aus Landau sein klangliches Kokon immer dichter zu spinnen und lässt in "Box Of Pandora" dominant surrende Synthesizer-Linien die Szenerie beherrschen, was für die Alternativ-Rocker eher untypisch wirkt. Das Instrumental "Life Uncut" fällt mit seinen fließenden Pianolinien geradezu Tiersen-esk aus - quasi ein verschollener, finaler Song für den Soundtrack zu "Die fabelhafte Welt der Amélie".

Schlussendlich begibt sich Ewian mit "See You In Heaven" auf eine emotionale Abschiedsreise, in der sich die sanften Orgelarpeggios noch einmal in einem aufbäumenden Akt in ihrer ganzen Strahlkraft präsentieren, um am Ende zusammenzufallen und sich langsam zu entmaterialisieren. Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, Christensens Konturen selbst scheinen sich bei diesem Stück immer mehr zu verflüchtigen. Gerade so, als ob er durch eine dichte Nebelwand geht und in die Ungewissheit entlassen wird.

Der stilvolle Abgang in die selbst auferlegte Kreativpause schimmert bei "Of Those Who Drown To Live" immer wieder durch und separiert das vierte Album ein weiteres Mal von den vorherigen Veröffentlichungen. Ewian ist jedoch nie ein Mann gewesen, der sich selbst kopiert. Im Interview zum zweiten Longplayer "We Need Monsters" sprach er bereits davon, sich nicht auf einen typischen Ewian-Sound festlegen zu wollen. Das setzt er mit "of Those Who Drown To Live" einmal mehr unter Beweis.

Die Stimmung wirkt gedämpfter. Bereits "Beautiful Lie - The Salvation" versteigt sich in zerbrechliche Falsett-Gesänge und hauchzarte Melodien. Das euphorische Moment wird zurückgerängt, darf sich nur noch selten - wie bei "The Sweet Ones The Evil Ones" - von seiner ganzen Wucht zeigen. Doch auch bei solchen Stücken nimmt sich Ewian zurück, beschränkt den musikalischen Fatalismus auf einige Shoegaze-Momente wie beim wunderschönen "Inception".

Einhergehend mit diesem stimmungsvollen Rock sind auch die Texte, die im Gegensatz zu früher eine weitere Interpretationsebene öffnen. Deklinierte der Musiker auf seinem Vorgänger "Heart Crash Boom Bang" noch das größte Gefühl auf Erden - die Liebe - durch, richtet sich sein Blick nun auf ein übergeordnetes Ganzes, stellt das Individuum im Kontext des unfassbaren Mythos Lebens - und wie wir damit umgehen. "Of Those Who Drown To Live" richtet sich an all die fühlenden Wesen auf unserem Planeten, deren Existenz sie nicht nur als profane Biologie, sondern als das größte Wunder überhaupt sehen.

Und dieses beginnt bekanntermaßen mit dem Ereignis der Geburt. "Utopian Dream" ist auch so eine Geburt - auf musikalischer Ebene. Mit anschwillendem Tusch und dräuenden Gitarrenwänden eröffnet diese Nummer das ambitionierte und überbordende Werk "Changes" von Unplaces ein. Bereits unter dem Moniker NRT musizierend, führt man nun unter Unplaces die Beobachtungen über die Menschen und ihren höchst zweifelhaften Umgang mit der eigenen Spezies in Zeiten digital-sozialer Lebensmodelle und einem anhaltenden Drang nach materiellem Wachstum fort.

Die Welt befindet sich seit einigen Jahren in einem massiven gesellschaftlichen Umbruch. Viele Werte von einst verlieren nach und nach ihre Gültigkeit. Das Internet im Allgemeinen und die Sozialen Medien im Besonderen werden zu Verstärkern extremer Ansichten. Inmitten all den Filterblasen, postfaktischen Inhalten und Fake News findet sich das Individuum hilf- und orientierungslos wieder. In dieser aufgewühlten Stimmung erhebt sich "Changes", einem Phönix gleich, um die Menschen aufzufordern, für einen Moment inne zu halten und über den eingeschlagenen Weg zu reflektieren.

"The hottest technique can somehow destroy, the most modest thing can bring you joy" konstatieren Unplaces unter fiebrigen Synthielinien und animierendem Schlagwerk in ihrem Titelsong. Eigentlich eine Binsenweisheit: Es sind die einfachen Dinge im Leben, die es mit Sinn füllen. Angesichts unreflektiertem Fortschrittsglauben der Großzahl der Bevölkerung, aus der unter anderem die neue Spezies der "Smombies" entstanden ist, sollte man sich diese Phrase immer wieder ins Gedächtnis zurückrufen.

"Changes" fuktioniert nicht nur wegen der dezidiert kritischen Beobachtung, sondern auch und besonders wegen Dorette Gonschorek. Ihr dunkel eingefärbtes Timbre besitzt eine intensive Dringlichkeit und lässt die Stücke zu deutlichen Warnungen werden. Dorette singt wie eine Cassandra und agiert wie eine postmoderne Jeanne d'Arc, die einen Krieg gegen die Gleichgültigkeit ihrer Generation führt. Und sie blickt mit Sorge auf jene, die den Preis für unseren Wohlstand bezahlen müssen. "The Left Behind" versteht sich als Parabel für die gescheiterte gesamteuropäische Flüchtlingspolitik, während sie in "Freedom" ein feuriges Plädoyer gegen den westlich gefärbten Begriff der Freiheit hält. "Promise of freedom, a fucking lie", wütet sie unter überbordenden Gitarren, belässt es aber nicht nur bei einfacher Krittelei: "First step on our agenda, get your head turned on."

Etwas muss in unseren Köpfen geschehen, damit nicht nur wir, sondern auch die gesamte Welt glücklich sein kann. "Changes" kann freilich nur einen kleinen, künstlerischen Anstoß dazu liefern. Dies tun Unplaces allerdings mit der größten Leidenschaft - auch optisch. So versinkt man beim Doppel-Booklet in eine schwarz-weiße Zwischenwelt mit grobkörnig-verwaschenen Landschaftsaufnahmen, von denen eine starke Melancholie ausgeht. Hier ist sie noch in Teilen zu erkennen, die "alte Welt". Doch der Zahn der Zeit nagt an ihr; irgendwann wird auch sie verschwinden. Und mit ihr die einstigen Werte. Es liegt an uns, sich auf sie zu besinnen.

Oder wie es im abschließenden "Open End" heißt: "Whatever happened can't be changed, but your personal mode of life is the key to make a difference".

Dewegen sind diese beiden Platten die vielleicht essentiellsten dieses Jahres: Sie richten sich an unsere wichtigsten Organe, nämlich das Herz und den Kopf. Während Ewian in "Of Those Who Drown To Live" den Menschen als fühlendes Wesen begreift, sehen Unplaces in "Changes" seine Vernunftbegabung als höchstes Gut. Beide Attribute zusammen würde den humanistischen Idealfall des Homo Sapiens kreieren. Drum lauschen wir intensiv diesen Alben, auf dass sie uns Erleuchtung in jeder Hinsicht bringen mögen - und uns dazu animieren, die Erde wieder ein Stück freundlicher zu gestalten.

||TEXT: DANIEL DRESSLER | DATUM: 01.08.18 | KONTAKT | WEITER:  IM PROFIL - POKEMON REAKTOR>

Webseite:
www.ewian-music.com
www.unplaces.de

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COVER © Ewian/Timezone, TangramiRecords/Timezone (Unplaces)

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